Ausgabe 06 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Nicht ausgesprochen zornig

Das Festival Interplay ! Berlin markierte wenige interdisziplinäre

Anknüpfungspunkte, konnte aber mit historischen Einfühlungen trumpfen

Wenn ich diese Veranstaltung zu improvisierter Musik rückblickend als nicht besonders wirkungsvoll oder nicht sehr gelungen zusammenfasse, dann nicht, weil die Themen etwa zu uninteressant, zu abgehoben oder gar zu weitschweifig gewesen sein mochten bzw. vermittelt worden wären. Dies war nicht der Fall. Zeitraster und Programmplanung waren okay; die Besucher konnten an straff aneinandergereihten Aufführungen in den dafür gut geeigneten Räumen der Akademie der Künste am Hanseatenweg teilnehmen; auf Workshops folgten Filme, auf Filme Konzerte, Diskussionen auf Live-Veranstaltungen – alles im angenehmen Wechsel. In den kurzen, zahlreichen Pausen flanierte es sich gut in den weitläufigen Innenräumen, im angeschlossenen Café oder im angrenzenden Tiergarten gab es die nötige Erfrischung. Viele Besucher, darunter zahlreiche Teilnehmer des Festivals, waren mehrere Tage vor Ort. Im Grunde ein Pool von kreativen Leuten, der sich dort aufhielt, von dem eine anregende Atmosphäre des Austauschs hätte ausgehen können. Dem war leider nicht so.

Wohl etwas übernommen hatten sich die Veranstalter mit dem Ziel, Gelegenheiten zu schaffen, „die praktische und theoretische Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Thema zu vertiefen". Dies sollte über Workshops mit teilnehmenden Künstlern und Diskussionsrunden nach Filmen und dergleichen geschehen. Leider gerieten mehrere dieser Diskussionen zu unfreiwillig verpatzten Podiumsauftritten, welche die durchaus zahlreichen Umstehenden nicht aus der Zuschauerposition herauslocken konnten. Im Gegenteil. So wurde beispielsweise der Film von Gitta Gsell über die Musikerin Irène Schweizer von der Moderatorin ohne Not gleich zu den besten Jazzfilmen aller Zeiten gerechnet, bevor die Diskussion auch nur etwas warmgelaufen war. Danach war es schwierig, das Erstarren über solche Facheinschätzungen der Diskussionsleitung aufzubrechen. Ebenso geriet eine Diskussion mit dem Filmemacher Jürgen Böttcher zu kurz und konnte nicht halbwegs zur Dechiffrierung des Codes seiner historistischen „Hommage" an die nichtexistierende Dokumentarfilmleidenschaft der DDR-Kulturführung ­ samt den tragikomischen Gesten der von ihnen beauftragten Spitzenkünstler ­ beitragen. Immerhin gab mir Böttcher damit die Stichworte für den Titel dieses Aufsatzes mit auf den Weg. Wenn „seine" Musiker Günter „Baby" Sommer und Dietmar Diesner um die Jahrtausendwende „frei" auf dem Gelände des Marx-Engels-Forums am Alexanderplatz improvisieren und Böttcher dies mit überwiegend eigenem Dokumentarmaterial aus der Entstehungszeit der Denkmalanlage (1981-86) verschneidet, entsteht ein zwiespältiges, weil einerseits zeitlos der Meditation huldigendes, andererseits der politischen Dokumentation verpflichtetes Memorandum. Konzert im Freien lautete der Titel. Treffend, weil die Musiker und der Filmemacher mit ihrem unmutigen Stück ­ wobei hier Unmut bitte wörtlich als nicht ausgebrochener/ausgesprochener Zorn zu verstehen ist ­ sehr treffend über schöpferische Zusammenhänge reflektierten, also wie der Mensch Ästhetik aus seiner Realität, aus seinen Lebenswirklichkeiten heraus formt ­ kurz: daß Kunst immer auch einen sozialen Hintergrund hat. Böttchers Filme können politisch verstanden werden, weil sie Politik und Geschichte relativ still, sozusagen von außen, von ferner Warte, reflektieren; diese gewählte Distanz bewirkt gleichzeitig, daß deren politische Instrumentalisierbarkeit erschwert wird.

Mein erster Kontakt mit improvisierter Musik läßt sich auf 1986 datieren. Damals sah ich ­ wie so oft ­ eine Rock-Sendung im Fernsehen an. Daß Jazz und Rock gerade eine innige Liaison hinter sich hatten, daß Jonas Hellborg und John McLaughlin gar keine Musiker mit „normalem" Rock-Hintergrund waren, dies alles war mir nicht bekannt. Was ich wahrnahm, waren ein Bassist, der sehr punkig gestylt war, und ein Gitarrist, der eher einen hippiemäßigen Look bevorzugte. Die Musik der beiden war für mich verwirrend und gleichzeitig atemberaubend. Nie zuvor hatte für mich improvisierte Musik so unglaublich cool und faszinierend geklungen und ausgesehen! Daß Hellborgs Aktivitäten sich nach solch breitenwirksamen Auftritten im deutschen Fernsehen unter anderem auch darauf bezogen, mit klinischem Speed-Metal auf Fusion-Art uns Metal-Kids ihr Taschengeld abzuluchsen, sei ihm heute verziehen. Immerhin hat er uns Begriffsfelder wie Inhalt ohne Anspruch oder Technik ohne Seele einmal umrissen, so daß wir nach einer Weile weder Weather Report noch Iron Maiden unsere Spargroschen weiter unkritisch anvertrauten.

Nein, über solche Themen wurde während Interplay ! Berlin nicht öffentlich diskutiert. Es gab keinen Diskurs über die Wege des Free Jazz, der improvisierten Musik innerhalb der populären Musik, über Kreuzungen und Pfade. Ja, da war immerhin eine DVD über John Zorn u.a. im Video-Archiv zu sehen, die Biographie der Pianistin Irène Schweizer machte ­ zumindest anhand ihrer Person ­ deutlich, wie vielschichtig Jazz und gesellschaftliches Engagement von Musikern miteinander verwoben sein können. Der Auftritt der Gunter Hampel Music + Dance Company mit Hampel und seinen blutjungen Musikern und Breakdancern sorgte zu Beginn bei mir gar für Vorfreude und hohe Erwartungen, was Gegenwartsbezogenheit betraf. Dann kam aber nichts weiter in dieser Richtung. Es gab stattdessen im Foyer laue Jazz-Bebilderungen, sogenannte Works In Music, die mich total verkrampfen ließen, so schlecht und nicht die Spur interdisziplinär waren diese Werke. Auch mit Breakdance, geschweige denn (dem guten alten) Hip-Hop, war es vorbei.

Gutes altes, teilweise lohnenswert aufbereitetes Doku-Film-Material tröstete da sehr. Zum Beispiel der großartige Ornette-Coleman-Film Made In America von Shirley Clarke. Einer der wenigen Filme, vielleicht zusammen mit Escalator Over The Hill von Steve Gebhardt, die dem Anspruch, informativ und experimentell zu sein, durchaus gerecht wurden. Die hochgepriesene Irène-Schweizer-Filmbiographie war inhaltlich wertvoll, Gitta Gsells Versuche, Musik kongenial zu filmen, hinterließ jedoch einen sperrigen und uninspirierten Eindruck. Den Fehler zuviel zu wollen, haben sowohl Luc Ferrari und Gérard Patris mit Ambitus: Cecil Taylor à Paris (bereits 1968), wie auch Gilles Corre mit Women In Jazz (2000), dem einzigen zeitnahen Porträt junger Musikerinnen in New York, mit Zurückgenommenheit vermieden.

Was war nun mit Fred Frith und John Zorn, mit No-Wave und Jazz-Punk, Miles Davis' Hip-Hop-Projekten, Grenzbereichen zwischen Neuer Musik und Jazz, traf Jonas Hellborg denn nun Merzbow oder God Is My Co-Pilot, war Pat Metheny Mitglied bei Scientology oder bei den Melvins, spielt Bill Laswell noch Bass, werden Tortoise oder die NoNeck Blues Band oder beide in Montreux auftreten, wieviele Improvisationsplatten erreichten nach Herbie Hancocks Head Hunters noch die Charts, verlegte Mille Plateaux auch Jazz-Musik, war Jeff Mills mit Coltrane verabredet, kannten Autechre Albert Ayler, beeinflußte Free-Funk auch Public Enemy? Das Festival hatte nicht den Anspruch, allzu viel Neues, neue Verknüpfungen aufzuzeigen oder zu diskutieren. Die gezeigten Standards und redlich bemühten Geschichtsverfilmungen wurden so hauptsächlich von einem mittelalten und gut situierten Publikum ­ dies aber immerhin dankbar ­ rezipiert.

Jörg Gruneberg

 
 
 
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