Ausgabe 06 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Kongo 1906

29. Juni bis 30. August

Die jüngsten Ereignisse im Kongo rufen lebhafte Erinnerungen an die Berliner Generalakte hervor. An der seinerzeit auf Anregung des Fürsten Bismarck von den Regierungen Deutschlands und Frankreichs berufene und vom 15. November 1884 bis 26. Februar 1885 in Berlin abgehaltenen Kongokonferenz nahmen Bevollmächtigte der genannten beiden Staaten sowie von Österreich-Ungarn, Belgien, Dänemark, Spanien, den Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien, Italien, den Niederlanden, Portugal, Rußland, Schweden-Norwegen und der Türkei teil.

Die Konferenz nahm eine Generalakte, die sogenannte Kongoakte an, in der allen Nationen völlige Freiheit des Handels und der Schiffahrt auf vorläufig 20 Jahre gesichert wird in einem Gebiete, dessen Grenzen bilden sollten: im Norden von 2° 30' südlicher Breite bis 12° östlicher Länge, dann die Wasserscheide zwischen dem Becken des Kongo und denen des Ogowe, Schari und Nil bis 28° östlicher Länge, sodann von 5° südlicher Breite bis zum Indischen Ozean, der von da ab südwärts bis zur Mündung des Sambesi die Ostgrenze sein sollte. Die Südgrenze zieht den Sambesi aufwärts bis über die Mündung des Schire hinaus, dann auf der Wasserscheide zwischen diesem und dem Koanza einerseits und dem Kongo anderseits und folgt darauf dem Loje von seiner Quelle bis zur Mündung, von wo ab nordwärts bis 2°30' der Atlantische Ozean als Westgrenze eintritt.

Das so begrenzte Gebiet wurde für neutral erklärt und der Sklavenhandel in demselben durchaus verboten, so daß es weder als Markt noch als Durchgangsstraße benutzt werden sollte. Ebenso sollte keine der Mächte die Souveränitätsrechte in diesem Gebiet ausüben, Monopole oder Privilegien verleihen dürfen. Als Abgaben sollten nur solche zulässig sein, die den Charakter eines Entgelts tragen, wie Hafen- und Lotsengebühren, zur Bestreitung oder Erhaltung von Leuchttürmen und Baken und dergleichen.

Doch hat man dem Kongostaat seit Mai 1893 gestattet, Einfuhrzölle zu erheben, nachdem demselben schon gleich zu Anfang eine mäßige Gebühr von den ausgeführten Waren entrichtet worden war. Eine der wichtigsten Folgen der Kongoakte war die Anerkennung und Begrenzung des neu ins Leben getretenen Kongostaates. Dieses Gebiet État Indépendant du Congo steht unter Souveränität des Königs von Belgien, ist 2334600 qkm groß und hat nach den neuesten Berechnungen 19 Millionen Einwohner. Nur mit kleiner Küstenstrecke an den Atlantischen Ozean stoßend, wird es im Norden von Portugiesisch-Kabinda und Französisch-Kongo, im Osten von Britisch-Ostafrika, Deutsch-Ostafrika, im Süden von Britisch-Zentralafrika-Protektorat und Portugiesisch-Angola eingeschlossen.

Das Gebiet, trotz der Forschungen von Livingstone, Baker, Stanley, Wissmann, Wolf, François, Müller, Peschuel-Loesche, Kund, Tappenbeck, Graf Götzen, Büttner, Reichard, Wauters noch verhältnismäßig wenig bekannt, zerfällt in drei natürlich begrenzte Abschnitte: in das Gebiet des obern Kongo (2200000 qkm), in das des untern Kongo (12500 qkm) und in die dazwischen liegende, 400 km breite Zone der Fälle. Im allgemeinen eben, nur von einzelnen, mäßig hohen Bergzügen durchsetzt, wird es vom Kongo in seiner vollen Länge durchzogen und stößt östlich an die Westufer des Albert-, Albert Edward-, Kiwu-, Tanganjika- und Meru-Sees. Die geologische Geschichte des Kongobeckens ist schwer aufzuklären, da die Gesteinsschichten großer Gebiete in Laterit aufgelöst sind.

Mannigfach wechselnd folgen westöstlich aufeinander Glimmerschiefer, Hornblendegneis, Quarzschiefer, dann rote Sandsteine, Granit und große Strecken Laterit auf tertiären Schichten; an der Küste bilden einen schmalen Streifen jüngeres Tertiär und Alluvium, welch letzteres ebenfalls die mittlern Partien des Kongobeckens bedeckt. Das Klima, wegen der relativen Feuchtigkeit und des Dunstdrucks den Europäern wenig zuträglich, ist in Westafrika (kühles Oberflächenwasser des Atlantischen Ozeans längs der Küste) kühler als unter gleichen Breiten in Ostafrika; dies macht sich auch im Kongostaat bemerkbar, wozu noch für das Innere die bedeutende Höhenlage in Betracht kommt; es zeigt weder ununterbrochene hohe Wärme noch langdauernde Heiterkeit des Himmels. Nächtliche Abkühlung kommt häufig vor und macht sich sehr bemerkbar. Falko Hennig

Flagge Kongo: Archiv Hennig

 
 
 
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