Ausgabe 06 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

In Gottes Namen ­ was tun?

Am liebsten würde Ditte sämtliche Pullover wieder auftrennen, die sie ihrem vermeintlichen Freund Menschenkind einmal gestrickt hat; mit Buttersäure bewaffnet, scheinheilig vor seiner Parterrewohnungstür stehen und mit einer Pipette peu à peu den Gestank durchs Schlüsselloch träufeln. Dann würde sie klingeln, und wenn er öffnet und es schon richtig stinkt, ihrer grenzenlosen Verwunderung über den Gestank Ausdruck verleihen. Seine Frage, ob sie einen Kaffee wolle, die er immer stellt, wenn er sich jedweder Verantwortung für sein bescheuertes Verhalten zu entziehen sich anschickt, erhielte die geheuchelte Antwort: Ja, um Zeit zu gewinnen für die nächste Attacke: Teppichmesser raus, ritsch-ratsch das alte Ledersofa verziert, sein Ein und Alles, das er zu DDR-Zeiten aus einem Sperrmüllcontainer gezogen und in dessen enger Stelle zwischen Lehne und Armstützen er 100 Mark West gefunden hatte. Das Radio in der Küche würde ohnehin so laut dudeln, daß der Kaffee kochende Menschenkind nichts davon hören würde. Sie breitete dann den Mantel des Schweigens in Form seines altirischen Lammfells über das Kreuz – in Gottes Namen würde sie dabei flüstern –, sich draufsetzen, seine dämlichen Ausreden anhören, mit denen er ihr den Kaffee servieren wollte, dabei darüber nachdenkend, wie sie ihm eine richtig eklige ansteckende Krankheit verpassen könnte! Ach, von all dem träumt sie nur. Draußen spreizt sich das schönste Sommerwetter auf den abgeblühten Weißdornbäumen, und Ditte hockt ohne Menschenkind vor den Schutthaufen, die Pablo und Arnal hinterlassen haben. Daß Menschenkind sein Versprechen nicht halten würde, ihr in dieser schweren Bedrängnis der ins Haus stehenden Modernisierung, die jetzt im Sommer mit Ofenabriß beginnt, beizustehen oder sogar zu helfen, hätte sie sich an fünf Fingern abzählen können. „Termine, mein Kind, Termine", hat er sich herausgeredet.

Pünktlichkeit, Disziplin, Ordnung und Treue, das zeichne die Deutschen aus, hatten Pablo und Arnal, die wie die Kümmeltürken schuften, obwohl sie aus Kuba und Pakistan kamen, lobpreisend über die Nation verkündet, der sie sogar den Weltmeistertitel gönnten, ja, sie schienen ihn ihr sogar zu wünschen. Der Pakistani will es aber ein für allemal wissen. Er hebt seine dunklen, dichten und langen Wimpern, läßt seine braunen Pupillen durchs Augenweiß rollen, fast verzweifelt und ein wenig, als tue er etwas Unanständiges, in Dittes Gesicht nach Erlaubnis forschend, stellt er die Frage, die er wie den letzten Versuch beim Elfmeterschießen ins Tor bringt: „Bitte. Was bedeutet deutsch? Pakistan heißt heiliges Land, aber Deutschland? Disziplin und Ordnung?"

Ditte muß gestehen, daß sie so etwas nicht weiß und macht Miese bei den beiden. Wie das wohl sein könnte, nicht zu wissen, was man sei, ach, du armes Deutschland. Ditte steht auf aus ihrer Hocke und ruft Menschenkind an, dessen Anrufbeantworter jedem versichert, er beantworte keine Anrufe, dann greift sie nach dem Lexikon.

Die beiden Abreißer waren schon wieder beim Abreißen, und in die Staubwolken hinein ruft Ditte ihren Befund: „Deutsch kommt von deutlich." „So wie: Sprich deutlich?" Das schien Pablo, der Kubaner, öfter zu hören, sagt man doch den Kubanern nach, sie sprächen wie mit einer heißen Kartoffel im Mund. „Ja, derb und deutlich, wie das Volk spricht!" Arnal seufzt vieldeutig „Cola haben Sie?" „Habe ich nicht, hole ich aber", spricht Ditte und verschwindet aus der Staubwolke in den Straßenlärm.

Die beiden sind dankbar über die Gabe und regelrecht aus dem Häuschen, als ihnen im Deckelboden der Flaschen der Gewinn von Endspieltickets in Aussicht gestellt wird. Aber korrekt, wie sie sind, geben sie ihren Gewinn der Eigentümerin, die ja schließlich bezahlt hat.

Da steht sie nun, auserwählt und ohne Partner. Nur mit Menschenkind hätte sie sich das angetan. Wie von Pauken und Trompeten begleitet, blitzt die Idee auf: Das ist die Strafe des Herrn. Herrlich. „Hier, für Sie beide, ich mach mir nichts aus Fußball." Wenn die jetzt nicht doch denken, deutsch heißt eigentlich blöde ... Brigitte Struzyk

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