Ausgabe 06 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Müsliriegel gegen Ratten

Über die Methoden, einen Schadnager zu vergrämen

Der menschliche Umgang mit Tieren ist mitunter paradox: Während selbsternannte Tierschützer Laborratten in die Freiheit entlassen, wo sie dann von ihren eigenen Artgenossen beseitigt werden, Liebhaber ihre überzüchteten Kätzchen zu Tode streicheln und anarchistische Punks sich Hunde zulegen, um auch mal den Herren zu spielen, sind es Schädlingsbekämpfer, die ihren Opfern echtes Verständnis, gar Sympathie entgegenbringen. Joachim Folté zum Beispiel, Inhaber eines staatlich geprüften Schädlingsbekämpfungsbetriebes, kann leicht nachvollziehen, daß sich Marder lieber eine zusätzliche Junggesellenwohnung zulegen, während das Weibchen die Kinder hütet, oder daß junge Küchenschaben schon um die Mittagszeit unterwegs sind, um nicht von den älteren, nachtaktiven Artgenossen gefressen zu werden.

Befragt man Folté über die spezifischen Vernichtungsarten von Ratten, Heimchen, Parkettkäfern, Kräuterdieben, Pharaoameisen und anderen Schäd- und Lästlingen, beginnt er stets mit einem kurzen Vortrag über deren Umgangsformen, Eßgewohnheiten und Lieblingsplätze. Zur Vernichtung der Tierchen, die Vorräte ruinieren, Bauten beschädigen oder Krankheiten übertragen, hilft nur genaueste Kenntnis ihrer Lebensgewohnheiten. So verwundert es nicht, daß der Profi über stümperhafte Tilgungsversuche schimpft. Mit Rattengift aus dem Baumarkt füttert man mitunter die Schadnager, statt sie umzubringen ­ noch dazu mit dem Risiko, die Biester gegen weitere Gifte resistent zu machen. Und über althergebrachte „Vergrämungsmethoden", wie den Einsatz von Hamstern oder Meerschweinchen, deren Quieken angeblich dem einer sterbenden Ratte gleicht, kann er nur müde lächeln.

Daß man gerade bei Ratten immer neue Mittel und Wege suchen muß, um ihre Vermehrung zu verhindern, stellt eine besondere Herausforderung dar. Lebendfallen sind in Deutschland gänzlich verboten. Die Viecher unter Schmerzen krepieren zu lassen, verbieten ebenfalls die Tierschutzbestimmungen. Sie schnell um die Ecke zu bringen, wäre sinnlos, würden dadurch doch nur ihre Angehörigen gewarnt. Also bleibt nur ein ausgefallenes Fraß-Köder-Verfahren, das den nahrungssuchenden Nagern einen perfiden Blutgerinnungshemmer verabreicht, der sie erst nach fünf Tagen schmerzfrei und für die mißtrauischen Artgenossen nicht mehr nachvollziehbar verbluten läßt.

Um zu vermeiden, daß das Gift die Zielgruppe verfehlt, gibt es für jede Schadnager-Größe eigens entwickelte Köder-Gehäuse. Zudem ist es mit einem für Ratten und Mäuse nicht schmeckbaren Bitterstoff angereichert, so daß ein versehentlich angelocktes Menschenkind die Mahlzeit gar nicht erst verspeisen und ein verfressener Hund sie sofort wieder auskotzen würde. Keine übertriebene Vorsichtsmaßnahme, ähneln doch einige der Leckereien wie der „Ratron Power Pack" beliebten Müsliriegeln und verwendet Folté als Köder für die klassischen Mauseschlagfallen gar das gute Nutella.

In Berlin gibt es mehr als doppelt so viele Ratten wie menschliche Einwohner. Doch kommen wir damit ganz gut weg ­ in Hamburg ist das Verhältnis aufgrund der Hafenlage wesentlich ungünstiger, und in Kairo kommen auf einen Einwohner sogar zwölf Ratten. Das Ziel kann also nur sein, die Vermehrung und Verbreitung auf einem annehmbaren und für den Menschen unbedenklichen Niveau zu halten; an eine Ausrottung ist nicht zu denken. Dennoch ist Rattenbefall in Berlin sogar meldepflichtig. Bis 1997 übernahm das Land zwar nicht die Kosten für die Aufhebung der „Rattensicherheitsmängel" wie undichte Kellertüren oder unzureichend verputzte Kabelstränge, aber bezahlte immerhin die professionelle „Nagertilgung". Seitdem die Hausbesitzer alles selbst zahlen müssen, ist denn auch ­ zumindest statistisch gesehen ­ die Rattenpopulation deutlich zurückgegangen.

Für Foltés Familienbetrieb brachte diese rein politische Lösung jedoch keine Einbußen. Er wird weiterhin größtenteils von Hausverwaltungen beschäftigt, die aufgrund von Anzeigen seitens ihrer Mieter gegen „erhöhte Wühltätigkeit" im Hof, Nagespuren im Kellergewölbe und die Häufung des wie Olivenkerne aussehenden Nagetierkots im Vorratsraum tatsächlich zur Tat schreiten.

„Diskretion ist Ehrensache" prangt auf Foltés Visitenkarte. In Deutschland, berichtet er, sei diese Zusage notwendig, damit der Auftraggeber keine üble Nachrede der Nachbarn befürchten muß. Eigentlich unverständlich. Folté erzählt, daß in den USA sogar Hotels und Restaurants mit dem Gutachten eines Hygiene- und Schädlingsinspekteurs werben. In Deutschland wollte einmal eine Schnellrestaurantkette mit einem ähnlichen Zertifikat die Gäste beeindrucken und vergrämte damit prompt fast 70 Prozent ihrer Kunden.

Susann Sax

 
 
 
Ausgabe 06 - 2004 © scheinschlag 2004