Ausgabe 06 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

In der Welt der Industriebau-AGs

Kritik am Bau (IV): die Berlinische Galerie

Für den stolzen Architekten ist ein Museumsbau die schönste aller Aufgaben. Hier kann, ja soll er aus dem Vollen schöpfen, mutig zur internationalen Avantgarde aufschließen, die großen Traditionen zu neuer Blüte führen. Aber so beeindruckend das Ergebnis oft ist, so umstritten ist es auch. Viele Museen der letzten Jahrzehnte erwiesen sich nicht nur finanziell, sondern auch ausstellungstechnisch als Überforderung. Nur schön, das sind sie!

Die Berlinische Galerie ist anders. Die Kunst-, Fotografie- und Architektursammlung mit dem provinziell klingenden Namen – sie umfaßt vor allem aus Berlin stammende oder sich auf Berlin beziehende, vorwiegend moderne und zeitgenössische Werke – ist seit der Gründung 1975 auf Wanderschaft. Einige Jahre kam sie im Martin-Gropius-Bau unter, dann sollte sie erst ins Postfuhramt in Mitte und später in die Kreuzberger Schultheiss-Brauerei. Beides scheiterte, und lange konnte man die Sammlung nur in Gastausstellungen bewundern. Erst vor einem Jahr fand man in der Alten Jakobstraße 124-28 in Kreuzberg einen Standort: ein altes Lager für Fensterglas, das Westberlin im Krisenfall von Importen unabhängig machen sollte. Jetzt wird ein Gesamtberliner Landesmuseum daraus, im August ist Fertigstellung, im Oktober Eröffnung. Wo bleibt das Raunen der Hauptstadtpresse, wo sind die Politiker und Architekturtouristen?

Daß das übliche Berliner Stadtmarketing hier einen schweren Stand hat, merkt man schon beim Spaziergang durch die Nachbarschaft. Sie besteht aus Grünflächen, Spielstraßen und Sozialem Wohnungsbau aus den Achtzigern. Der Gegend ist jedes Metropolengehabe fremd. Ein türkisches Theater und eine Waldorfschule sind in der Nähe, ebenso das ehemalige Westberliner Stadtmuseum – eher versehentlich wurde sein „Anbau", das Jüdische Museum, zum berühmtesten Museumsneubau unserer Zeit. Seitdem ziert das Logo mit dem expressiven Grundriß die Laternenpfähle: Wegweiser, die dafür sorgen, daß sich kein Besucher in der grünen Vorstadthölle verläuft.

Solche Wegweiser könnte auch die Berlinische Galerie gebrauchen. Aber das kann sie sich nicht leisten, aus Geldmangel und auch, weil ihr Grundriß nicht als Logo taugt: Die Ausstellungshalle ist quadratisch, ein schlichter, elf Meter hoher Kasten, schüchtern hinter dem eigenen Bürotrakt versteckt. Der viergeschossige Sechziger-Jahre-Bau schottet die Halle von der Straße ab und sieht trotz Renovierung eher nach Arbeitsamt aus als nach Kunstmuseum. Um dennoch Passanten anzulocken, will man quer zur Straße eine riesige Wand davorgesellen, in der Flucht der Ausstellungshalle, genauso hoch wie diese und im gleichen strahlenden Weiß – kein schräges, dekonstruktivistisch-wirken-wollendes Betonsegel, wie man sie an den Kommerzbauten der Neunziger findet. Vielmehr ein sachlicher Hinweis: Seht, hier hinter ist was. Zusätzlich zu diesem architektonischen Wegweiser soll ein graphisches Element die Einfahrt betonen. Die ganze Fläche wird mit einem quadratischen Raster gelbgerahmter Buchstaben bemalt – den Namen der wichtigsten Künstler der Sammlung. Der Eingang zur Ausstellungshalle wiederum wird architektonisch ausgestaltet und wirkt großzügig, fast klassisch-modern.

Im Inneren: Beton und weißer Rigips, weiter nichts. Weil Kunst nicht so hohe Wände braucht wie früher das Westberliner Schaufensterglas, hat man eine zweite Ebene eingezogen. Dramatische Höhe gewinnt die Halle nur in zwei langgezogenen Seitenschiffen und im Zentralraum. Hier stören zwei sich kreuzende Freitreppen die allgemeine Rechtwinkeligkeit. Diagonal queren sie den doppelgeschossigen Raum, man blickt nach oben, erwartet eine Kuppel, ein Oberlicht, irgendeine große Geste – aber da ist nur die weiße Akustikdecke, die die Arbeiter gerade unter das Blechdach hängen.

„Tageslicht", kommentiert Direktor Jörn Merkert trocken, „ist ein Effekt, den ich nicht gebrauchen kann". Für die sehr heterogene Sammlung – Fotos, Gemälde, Grafiken, Modelle – müssen Beleuchtung und Raumtemperatur ständig kontrolliert werden. Ein Oberlicht wäre also meist verdunkelt. Und so wurde es kurzerhand eingespart, samt der effektvollen Schattenspiele, die Architekten so lieben. Und ein paar Fenster, ein schöner, entspannender Ausblick? Für Merkert nicht nötig: „Jedes Bild ist ein Fenster." Und die dramatischen Raumfolgen, die in anderen Museen den Weg durch die Jahrhunderte weisen? Die Tunnel, Schluchten, Brücken, die symbolhaft in die Zukunft, Ferne oder Höhe strebenden Rampen, die dem Besucher den Atem rauben? Nichts für Merkert. Je unhierarchischer und übersichtlicher der Raum, desto besser: „Der Besucher bestimmt, wo er hinwill."

Im neuen Pei-Anbau des Deutschen Historischen Museums findet sich so viel Baukunst-Spektakel, daß für eine Ausstellung fast kein Platz ist. In Libeskinds Jüdischem Museum, das ursprünglich gar keine Sammlung hatte, kann sie nur mit aufdringlichen Messebau-Tricks vor der grandiosen Architektur bestehen. Der Bau der Berlinischen Galerie hingegen wurde, glaubt man dem Direktor, „für die Sammlung maßgeschneidert". Und kein Pei und kein Libeskind waren beteiligt, sondern ein Projektentwickler namens DIBAG Industriebau AG, mit einem Architekten, dessen Namen selbst die Museumsmitarbeiter „nicht wichtig" finden.

Die DIBAG hatte die Immobilie dem Senat unter der Bedingung angeboten, daß sie selbst den Auftrag für den Umbau bekäme. Sie bekam ihn, mit einem so strengen Zeit- und Kostenplan, daß sogar der Finanzsenator das Projekt hinfort in Ruhe ließ. Ungestört konnte die Museumsleitung die Details aushandeln und auch nach Baubeginn noch mitbestimmen. Heraus kam ein Sparpaket, aber ein gutes. Der Bau ist bescheiden und effizient, wie es sich für eine bankrotte Stadt gehört. Er ist modern, mit offenen Wegen und freier Raumaufteilung, wie es die Sammlung braucht. Er hat eine Vorgeschichte als Lagerhalle, eine Straßenfront wie ein Arbeitsamt und eine Nachbarschaft voll verarmter Großfamilien; er steht, wie die Museumsmitarbeiter sagen, „mittendrin in der Berliner Realität". Eine Realität für Industriebau-AGs – nicht für stolze Architekten

Johannes Touché

Foto: Antje Lüddecke

 
 
 
Ausgabe 06 - 2004 © scheinschlag 2004