Ausgabe 06 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Schauspieler im eigenen Wohnzimmer

Ein Theaterstück wird versteigert

Wer erinnert sich noch an das Wort „Cocooning", das irgendwelche Trendforscher vor einigen Jahren in die Welt gesetzt haben? Klingt natürlich schicker als Häuslichkeit oder Rückzug in die eigenen vier Wände, wo einem angeblich nichts Schlimmes passieren kann. Alles zum Leben notwendige bestellt man sich im Internet und braucht gar nicht mehr rauszugehen in die feindliche, laute Großstadtwelt. Wenn man nicht andere Bedürfnisse hätte, wie zum Beispiel Theater. Wem als Phobiker selbst dieser Weg zu gefährlich ist, kann sich jetzt für einen Abend Theater nach Hause holen – wenn er das nötige Kleingeld hat, um sich bei eBay ein Stück zu ersteigern. living ROOMS wird es passenderweise heißen. Gespielt wird nur für den Ersteigerer und die Leute, die dieser dazu einlädt. Also eine ganz sichere Sache. Und: keine schniefenden Sitznachbarn, die ständig mit dem Programm rascheln.


Illu: Björn Speidel

Der reine Kommerz in Gestalt von eBay und Theater als Kunstform, wie geht das zusammen? „eBay ist der Weg, wie man zu Leuten nach Hause kommt durch die Anonymität, das heißt: Weder Käufer noch Verkäufer wissen, was auf sie zukommt. Aus Sicht des Theatermachers ist das toll. Irgendwo hinzugehen und nicht zu wissen, was einen erwartet", sagt der Regisseur Tobias Rausch. Er und seine Mitstreiter von der freien Theatergruppe lunatiks-Produktion haben schon öfter mit solchen ungewöhnlichen Projekten auf sich aufmerksam gemacht, zuletzt mit dem Stück Alles muß raus, einem Schauspielerschlußverkauf im Theaterdiscounter Berlin.

Die Idee zu living ROOMS ist von den im Fernsehen grassierenden Wohnungsumgestaltungsshows inspiriert, wo wildfremde Designermenschen mit Handwerkern in Wohnungen einfallen, um sie nach ihren Vorstellungen zu verändern. Das haben die lunatiks-Leute nicht vor. Es geht nur um Theater der ungewöhnlichen Art. Bei eBay war man von der Idee angetan und gab noch ein paar Tips, wie man das Gebot einstellt. Von der Sache her wird das Projekt nicht anders gehandelt als ein Auto. Einstiegsgebot ist ein Euro. Der Rest wird sich zeigen.

Ganz allein steht die Truppe zwar nicht da, die Sophiensæle koproduzieren. Trotzdem hängen die Finanzen einzig und allein vom Erfolg oder Mißerfolg der Versteigerung ab. Dazu Tobias Rausch: „Wir hoffen schon, daß ein bißchen Geld reinkommt. Ich wäre blöd, wenn ich sagen würde, daß es uns egal ist. Wenn nicht, haben wir Pech gehabt, hatten Spaß und sind ein bißchen klüger." Das Risiko tragen also die lunatiks-Leute ganz allein. Der Ersteigerer hat den Kitzel beim Zocken und natürlich zu Hause. Im Vorfeld des Abends wird bei einer Ortsbegehung mit dem Gastgeber geklärt, welche Räume genutzt werden dürfen. Dann ist noch Zeit, eventuell gefährdete kostbare Antiquitäten aus dem Weg zu räumen.

Das Stück besteht aus Handlungsbausteinen, die an bestimmte Orte gebunden sind, etwa die Küche oder das Schlafzimmer. Der Gastgeber kann also nur Einfluß ausüben, indem er den einen oder anderen Raum zur nicht-bespielbaren Zone erklärt. Zum Stück verraten die Macher nur so viel: Eine Frau befindet sich allein in ihrer Wohnung, in der sich plötzlich etwas verändert, vielleicht kommt ein Fremder, vielleicht passiert etwas anderes. living ROOMS funktioniert so auch als Spiegel der Realität, denn die Truppe dringt in die fremde Lebenswelt des Gastgebers ein und durchbricht die Routine seiner alltäglichen Wohnsituation. Hierbei muß sie sich mit dem Vorgefundenen arrangieren und erhält dafür etwas, das auf keiner Bühne möglich ist: den direkten Kontakt zum Zuschauer, sozusagen Basistheater.

Der Ersteigerer bekommt einen ganz exklusiven Abend nur für sich und den erlauchten Kreis seiner Gäste. Tobias Rausch verspricht: „Witzige, absurde Sachen werden stattfinden, vielleicht auch welche, die mit Romantik oder einer Beziehung zu tun haben. Es gibt richtige Figuren, eine richtige Geschichte. Und die, die dabei waren, können sagen: Pech gehabt, ihr wart nicht da."

Ingrid Beerbaum

> „living ROOMS" ab dem 21. August an vier Sonnabenden um 20 Uhr, Versteigerungsdaten auf www.ebay.de (Rubrik Tickets>Kultur&Events>Theater)

 
 
 
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