Ausgabe 06 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Bunt und beliebig: Die Literaturzeitschrift ndl nach ihrem Ende

Als der Aufbau Verlag letztes Jahr bekanntgab, seine traditionsreichen Haus-Zeitschrift neue deutsche literatur (ndl) aufgeben zu wollen, war das Geschrei groß. Es gab eine große Benefiz-Lesung – und auch schon bald einen neuen Verlag, dem der gut eingeführte Name verlockend schien.

Nun war die Zeitschrift unter Chefredakteur Jürgen Engler in den letzten Jahren kaum durch besonders spannende Literatur oder Debatten aufgefallen, schien eigentlich alles andere als unverzichtbar. Hier wurden gediegene Essays etwa von Friedrich Dieckmann oder Gedichte zum Thema „antike Mythen" veröffentlicht, die jungen milden Lyriker um Björn Kuhligk und Jan Wagner wurden ebenso gedruckt wie natürlich die Autoren des Aufbau Verlags, häufig die unsägliche Tanja Dückers; außerdem wurde ein Literaturpreis ausgelobt: reichlich dröge eingegrenzt auf die „erzählenden" Genres Novelle und Roman.

Zur Rettung der ndl ist jetzt also der Verlag Schwartzkopff Buchwerke (Hamburg/Berlin) in die Bresche gesprungen; Heft 1 des 52. Jahrgangs erschien mit Verzögerung im Mai. Was zunächst auffällt: Die neue ndl ist knallbunt und enthält magazinartige Bildstrecken. Im Heft 2 gibt es z.B. Bilder vom „Potsdamer Platz Canyon" zu einem belanglosen Text von Günter Drommer, der von der „frierenden Herde" der Bauwerke im märkischen Sand schwadroniert, während Heft 1 Portraitfotos von DDR-Schriftstellern bringt. Diese Grablegung der Tradition wird mehr als abstrus kommentiert: „Nicht wenigem, was jener Teil unserer deutschen Nationalliteratur hervorbrachte, der auf einem sich vorübergehend DDR nennenden Territorium entstand, haftet der Geruch des Subversiven an. Die Qualität des Gedachten und hernach in Worte Gebrachten machte diese Literatur schon im Entstehen unangreifbar. Sie wird weiter leben."

Man findet auch weiterhin jenen Teil der deutschen Nationalliteratur, den letztes Jahr die Dumont-Anthologie Lyrik von jetzt versammelt hat, Autoren wie René Hamann oder Ron Winkler. Insgesamt herrscht der Eindruck einer ziemlichen Beliebigkeit vor. Neben einer Preisrede von Wim Wenders ­ garniert mit Fotos seiner Gattin ­ findet man beispielsweise eine Polemik von Gerhard Zwerenz, einen Essay über „Deutschlands Stagnation" von Enno Stahl oder Überlegungen, wie es sich anfühlt, 40 zu sein. Wo sie aber in Debatten eingreifen will, da fällt die neue ndl ganz auf die Schnauze: In der Rubrik „Kulturstreit" meinte man gar, die Debatte um Mel Gibsons Jesus-Film bereichern zu müssen ­ mit einem Essay der amerikanischen Bestseller-Autorin Phyllis Chesler. Dort müssen wir Sätze lesen wie: „,Die Passion Christi' ist kinematographisch gesehen ein fantastischer Film. Wie bei Richard Wagner und Leni Riefenstahl ist er technisch sensationell, gebieterisch und unübertrefflich manipulativ."

Herausgeber Peter Schwartzkopff sieht Literatur als „Spielort und Sinnstiftung". Was er mit seiner Zeitschrift wirklich beasichtigt, ist nach den ersten beiden Heften unklar. Daß hier ein Erbe veruntreut worden wäre, kann man aber auch nicht sagen. Dafür war die alte ndl einfach nicht gut genug.

Peter Stirner

> „ndl", die „Zeitschrift für Literatur und Politik" erscheint monatlich und kostet 6 Euro, www.schwartzkopff-buchwerke.de

 
 
 
Ausgabe 06 - 2004 © scheinschlag 2004