Virenalarm
Zwei Bücher über die reale und mediale Wirkmächtigkeit der Virus-Metapher
Im Jahr 1763 setzte eine reguläre Armee zum ersten Mal in der Geschichte bewußt einen biologischen Kampfstoff ein. Die damaligen Mittel waren beschränkt, die Folgen trotzdem verheerend. Die Indianderstämme zwischen New York und Virginia hatten sich gegen die britischen Invasoren verbündet, mehrere Forts zerstört und der britischen Armee und Siedlern große Verluste zugefügt. Viele von ihnen waren in das hoffnungslos überfüllte Fort Pittsburg geflüchtet, worauf dort die Pocken ausbrachen. Bei einer Verhandlung unterbreiteten die Indianer ein Friedensangebot. Der Kommandant des Forts, Hauptmann Ecuyer, bedankte sich für dieses Angebot und überreichte den Häuptlingen zwei Decken und zwei Taschentücher. Es waren höchst makabere Gastgeschenke. Sie stammten aus dem Hospital und waren mit Pocken verseucht. Dies war kein Versehen. Das britische Oberkommando selbst war auf diese Idee gekommen, die aufständischen Indianer so zu bekämpfen. In den folgenden zwei Jahrhunderten grassierten die Pocken unter den Indianern, und mehr als die Hälfte von ihnen erlag der Krankheit.
Bedrohliche Fremdkörper
Damals wußte niemand, daß hinter dieser hinterhältigen Form der Kriegsführung ein Virus steckt. Inzwischen haben AIDS, Ebola und Visionen von Bio-und Cyberterrorismus die Fülle der Bilder von der Bedrohlichkeit des Viralen geradezu explodieren lassen. Der Sammelband Virus! von Brigitte Weingart und Ruth Mayer setzt genau an dieser Stelle an und untersucht die Vielschichtigkeit dieser Metaphernbildung. Zwar liegt es nahe, auf die mediale Allgegenwart von Viren in Form eines Sammelbandes zu reagieren, doch muß man den Herausgeberinnen zu der umfassenden Zusammenstellung gratulieren. Die Beiträge nähern sich dem Thema aus der Medizin- und Wissenschaftsgeschichte, der Informatik und den Kultur- und Geisteswissenschaften. Trotz dieser Interdisziplinarität sind die Texte fast ausnahmslos gut lesbar und bestechen durch große Anschaulichkeit.
Worin liegt nun aber die Faszination dieses Themas? Das Unheimliche an Viren egal ob sie den eigenen Körper oder nur den Firmencomputer befallen ist der Vorgang der Infizierung: Es beginnt mit einem unbemerkten Einnisten im Wirtsorganismus, gefolgt von der Umcodierung der Zellen bzw. der Software zu eigenen Zwecken. Dann startet die Produktion der Virenkopien, und die meist rasante Infizierung benachbarter Betriebssysteme oder Körper nimmt ihren Lauf. Die Wandlungsfähigkeit und die Geschwindigkeit der Verbreitung von Viren sind dabei genauso beängstigend wie der Vorgang, etwas Eigenes in etwas Fremdes zu verwandeln.
Medienviren
So wandlungsfähig der Virus als biologisches Objekt ist, so vielgestaltig spiegelt er sich auch im sprachlichen Gebrauch. In dem Sammelband findet sich ein Beitrag des Kulturwissenschaftlers Philipp Sarasin. Dieser ist ein Auszug aus dem zeitgleich von Sarasin veröffentlichten Buch: Anthrax. Bioterror als Phantasma. In dem höchst lesenswerten Essay untersucht er, wie Anthrax, also der Erreger des Milzbrandes, nach den Anschlägen des 11. September zu einer Metapher wurde, die ein neues bioterroristisches Bedrohungsszenario schuf. Zwar ist Anthrax kein Virus, sondern ein Bakterium, aber die Bush-Regierung nutzte die Panik vor Biowaffen und setzte Anthrax mit Bioterror in eins. Wie sich zeigen sollte, spielten in der weiteren Argumentation weder wissenschaftliche noch die politischen Hintergründe eine allzu große Rolle Anthrax wurde zu einem losgelösten Medienvirus.
Obwohl der Terroranschlag der Al-Qaida in keinem Zusammenhang mit den kurz darauf verschickten Anthrax-Sendungen stand, brachte die US-Regierung die Anschläge durch Flugzeuge mit einer Bedrohung durch Mikroben zusammen. Über den so konstruierten Zusammenhang lenkten sie die Aufmerksamkeit auf den Irak und dessen angebliches Biowaffen-Arsenal. Dabei kam es weniger auf die argumentative als vielmehr auf die suggestive Verknüpfung an. Die Bush-Administration rief dann in ihrem War On Terror" zur Eliminierung der terroristischen Parasiten auf.
Soziales Fieber nützliche Paranoia
Die Wirkung einer solchen Gleichsetzung von Bakteriologie und Politik läßt sich zwar gut instrumentalisieren, ist aber verhängnisvoll: Es setzt ein rassistischer Diskurs ein, der alles Fremde zur Bedrohung macht. Und da es nicht möglich ist, diese Bedrohung zu beseitigen, entsteht eine paranoide Situation. Innenpolitisch reagierte die Bush-Regierung auf diese durchaus gewollte Verunsicherung mit Gesetzesänderungen und beschnitt die Bürgerrechte. Außenpolitisch zeigte sich die Wirkung in Form von zumindest einem zweifelhaften Krieg und in der Art der Kriegsführung: Wenn der Feind enthumanisiert, als parasitär und mikrobenhaft bezeichnet wird, sind Mißhandlungen, wie sie im Irak und Afghanistan begangen wurden, nicht verwunderlich.
Dabei handelt es sich keinesfalls um ein neues Phänomen. Das Bild des Angreifers als Parasit und Eindringling in den gesunden Körper reicht, wie Sarasin zeigt, bis ins 19. Jahrhundert zurück. Bedroht von dem Fremden waren sowohl der individuelle wie auch der Körper der Nation. Geschickt reaktivierte die Bush-Regierung dieses Bedrohungsszenario.
Der Wert von Sarasins Arbeit liegt in der Warnung vor einer Biologisierung der Politik. Dabei vermeidet der Autor weitgehend eine verschwörungstheoretische Spurensuche und zeigt stattdessen die Folgen und Wirkmächigkeit einer Metapher auf. Bestimmt diese den gesellschaftlichen Diskurs, finden rassistische Argumentationsmuster Eingang in das politische Handeln. Eine scheinbar harmlose Metaphernbildung wird zu einem allgegenwärtigen Phantasma. Es ist, um bei dieser Biologisierung zu bleiben, als ob sich die Metapher oder vielmehr der (Medien-)Virus verselbständigt und sich gegen seinen eigenen Wirt richtet.
>Ruth Mayer und Brigitte Weingart (Hg.): Virus! Mutation einer Metapher. Transkript Verlag, Bielefeld 2004. 25,50 Euro
> Philipp Sarasin: Anthrax. Bioterror als Phantasma. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 8 Euro