Ausgabe 06 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Systemkonfrontation einmal ganz entspannt

Eine Ausstellung zeigt erstmals die ostdeutsche Baugeschichte gleichberechtigt neben der des Westens

Mitunter muß es wohl ein Blick von außen sein, der einem nahebringt, daß es gerade die Differenz sein kann, die eine Sache reizvoll macht. Die Ausstellung Zwei deutsche Architekturen 1949- 1989 zeigt deutsche Architektur zwischen 1949 und 1989 in Ost- und in Westdeutschland, Veranstalter ist das Institut für Auslandsbeziehungen. Die Zusammenschau der Baukunst wird noch bis 29. August in Hamburg zu sehen sein. In den nächsten zehn Jahren wird sie durch aller Herren Länder wandern und zeigen, daß die beiden Teile Deutschlands eine je eigene Baukultur hervorgebracht haben. Jedoch geht es nicht darum, wie der Besucher vielleicht erwarten würde, die eine Baukultur explizit gegen die andere in Kontrast zu setzen. Oder gar zu bewerten, wo die wertvolleren Bauwerke entstanden wären. Das Anliegen der Ausstellung ist es, einem Außenstehenden gemeinsam die Geschichte der deutschen Architektur zu erzählen.

Dieser Zugang ermöglicht, tatsächlich eine gemeinsame Geschichte des Bauens zu entdecken. Das erste Bild, auf das der Besucher zugeht, ist der Blick auf die Ruinen des zerstörten Dresden 1945. Es ging um das Aufbauen, im Osten genauso wie im Westen. Und in beiden Teilen Deutschlands ging es darum, sich mit einer belasteten Geschichte auseinanderzusetzen und für ein neues Denken, das im klaren Kontrast zur Nazi-Ideologie stehen sollte, einen baulichen Ausdruck zu finden. Statt die Geschichte in ihrer Chronologie abzuhandeln, haben sich die Kuratoren dafür entschieden, die Ausstellung nach Aufgaben zu gliedern, die es baulich zu bewältigen gab. Den Wiederaufbau, die Versorgung breiter Schichten der Bevölkerung mit Wohnraum, den Bau von Kulturstätten, die Aufgabe, die Konsumbedürfnisse einer Massengesellschaft zu befriedigen.

Es sind nicht in erster Linie die Unterschiede, sondern die Gemeinsamkeiten, die verblüffen. Und es ist die Unaufgeregtheit im Herangehen, die überrascht. Die Baukulturen in Ost und West werden dem Besucher schlicht gezeigt. Eine Stadthalle im Westen, eine Stadthalle im Osten. Es werden nicht nur die üblichen Architekturfotografien ausgestellt, sondern fast immer auch ein Luftbild, das das Gebäude im Stadtbild zeigt und eine Innenaufnahme. Man soll in die Bauten hineingehen können, nicht allein die Architektur erfassen, sondern eine Idee bekommen, was es für das Lebensgefühl ausgemacht haben könnte, sich in dieser oder jener gebauten Umwelt zu bewegen. Neben den Fotos sind Modelle und Pläne zu sehen. Wer immer noch nicht satt ist an Eindrücken, der hat die Möglichkeit, anhand weiterer Ansichten, die in Schubladen verborgen sind, eine noch komplexere Anschauung der Gebäude zu gewinnen. Wie ein Film soll das Ganze wirken, so die Kuratoren. Der Eindruck eines Films entsteht zwar nicht, doch sind es tatsächlich in erster Linie die vielen verschiedenen Blickwinkel und Dimensionen, die den Betrachter gefangennehmen, die Sinnlichkeit des Eindrucks, der auf diese Weise entsteht und die Fülle der Bilder. Dieser Fülle allerdings wird die Tiefe der Erläuterungen geopfert. Die Informationen auf den Tafeln beschränken sich auf das Wesentlichste.

Vier Jahre lang haben zwei Kuratoren aus Ost und West diese Ansichten zusammengetragen. Überhaupt zum ersten Mal wird DDR-Baugeschichte umfassend dargestellt. Simone Hain, die 1990 Chefin der Theorie und Geschichte an der Bauakademie der DDR wurde und später an deren Nachfolgeinstitut IRS forschte, hat in jahrelanger Kleinarbeit Pläne und Fotografien von DDR-Architektur vor Reißwölfen gerettet und gesammelt, mit dem Ziel, diese Schicht von Baugeschichte zu dokumentieren. Nun ist es endlich vollbracht. Erstmalig steht sie gleichberechtigt neben der des Westens. Ein ungewohnter Anblick, der von den Besuchern erstaunlich selbstverständlich wahrgenommen wird.

Daß die Baugeschichte des Ostens mehr mit der des Westens zu schaffen hat, als man gewöhnlich meint, offenbart sich auch wiederum im gemeinsamen Erzählen der Geschichte. Die Entwicklungen der Stile waren zwar teilweise komplementär, aber keineswegs unabhängig. Wie viele Menschen wissen, daß eine Bezugnahme auf das Bauhaus in der Westrepublik in den Anfangsjahren noch als „baubolschewistisch" galt? Die Wende hin zu einem radikaleren modernen Baustil erfolgte im Westen als unmittelbare Reaktion darauf, daß im Osten, wo man zuvor viel freier experimentiert hatte, von Stalin der „Zuckerbäckerstil" verordnet wurde. Daß in Westberlin das während der Interbau 1957 mit den international bekanntesten modernen Architekten errichtete Hansaviertel als Antwort auf die „Stalinallee" zu lesen ist, ist weitgehend bekannt. Als nach dem Mauerbau 1961 auch in der DDR eine Hinwendung zum internationalen modernen Baustil stattfand, entschärfte sich der Druck, im Westen zu behaupten, daß freiheitlich demokratische Baukultur im direkten Widerspruch zur Tradition stehen müsse. Diese Ebene der „gemeinsamen" Geschichte vermittelt sich leider nicht durch die Ausstellung selbst, sondern erst durch die Aufsätze im begleitenden Katalog. Ebenso wie ein weiterer Aspekt, der bei einem Vergleich der Architekturen von Bedeutung ist: der, daß im Osten der Architekt als individueller Künstler kaum eine Rolle spielte, daß es vielmehr Kollektive waren, die gemeinsam an Bauaufgaben arbeiteten. Daher gibt es, abgesehen von Leuten wie Hermann Henselmann, so wenige bekannte DDR-Architekten. Das bedeute jedoch nicht, betont Simone Hain im Katalog, daß sie keinen Berufsstolz gehabt hätten, wie ihnen oft vorgeworfen wird. Der Stolz der Architekten habe nur andere Dinge zum Gegenstand gehabt. Etwa, ökonomisch zu bauen und mit wenigen Mit-teln ein benötigtes Bauwerk zu schaffen. Individueller Künstler hier, Kollektiv dort. Ein wesentlicher Unterschied? Man könnte sich fragen, ob nicht auch im Architektengroßbüro der individuelle Schöpfer hinter einem Kolektiv verschwindet.

Tina Veihelmann

> Die Ausstellung „Zwei deutsche Architekturen 1949-1989" ist noch bis zum 29. August im Kunsthaus, Klosterwall 15, in Hamburg zu sehen. Sie wandert anschließend voraussichtlich nach Leipzig. Im Gespräch ist auch eine Präsentation im Palast der Republik in Berlin

 
 
 
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