Ausgabe 06 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Labor und Versuchskaninchen

Der Palast der Republik bekommt neue Nutzer

Man ist ja vom Palast der Republik einiges an grotesken Neuigkeiten gewohnt. Aber daß der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) ihn zu seinem Jahrestagungsort kürt, ist wunderlicher als alle Geschichten von Kaiserschlössern und Central Parks zusammen. Die obersten Kapitalisten im Allerheiligsten des ostdeutschen Proletariats! Ist das noch Ignoranz oder schon Häme?

Am Ende war alles halb so wild. Die Aufpasser waren freundlich, die Hostessen lustig angezogen und das Essen ausgezeichnet. Und die Industriellen bewegten sich mit großer Selbstverständlichkeit durch die halbwegs zurechtgemachten Hallen, nicht einmal die Container-Klosetts auf dem Westbalkon brachten sie aus der Ruhe. Warum man den räudigen Palast gewählt hatte und nicht etwa das ICC, erklärte der BDI-Hauptgeschäftsführer Ludolf von Wartenberg der Morgenpost so: Erstens liegt er zentraler als die anderen Kongreßzentren, und zweitens ist er billig. Zur Geschichte des Hauses hatte Wartenberg nur Versöhnliches zu sagen. Und überhaupt: „Der Palast der Republik hat in der Öffentlichkeit doch einen viel zu schlechten Ruf!" Die antikommunistischen Morgenpost-Reporter waren verwirrt. Für den BDI ist der Bau offenbar kein feindliches Symbol mehr, sondern eine eher unterbewertete Immobilie.

Kaum war der Spuk vorüber, zwischennutzte am 21. Juni der Verein Zwischen Palast Nutzung (ZPN) den Volkskammersaal für eine Pressekonferenz. Der Verein setzt sich zusammen aus dem EU-Projekt „Schrumpfende Städte", den Sophiensaelen, dem Hebbel am Ufer und verschiedenen Einzelprojekt-Partnern. Er hatte eine gute Nachricht: Vom 20. August bis mindestens zum 31. Oktober ist immerhin der zentrale Bereich des Palastes durchgängig für die Öffentlichkeit zugänglich. „Volkspalast offen" heißt die Aktion mit Tanz, Theater, Konzerten, Konferenzen. Allerhand internationale Musikgrößen sind dabei, Tresor und WMF organisieren Parties, Sasha Waltz' Tänzer bespielen (wie auch schon 2000 im Rohbau des Jüdischen Museums) die geschichtsträchtigen Räume. Außerdem Veranstaltungen, die man nicht recht einzuordnen weiß: ein „begehbarer Film", eine „Ballnacht" mit Schnupperkursen in zeitgenössischer Choreographie, zweimal täglich ein „Richtfest" zum Palastbau, bei dem man in das optimistische „Zukunftsgefühl" des Jahres 1975 zurückversetzt wird. Und ganze 14 demonstrative „Eröffnungsrituale".

Ein bemerkenswertes Programm, besonders, was die Richtfeste und Eröffnungen betrifft. Denn während sich der Palast wieder mit Leben füllt, ist das Bundesbauministerium schon mit den Vorplanungen zum Abriß beschäftigt. Zwar hat man weder dafür noch für eine Begrünung das nötige Geld, geschweige denn für einen Nachfolgebau. Dennoch bleibt der Bund dabei: Spätestens Anfang 2005 muß der ZPN raus, dann kommt der Müll weg.

„Man kann die Entscheidung des Bundestags politisch nicht in Frage stellen", formulierte listig Kultursenator Thomas Flierl, der den ZPN unterstützt. Wie dann? Natürlich kulturell. Die Zwischennutzung will die Diskussion beeinflussen, indem sie die Stimmung verändert ­ in den politischen Gremien, aber mehr noch unter den ganz normalen Bewohnern der Stadt. Der alte, rohe Bau soll sich als lebendiger Veranstaltungsort in den Hirnen festsetzen. Auf die Methode der aufrüttelnden Provokation, die in jedem zweiten Theaterstück angewandt wird, wird dabei allerdings verzichtet. Stattdessen wimmelt das Programm von offenen, weichen Vokabeln: „erkunden", „reflektieren", „neu interpretieren". Ein „urbanes Labor" will man errichten, einen „ungewissen Status" fruchtbar machen.

Ganz sacht gleitet der Palast in eine neue Rolle. Der Abschied vom DDR-Kulturhaus ist vollzogen, auch die Debatten um Moderne, Postmoderne und Barock-Imitation sind eingeschlafen. Nun wird das Haus also „Labor" ­ und gleichzeitig Versuchskaninchen. Es soll den Beweis für die These liefern, daß im Verfall auch eine Chance steckt und es die Möglichkeit, ja geradezu die Pflicht gibt, verlassene Gemäuer sinnvoll zu nutzen. Sie sind billiger und flexibler als die meisten nagelneuen Veranstaltungshallen ­ für jene, die zwischen Schönheit und Adrettheit unterscheiden, sind sie auch deutlich schöner. Diese Wahrheit ist zwar jedem Hausbesetzer längst bekannt, neu ist aber, daß sie nicht mehr politisch ausgeschlachtet wird. Es geht nicht um Freiräume, die man verteidigen müßte. Ein paar Monate Zwischennutzung, dann zieht die Kreativen-Karawane weiter. Hinter ihr beginnt die Sanierung ­ oder auch der Abriß.

So viel zur Theorie des ZPN. Sie ist pragmatisch und lakonisch, ganz auf der Höhe der Zeit. Bald werden Hauptstadtpresse und Politik sie übernehmen, der BDI ist schon so weit. Daß die Praxis doch etwas struppiger ist, merkt man nur an Details. So rutschte Matthias Lilienthal, dem künstlerischen Leiter des Hebbel am Ufer, am Ende der Pressekonferenz noch eine kleine Spitze heraus: „Wir hoffen, daß die Berliner Bevölkerung den Palast als unverzichtbaren Teil ihres kulturellen Lebens erkennt, und dann" – er konnte sich den Nachsatz nicht verkneifen – „die Politik kein Geld für den Abriß findet."

Johannes Touché

 
 
 
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