Ausgabe 02 - 2002 berliner stadtzeitung
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Einen politischen Film gibt es heute noch nicht

Kunst & Politik (II): Hito Steyerl über Perspektiven des politischen Films

Foto: Mathias Königschulte

„Ich bin der Auffassung, daß eine Kritik am Bestehenden nur geliefert werden kann, wenn auch eine Kritik der Formen artikuliert wird, in denen sich das Bestehende mitteilt und reproduziert."Hito Steyerl, geboren 1966, ist Filmemacherin und Theoretikerin politische Publizistin und hat zur Zeit einen Lehrauftrag an der Universität der Künste. Ihr aktuelles Projekt Normalität beschäftigt sich mit rechter Gewalt in Deutschland.

Derzeit läuft hier in der Stadt die Berlinale. Ist das eine Veranstaltung, die dich in irgendeiner Weise interessiert?

Ich geh nicht hin, und das hat mehrere Gründe. Einmal hab ich immer Angst, daß ich irgendetwas verpasse, also geh ich lieber gar nicht hin. Im übrigen gehe ich in den letzten Jahren fast überhaupt nicht mehr ins Kino. Diese klassische Form von Kinosaal und die Filme, die da laufen, finde ich zunehmend uninteressant. Trotz meiner ganz traditionellen Filmausbildung, gehe ich eigentlich fast nur noch in Kunstausstellungen. Der klassische Apparat des Kinos ist in den letzten 20, 30 Jahren radikal depolitisiert worden. Filme, die sich dem widersetzen, sind jetzt sozusagen aus dem Kino ausgewandert, aus dieser Rezeptionssituation des Kinos, aus dem gesamten Produktionszusammenhang der Filmindustrie. Insofern bin ich auch aus dem Kino ausgewandert.

Ich glaube, daß das Kino momentan als ganzes, als Kunstform, in einer Art Koma liegt, ja, daß es sich dabei überhaupt um eine aussterbende Kunstgattung handelt. Das Kino wird in zehn Jahren ähnlich aufregend sein wie jetzt die Oper. Es gibt da so eine verbissene Fixierung auf Triebabfuhr. Ich glaube, daß sich die interessanten Entwicklungen heute innerhalb anderer Bereiche abspielen. Das einzig Neue am Kino ist, daß immer weniger zu sehen ist ­ das Bild dünnt als Video aus oder wird durch naturalistische digitale Kulissenmalereien oder Computermännchen ersetzt. Das ist billiger. Wir können also hoffen, daß es sich bald bis zur totalen Unsichtbarkeit weginnoviert.

Du bist einerseits als politische Publizistin und Theoretikerin tätig, andererseits als Filmemacherin. Ist das eine Fortsetzung des selben Projekts mit anderen, mit ästhetischen Mitteln?

Ich würde nicht sagen, daß Filmemachen per se ästhetisch ist und die Textproduktion politisch. In beiden Medien durchdringen sich diese Aspekte. Beides sind außerdem theoretische Formen. Essays kann man in vielen Genres und Formaten herstellen. Text hat den Vorteil, daß er schneller kommunizieren kann, und außerdem billiger herzustellen ist. Insofern war das zuerst eine Art Notlösung, um aktuell politisch zu reagieren.

Du bist dann also zu der Überzeugung gelangt, daß es nicht reicht, Filme zu machen.

Ich bringe ungefähr alle drei bis vier Jahre einen Film heraus, abgesehen von Kurzfilmen. Das ist einfach zu langsam, da wird man ja frustriert.

Wie entsteht so ein Film, z. B. dein aktuelles Projekt Normalität, wie ist so etwas finanzierbar?

Formal und politisch radikale Filme kann man in Deutschland momentan dann machen, wenn sie nichts kosten. Genau das ist bei Normalität der Fall. Dieser Film kostet absolut nichts. Das sind Videofilme, und die schneide ich dann nachts in den Studios irgendwelcher Kollegen. Das sind No-Budget-Filme. Dafür, daß sie so billig sind, werden sie aber sehr oft gezeigt. Die laufen in 160 Ländern, ständig, auf internationalen Festivals aber auch bei den Antifas im Keller. Das freut mich.

Es ist für mich sehr interessant, ständig durch diese verschiedenen Öffentlichkeiten durchzugehen und festzustellen, was für völlig unterschiedliche Diskussionen geführt werden. Die einen sehen das nur politisch, die anderen nur formal. Aber über das jeweils eine kann man dann auch eine Diskussion über das andere einschleusen. Wenn z.B. ein Haufen von Antifa-Punks rumsitzt, und die sehen so einen Film, dann interessiert sie erst mal der politische Aspekt, aber dann kommt schon in zweiter Linie eine Diskussion über den formalen Aspekt. Warum ist das so gemacht? Wieso steht dieses Bild so lang, hey, da kann man ja ein ganzes Bier austrinken. Das ist der bessere Fall, der schlechtere sind Filmfachidioten, die ihren heiligen Verblendungszusammenhang bedroht sehen oder Kunstgroupies, die das super hip finden und als radical chic konsumieren.

Üblicherweise existieren diese beiden Rezeptionsschienen, die politische und die formale, völlig berührungslos nebeneinander her und wollen auch gar nichts miteinander zu tun haben. Das ist dann jeweils ein Irritationsfaktor, entweder in Filmkunstzirkeln, daß es einen politischen Inhalt gibt ­ das ist in der Filmwelt verpönt ­ andererseits wirkt bei den politischen Aktivisten der formale Aspekt verstörend.

Muß man formal avancierte Mittel anwenden, um heute einen politischen Film zu machen?

Wir erleben ja gerade eine Renaissance des Medienaktivismus, gerade im Kontext der Anti-Globalisierungsbewegung, die machen ständig irgendwelche Videofilme z.B. über Genua. Das sind Filme, die formal die Mittel des Fernsehens und der üblichen Reportage reproduzieren. Ich bin aber der Auffassung, daß eine Kritik am Bestehenden nur geliefert werden kann, wenn auch eine Kritik der Formen artikuliert wird, in denen sich das Bestehende mitteilt und reproduziert. Diese Formen sind ein Teil des Problems. Ich denke, daß in der Artikulation des Kunstwerks ein reflexiver Prozeß stattfinden muß, damit dessen Durchdringung mit Realität nicht zu einer Überwältigung wird. Sich für die Welt zu interessieren, muß ja nicht heißen, daß man völlig unreflektiert und blindlings alle Formen und Inhalte übernimmt, die diese Welt einem aufnötigt. Es kommt dann darauf an, diese Einflüsse noch mal formal und inhaltlich zu reflektieren und sie dann gegebenenfalls auch heftig zu negieren.

Als Filmemacherin bin ich nie von einem Massenaufklärungsgestus ausgegangen. Die französischen Filmemacher '68 haben sich die ganze Zeit den Kopf darüber zerbrochen: Wie schaffen wir das, die Massen zu erreichen und gleichzeitig so etwas wie innovative Formen zu behalten, wie geht das zusammen? Diesen Anspruch, die Massen zu bekehren, sogar zu verführen, hab ich einfach nicht. Der hat nichts als populistische Propagandafilme hervorgebracht. Nur die Filme, die nicht versuchen, Widersprüche mit Pathos und Parolen wegzumogeln, bewähren sich auf Dauer auch als politische Analysen. Ich versuche, eher dem Gegenstand gerecht zu werden als dem Publikum. Wenn ich einen Film mache, dann gibt es einen Gegenstand und ich setze mich mit dem auseinander und versuche, das Beste zu machen. Entweder es gibt dann ein Publikum dafür oder halt nicht.

Ist die Frage nach der Wirkung dann eine obsolete 68er-Frage?

Nein, der Trugschluß ist, daß man Wirkung am Zuspruch der Massen messen könnte. '68 hat ja auch viel interessantere Ansätze entwickelt. Z. B. hat man ja gemeint, man muß neue Öffentlichkeiten erzeugen, eine neue Form von Kommunikation herstellen zwischen Film und Zuschauer. Es reicht nicht, Filme zu machen, die den Massen gefallen, sondern man muß einen anderen Rahmen entwickeln als das Kino. Das ist keine obsolete Frage, sondern gerade heute total aktuell.

Im privaten und im kulturellen Raum kann man ja heute machen, was man will. Im Kontext kultureller Institutionen werden politische Inhalte zwar zugelassen, aber doch gleichzeitig neutralisiert.

Die Differenz wird innerhalb der weißen Wände des Kunstausstellungsraums derzeit am meisten toleriert und sogar gefördert. Ein lustiges Beispiel war die documenta-Plattform in Wien, wo sich alle Referenten den Kopf darüber zerbrochen haben, wie man die Demokratie verbessern kann, ob man den Kapitalismus jetzt bekämpfen oder verbessern muß. Das wurde als Kunstspektakel sehr stark genossen, während draußen die jährlichen Opernball-Demonstrationen stattfanden, die natürlich im Krawall endeten. Die draußen haben die Forderungen von drinnen aufgegriffen, z. B. nach militanten Antagonismen, aber die auf der Straße wurden natürlich als Randalierer und Terroristen bezeichnet, während das drinnen Kunst war. Wahrscheinlich ist genau das die Spanne, innerhalb derer wir uns als politische Künstler bewegen, mal als Randalierer bezeichnet, mal als Hofnarren gehätschelt zu werden.

Was ich allgemein behaupten würde, sogar inklusive meiner eigenen Arbeit: Einen politischen Film gibt es heute noch nicht. Es gibt noch keine überzeugende linke ­ feministische, antirassistische und globale ­ politische Bewegung, an der er sich reiben könnte und im Laufe dieser Auseinandersetzung er dann seine eigenen Formen entwickeln könnte. Politische Filme brauchen eine politische Bewegung, um damit in eine Wechselwirkung zu treten. Ein ästhetisches Projekt der Emanzipation muß von einem politischen begleitet sein ­ allein ist es nur Innovationsrohstoff für die Kulturindustrie und wird als bloßes Spektakel neutralisiert ­ oder wird dann irgendwann larmoyant und fängt an, sich als Opfer zu bemitleiden. Das ist auch blöd.

Eine klare Absage also an ein Avantgarde-Modell, daß ästhetisch etwas entwickelt wird, was noch keine reale Basis hat und eine solche dann vielleicht erzeugt oder mitbefördert?

Ich kann dieses Modell nicht ganz abweisen. Es gibt Filmemacher, die werden in ihrem Leben keine politische Bewegung erleben. Irgendetwas müssen die ja auch machen. Manchmal muß man eben so arbeiten, auch wenn das auf Dauer eine sehr einsame Arbeit ist, immer in diesem Elfenbeinturm die Rolle des Hofnarren zu übernehmen und an Formen rumzuwursteln. Abgesehen davon hat die Avantgarde historisch auch was erreicht. Aber nicht unbedingt weil sie formal so brillant war ­ sondern weil sie im Rahmen eines politschen Projektes wirken konnte. Sie stand nicht nur fest auf den Schultern der bürgerlichen Aufklärung, sondern hinter ihr stand auch eine Weile ein weltweites modernistisches Projekt der Emanzipation. Das ist heute vollständig zusammengebrochen. Es ist ganz selten ­ mit dem Panzerkreuzer Potemkin war das vielleicht mal der Fall ­, daß mit einem ästhetisch radikalen und innovativen Produkt gleichzeitig auch auf breiter Ebene politisch gearbeitet werden kann. In der Praxis ist es eher so, daß das eine auf die Kosten des anderen geht, daß es immer eine Diskrepanz gibt, die wir nicht aufheben können ­ wenigstens momentan nicht.

Interview: Florian Neuner

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