Ausgabe 02 - 2002 berliner stadtzeitung
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Sind die alten Helden längst vergessen?

Wolfram Kempe über „Wir bleiben alle" und die frühen Neunziger Jahre im Prenzlauer Berg

Die Geschichte des WBA in Prenzlauer Berg begann 1986. Eigentlich hieß W.B.A. Wohnbezirksausschuß und war eine der örtlichen Volksvertetungen der DDR auf Ebene der Wohnbezirke. Vertreten waren hier freilich Delegierte der Wohnungsverwaltung, Blockwarte und Parteiangehörige. In der Oderberger Straße nahm 1986 eine Gruppe von Anwohnern ihre Vertetung im W.B.A. selbst in die Hand ­ und verhinderte 1989 den Abriß ihres Wohnviertels. Nach der Wende wurde WBA unter dem Motto „Wir bleiben alle" zum Aktionsbündnis gegen Verdrängung der Bewohner aus der Gegend.

Wie begann deine Geschichte beim WBA?

Ich muß mich auf meine bruchstückhafte Erinnerung verlassen, denn das alles ist ­ in der Tat ­ zehn Jahre her. Ich kam als Sprecher des Besetzerrats zum WBA, als es um die Besetzung der Kollwitzstraße 89 ging. Die sollte 1992 zum Hotel umgebaut werden. Unter der Hand hieß es, es solle ein Puff werden, denn die Eigentümer betrieben in Westberlin bereits einschlägig bekannte Etablissements. Heute überlege ich, ob es nicht vielleicht zur Lebendigkeit des Kiezes beigetragen hätte. Aber damals wollten wir das nicht. Wenig später organisierte der WBA eine Demonstration gegen die anstehende zentrale Erhöhung aller Ostmieten. Wir hatten richtig dafür gearbeitet, mit aller vorhandenen Druckkapazität 150000 Handzettel hergestellt und verteilt. Dann haben wir dazu aufgerufen, sich auf dem Alexanderplatz zu versammeln. Es kamen 20000 Menschen, was für eine Mietendemonstration sehr viel ist.

Der Ansatz des WBA war, ein Dach zu sein, unter dem sich verschiedene Gruppen zusammenfinden: Der WBA Oderberger Straße, WBA Rykestraße, der Besetzerrat. Der WBA sollte über rein objektbezogene Aktionen hinausgehen. Er widmete sich der Situation, die wir unter dem Begriff „Vertreibung" faßten, als Ganzes. Viele, die hier politisiert wurden und die sich heute als Soziologen und Politologen mit Segregation beschäftigen, haben damals einen Nerv dafür entwickelt, daß so etwas überhaupt stattfindet.

Der WBA machte damals von sich reden, unter anderem weil er sich sehr eigener Aktionsformen bediente. Gerade für mich als Westlerin war diese Herangehensweise etwas Überraschendes.

Der WBA war so etwas wie das letzte Aufbäumen. Es gab in Prenzlauer Berg eine Tradition, daß sich Leute um ihre eigenen Sachen selber kümmerten. Zu DDR-Zeiten schon. Ein widerständischer Charakter, gerade wenn es um das Wohnumfeld geht, hatte hier eine ganz eigene Geschichte. Dieser Bezirk ist ziemlich trist. Diese Tristesse korrespondierte eigenartigerweise mit dem Selbstbewußtsein der Leute. Wenn die Häuser so hoch sind und es kein Grün gibt, bist du drauf angewiesen, daß du dir nicht gegenseitig auf den Geist gehst. Die Enge schafft ein anderes Miteinander der Leute. Viel mehr ist öffentlich, zum Beispiel grillen auf dem Hof oder auf dem Dach. Eine völlige Abschottung zum Nachbarn geht nicht. Das ist nicht wirklich wunderschön. Doch eine völlige Anonymität hat es nie gegeben. So war es damals nicht schwierig, in Läden zu gehen und dort Plakate aufzuhängen. Das mußt du mal heute versuchen...

Daß hier zu DDR-Zeiten schon Wohnungsbesetzungen gemacht worden sind, spielte eine wichtige Rolle. Aus dieser Szene heraus hatte sich in den späten siebziger und achtziger Jahren eine künstlerische Subkultur entwickelt. Diese Struktur bewirkte, daß sich die Leute nicht so leicht gegeneinander ausspielen ließen. Als der Besetzerrat nach Bränden von Häusern in der Dunckerstraße im Gemeindesaal der Eliaskirche die erste Kiezversammlung organisierte, versuchten Senatsmitarbeiter, Besetzer und „,normale' Leute" gegeneinander auszuspielen. Darauf entgegnete eine ältere Frau, was das solle. Die Besetzer wohnten bei ihr neben an, und wie jemand seinen Rock trägt sei jedermanns eigene Sache. So scheiterte dieser Spaltungsgsversuch. Das macht den Charakter des WBA deutlich. Daß er ein Zusammenschluß verschiedenster Leute war, der ­ gerade hier ­ funktionierte.

Vieles, was im Prenzlauer Berg ablief, war schlichtweg absurd. Da wurden Hausbesetzungen als Kunstaktionen deklariert und geduldet. Da setzten sich PDS-Rentner gegen die Polizei auf die Straße und winkten mit ihren Schwerbehindertenausweisen. Die Berliner Linie, daß Häuser nach Besetzung sofort geräumt würden, galt in Prenzlauer Berg nicht. Stattdessen verständigte man sich an einem „Runden Tisch". Hier fanden Vertreter von Bürgern und Institutionen eine gemeinsame Lösung. Und als Moderator für diesen haben wir einen Pfarrer ausgesucht ­ für Westler eine abstruse Idee.

Dazu, daß man uns ernst nahm und sich mit uns an einen Tisch setzte, verhalf uns unter anderem dieser Nimbus des widerständischen Prenzlauer Bergs, für den wir ja auch kräftig selbst gesorgt haben, was man ehrlicherweise zugeben muß. Wir haben ja viel mehr Lärm gemacht, als wir letztendlich hätten tun können.

Beim Lesen von Artikeln der damaligen BZ (BesetzerInnenzeitung), in der unter anderem Protagonisten des WBA schrieben, fiel mir vor allem eine Sache auf: Daß sich die Beiträge dieses Aktionsbündnisses, an dem ja viele Nicht-Szene-Angehörige teilhatten – das also einen ziemlich breiten Bevölkerungsquerschnitt repräsentierte – sich mit großer Selbstverständlichkeit einer sehr kämpferischen Sprache bedienten. Wobei man sich dennoch ausdrücklich auf das momentan Machbare bezog. Man schien offensichtlich sehr viel für möglich zu halten. In einem Text vom Juli 1992 ruft jemand zur Demonstration gegen die geplanten Mietenerhöhungen auf. Dabei spricht er sogar von: „sozialrevolutionärer Veränderung" – wobei er einräumt, man sei von einer solchen noch weit entfernt: „Dennoch liegt bei allem ein wenig der Geist von '89 in der Luft", schreibt er – „gemeint als konkrete Erfahrung einer auf Veränderung drängenden Massenbewegung."

Ja, so war das auch gemeint. Diejenigen, die das getragen haben, mindestens die Protagonisten des Spiels hatten natürlich diese '89er Erfahrung ganz tief im Blut. Das war unser Kiez. Den hatten wir erobert. Dafür haben wir uns verprügeln lassen. Nach dem 8. Oktober '89 haben die Polizisten die Straßenseite gewechselt, wenn ihnen Leute entgegen kamen. Das bedeutete, daß die ganze Sache von einem anderen Selbstbewußtsein getragen wurde, als der Kampf von David gegen Goliath. Mit klassischer Berliner Großkotzigkeit sagten wir, so eine Senatsverwaltung möchte uns erst einmal kommen. Von sozialrevolutionärer Bewegung haben wir in der Regel weniger gesprochen. Dafür wurden uns nationalrevolutionäre Umtriebe unterstellt, weil wir in der Zusammensetzung nicht politisch korrekt waren. Weil wir mit Gewerbetreibenden zusammengearbeitet haben und mit Leuten, die hier wohnten. Dieser Vorwurf kam '92 auf und hat sich bis '97 gehalten. Die Prenzlauer Berger Ostlinke ist irgendwie nicht koscher. Für mich zeigte sich daran – ein Umkehrschluß, daß die sogenannte revolutionäre Linke in Westberlin nicht in der Lage ist, die Menschen wahrzunehmen, mit denen sie zusammenleben. Sie realisiert nicht, daß sie Teil einer Gesellschaft ist. Nicht nur Teil einer abstrakten Gesellschaft der Bundesrepublik, sondern auch Teil einer konkreten Gesellschaft um sie herum, in der eben alle möglichen Leute leben und ein kleiner Krauter auch seinen Schnitt machen muß, damit er über die Runden kommt. Auch wenn es ein Zeitungshändler ist, der eben auch Pornozeitungen verkauft.

„Bewegung" würde ich das alles nicht nennen. Eher: Bürgersinn und Zivilcourage. Man kann uns jedoch durchaus restaurative Tendenzen vorwerfen. Wir wollten erhalten, was wir hatten.

Um die Erhöhung der Mieten zu verhindern, wurde offen darüber diskutiert, das Mittel eines Mietstreiks anzuwenden, was schließlich verworfen wurde. Man kann sich das heute kaum noch vorstellen, daß sich Menschen beim Gemüsehändler über einen Mietstreik unterhalten. Ich meine, was man sich zutraut, zu unternehmen, hat doch wesentlich damit zu tun, worüber man öffentlich reden kann.

Ich bin mir gar nicht so sicher, ob du Recht hast. Man könnte das sicherlich immer noch tun. Macht aber keiner mehr. Mit den alteingesessenen Händlern könnte man wohl darüber reden. Der Gemüseladen Kollwitzstraße Ecke Sredzki beispielsweise, gehörte der Frau Steiner. Und bei Frau Steiner im Laden saßen wir bei der Besetzung der Kollwitzstraße 89 und schauten zu, was die Bullen machten. Doch Frau Steiners Laden gehört jetzt einem Vietnamesen. Die Steiners waren an die sechzig und haben aufgehört. Was ich meine, ist, daß sich die Strukturen in den letzten zehn Jahren geändert haben. Und es waren eben diese gewachsenen Strukturen, die uns zustatten gekommen waren. Spätestens '95/'96 war das vorbei, hatte sich das erledigt. Die Bevölkerung des Prenzlauer Berges hatte sich damals schon zu fünfzig Prozent ausgetauscht. Das war bereits im Gange, noch während wir versuchten, etwas dagegen zu unternehmen. So etwas wie der WBA und sein Umfeld hängt immer an Leuten und den Erfahrungen, die diese Leute gemacht haben.

Wie würdest du zehn Jahre danach die Folgen des WBA. beschreiben?

Die Idee, daß alle bleiben würden, war illusorisch. Da hätten wir eine Mauer drumherum bauen müssen. Wir können nicht die Augen davor verschließen, daß wir selbst diesen Stadteil gepuscht haben, indem wir aktiv für dessen Ruf gesorgt haben. Und daß wir so selber die Verwertungsbedingungen für das Kapital verbessert haben. Daß wir uns einen Bärendienst erwiesen hatten, begriffen wir, als wir in unserer Stammkneipe Torpedokäfer keinen Platz mehr fanden. Da hatten wir immer betont: hier ist alles anders, hier kommen die Leute miteinander aus ­ natürlich resultiert daraus, daß die Leute dann auch herkommen wollen, mitmachen und das miterleben wollen. Wir erlebten dann, daß es nicht die furchtbaren Spekulanten waren, deren Namen wir alle kannten, die den Kiez übernahmen. Im Gegenteil waren es Zopfträger mit linkem Impetus, die anÞngen, Eigentumswohnungen zu kaufen und die Leute, die hier ehemals wohnten, zu verdrängen. Das ist aberwitzig. Aber wir waren sicherlich selbst ein Motor dieser Vertreibung, gegen die wir waren. Wobei die Anschieber, die Großfressen alle dageblieben sind. Doch die Leute, um derentwillen wir das Theater veranstaltet haben, die hatten sie als erstes am Arsch.

Was allerdings auch aus dieser WBA-Zeit hervorgeht, ist etwa die Tatsache, daß das Stadtbad Oderberger Straße jetzt von einer Genossenschaft gekauft wurde. Oder daß die Genossenschaft Bremer Höhe etwa 800 Wohneinheiten besitzt. Eine andre Folge war, daß dieser Bezirk von der staatlichen Autorität ziemlich lange in Frieden gelassen wurde. Das gibt es auf jeder Ebene. Die PDS Prenzlauer Berg paßte nie in die PDS Berlin. Ebenso die CDU und SPD. Das ist noch heute so. Dieses Bergvolk, läßt man am besten in Ruhe. Diese Erkenntnis hatte sich auch beim Senat durchgesetzt. Die Sanierungsgebiete mit ihren Mietobergrenzen hat man uns ja nicht freiwillig gegeben.

In Friedrichshain war mein Eindruck, daß die Ausweisung der Sanierungsgebiete den Wandel des Bezirks eher beschleunigt denn gebremst hat.

Damals dachten wir, Sanierungsgebiete seien eine probate Lösung, aber man hätte das weiterhin kritisch hinterfragen müssen. Die Mietobergrenzen zu erkämpfen, war einmal ein Erfolg. In der Konsequenz ist es eher ein Bumerang. Denn die Mietobergrenzen sind erkauft. Die Eigentümer stimmen ihnen zu und dürfen dafür auf höherem Standard modernisieren. Und die Obergrenzen laufen nach einer bestimmten Zeit ab. Das hat man damals noch nicht gesehen. Ein pragmatischer, intelligenter Umgang mit solchen Instrumenten, wie wir ihn früher hatten, hätte beibehalten werden müssen. Das schließt ein, wenn etwas nicht mehr funktioniert, einzugreifen. Stattdessen haben wir uns auf unseren Lorbeeren ausgeruht. So ein Selbstbewußtsein, das auf dem Erfolg fußt, einmal 20000 Menschen für eine Mietendemonstration auf die Straße gebracht zu haben, kann auch überheblich machen. Diese Überheblichkeit hatten wir bereits von '89. Wer hatte denn schon mal eine Regierung davongejagt? Wir konnten wenigstens in Selbsttäuschung sagen, wir hätten das gemacht.

Du hast beschrieben, wie sich die Strukturen, die eine Verständigung und so auch eine Selbstorganisation im Kiez ermöglichten, aufgelöst haben. Würdest Du sagen, daß so etwas nicht wieder möglich wäre?

Ich glaube nicht, daß es überhaupt nicht mehr möglich ist. Wenn die Leute, die jetzt hier wohnen, zwanzig Jahre lang hier leben und dann mittlerweile eine gemeinsame Geschichte haben, werden vielleicht auch wieder solche Strukturen entstehen. Die Leute müssen sich nicht unbedingt kennen. Damals kannten die sich auch nicht unbedingt persönlich, aber die erkannten sich am Geruch, an der Attitüde, an der Geste.

Interview: Tina Veihelmann

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