Ausgabe 02 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Musik für die Massen

Zeitverhältnisse

Der permanenten Erreichbarkeit, allen höheren Datenübertragungsraten und überhaupt allen schneller werdenden Fortbewegungsmitteln zum Trotz ­ nicht die ganze Welt ist bereit, auf Highspeed umzustellen.

Im musikalischen Bereich ist schon seit längerem eine gewisse Verweigerungstaktik zu beobachten: Vor allem Bands aus dem skandinavischen Raum sind daran nicht ganz unbeteiligt. Und jetzt liegt schon wieder eine temporeduzierte Scheibe aus Norwegen vor: Thomas Hansen alias St.Thomas klingt so, als ob er nie etwas anderes als Neil Young und Bob Dylan gehört hätte. Dabei wird I'm Coming Home (CitySlang) mit jedem Song eigenständiger: Plötzlich zerbröselt sein breiter texanischer Akzent und seine Stimme wird gläsern und zerbrechlich, dann finden sich Hillybilly-Banjo-Instrumentierungen oder vorsichtige Anleihen bei Velvet Underground in seinen Songs ­ alles andere als langweilig. St. Thomas klingt, wie eigentlich nur frisch verliebte Melancholiker klingen können.

Gleichfalls ausgebremst, wenn auch wesentlich leichtfüßiger, bewegt sich Neil Halstead durch die Welt, die er wie aus einer Seifenblase heraus zu besingen scheint. Nicht, daß das ganze nach Beatles klänge, trotzdem stellen sich sofort LSD-Yello-Submarine-Bilder ein. Das liegt maßgeblich an der weit zurückgenommen Instrumentierung, die durch eine vorsichtige analoge Synthesizerbegleitung immer wieder in andere Sphären erhoben wird. Auf dem zweiten Teil von Sleeping On Roads (Beggars Group) wird es dann doch etwas erdiger ­ das Sphärische schwindet und die gesamte Songstruktur wird noch reduzierter ­ weniger geht kaum; insgesamt ein klassisches Songwriter-Album mit hohem Entspannungswert.

Zum Schluß noch mal zurück in den Norden: KOOP nennt sich ein Jazz-Duo aus Schweden. Gemeinsam mit mehreren Gastmusikern haben sie mit Waltz For Koop (Jazzanova-Compost) ein Album eingespielt, das sich galant zwischen vokaler Soul-Melancholie und instrumentaler Kompaktheit bewegt. Musikalisch bedienen sich KOOP aus dem Fundus des Sechziger- und Siebziger-Jahre-Jazz, spielen mit Popelementen und versuchen, Dichte ohne Selbstgefälligkeit zu erzeugen. Unterstützt werden sie dabei unter anderem von der Sängerin Cecilia Stalin, die eine Schwerelosigkeit erzeugt, in der sich die Zeit selbst aufzulösen scheint. Aber auch die androgyne Stimme von Mikael Sundin generiert wie bei Tonight eine Atmosphäre wie in einem losgelösten Zwischenbereich, in dem sich swingende Lässigkeit und schwermütige Entrücktheit das Gleichgewicht halten. So liegt die Größe von Waltz for Koop vor allem in der Vielschichtigkeit der Arrangements und in der Gelassenheit, die das Album ausstrahlt. Und diese Gelassenheit ist es dann wohl auch, die die gerade mal 35 Minuten dieser CD so ausgereift erscheinen lassen, daß man trotz aller Begeisterung keine Minute hinzufügen möchte.

Marcus Peter

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  Ausgabe 02 - 2002