Ausgabe 02 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Die neue Mitte liegt links oben (II)

„Wenn die Panke mit Gestanke durch den Wedding rinnt ..."

Foto: Mathias Königschulte

Als 1760 der Hofapotheker Heinrich Wilhelm Behm weit vor den Toren der Stadt Berlin an der Panke eine Trinkkur-, Heil- und Badeanstalt namens „Friedrichs-Gesundbrunnen" eröffnete, war der Weg dort hinaus mit einigen Mühen verbunden. Eine Straße wurde erst 1784 gebaut und an regelmäßige Verkehrsverbindungen war ohnehin nicht zu denken. Trotzdem fand der 1809 in „Luisenbad" umbenannte Gesundbrunnen guten Anklang. Bald verzichtete man beim Trinken auf die Heilkraft der eisenhaltigen Quelle, und so war Anfang des 19. Jahrhunderts ein bei den Bürgern der Stadt sehr beliebtes Ausflugsziel mit mehr als 40 Varietés, Cafés, Bier- und Tanzlokalen entstanden, wofür sich im Volksmund aber nicht der neue Name, sondern geradezu formvollendet „Plumpe" durchsetzte. Bad Wedding wäre eine große Zukunft als Kur- und Ausflugsort sicher gewesen, hätten sich 1850 nicht 30 böse Gerbereikapitalisten flußaufwärts zusammengerottet, um mit ihrem stinkenden Abwasser dem müßigen Treiben ein Ende zu bereiten und die Leute zum Arbeiten zu ermuntern. Vor allem aber kam die Stadt nach und der Wedding wurde zum Industriebezirk.

Viel ist von der vergangenen Pracht denn auch nicht mehr erhalten. Reste der alten Bebauung finden sich heute nur noch in den Hinterhöfen. Den Gesundbrunnen selbst hat man 1890, nach dem Abriß des alten Brunnenhäuschens, in den Keller der Remise des schmucken Wohnhauses Badstraße 39 verbannt. Erfreulicherweise gibt es inzwischen auch die Gerbereien nicht mehr, und von der übrigen Industrie ist ebenfalls kaum etwas übrig geblieben. Direkt gegenüber, am anderen Pankeufer, sieht man heute noch die Überbleibsel der Arnheimschen Fabrikhallen. Früher wurden hier Panzerschränke hergestellt, später dienten die Hallen als Winterquartier für den Zirkus Safari, und heute dürfen hier Bildhauer Geschäftigkeit simulieren.

Die ehedem sprichwörtliche „Stinkepanke" könnte also fast wieder als Trinkwasserreservoir genutzt werden, mindestens jedoch sollte man hier bei schönem Wetter einmal spazierengehen. Während der Weltwirtschaftskrise in den zwanziger Jahren wäre man dabei auf eine Obdachlosenkaschemme gestoßen, wie sie der Weddinger Maler Otto Nagel in seiner Milieustudie Die weiße Taube oder das nasse Dreieck eindrücklich beschreibt. Als wäre der tägliche Kampf um etwas zu essen und gegen die mit der Not verbundenen Krankheiten nicht genug gewesen, waren die dortigen Gäste selbst im völlig verarmten Roten Wedding verachtet und damit ausgeschlossen.

Daß die Plumpe auch heute noch zu den ärmsten Ecken der Stadt gehört, sieht man im Straßenbild kaum, abgesehen von ein paar Pennern, die sich auf den Stufen der 1835 fertiggestellten Schinkelschen St.-Paul-Kirche in der Bad-/Ecke Pankstraße zulaufen lassen. Die Kirche brannte in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges bis auf die Grundmauern nieder und wurde in den fünfziger Jahren äußerlich originalgetreu wiederaufgebaut. Bei einer Renovierung in den neunziger Jahren hat man sogar einen Zaun entlang der Pank- und der Badstraße nach historischem Vorbild wiedererrichtet. Ursprünglich diente er dazu, die Besoffenen aus dem nahegelegenen Vergnügungsviertel davon abzuhalten, an den heiligen Tempel zu pissen.

Das Herzstück des Kiezes aber ist die Badstraße, die allerdings auch schon bessere Zeiten gesehen hat. Zwischen Zweitem Weltkrieg und Mauerbau war die ganze Straße ein großer Basar, hauptsächlich für DDR-Bürger, die aus dem ganzen Land zum Einkaufen herbeiströmten. Der Mauerbau wirkte sich hier deshalb ganz besonders heftig aus. Plötzlich lag die aufstrebende Einkaufsmeile völlig am Stadtrand. Das Markttreiben fand ein jähes Ende, die Leute zogen weg und andere, hauptsächlich türkische Gastarbeiter kamen. Wenn man im Westberlin der achtziger Jahre vom Gesundbrunnen sprach, was nicht oft vorkam, sprach man immer vom „tiefsten Wedding". Darin schwang neben Verachtung immer auch eine gewisse Ehrfurcht mit.

Heute ist die Badstraße wieder etwas belebter. Wenn man sich allerdings die Läden anschaut, könnte man leicht auf die Idee kommen, die Leute hier äßen Mobiltelefone. Architektonisch ist die Straße eine merkwürdige Mischung der unterschiedlichsten Baustile. Neben zwei- bis dreigeschossigen Vorstadthäusern stehen Neubauten aus den siebziger Jahren, die eingeschossige provisorische Nachkriegsbebauung findet sich noch genauso wie typische Mietskasernen.

Wenn man sich an dem türkischen Gemüsestand vorbei durch die Toreinfahrt des Neubaus in der Badstraße 62 in den Hof wagt, kann man dort durch ein kleines Gartentor hindurch bis zur Böttgerstraße gehen. Bis Ende des 19. Jahrhunderts verlief hier die Eisenbahnstrecke nach Stettin mitten durch den Block. An der Badstraße war damals ein Bahnübergang, weshalb die Pferdeeisenbahnen, die vom Rosenthaler Thor zum Gesundbrunnen führten, zunächst nicht weiterfahren konnten. Nachdem 1882 der S-Bahnhof Gesundbrunnen eröffnete, entwickelte sich die Gegend zu einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt, von wo aus auch die Regionalzüge nach Stettin abfuhren.

Dort, wo einst das Bahnhofsgebäude stand, hat man vor ein paar Jahren das Gesundbrunnen-Center hingeklotzt, als Vorbote der neuen Zeit. In ein paar Jahren nämlich wird hier einer der wichtigsten Fernbahnhöfe der Stadt eröffnet. Der Gesundbrunnen wird also wieder zum Bahnhofsviertel.

Ob es dann die Currywurst-Bude in der ehemaligen Vorhalle des Bahnhofs, dem heutigen U-Bahneingangs noch gibt, wird sich zeigen. Um das Wirtshaus gegenüber in der Behmstraße braucht man sich wohl weniger Sorgen zu machen, der „Bierbrunnen an der Plumpe" hat schon andere Stürme überlebt. Allein die Namenswahl zeugt von historischer Größe, auch wenn die Quelle in Wahrheit eisen- und nicht alkoholhaltig war. In den mündlichen Überlieferungen spielte das wohl nicht die entscheidende Rolle. Die Kneipe besteht im Wesentlichen aus einem großen Tresen, an dem man sich gegenübersitzt, weil der Zapfhahn in der Mitte ist. An den Wänden hängen alte Bilder von Fußballern, als Hertha noch ein paar Meter weiter, die Behmstraße hoch, seine Spiele austrug und nicht im vornehmen Westen. Es ist aber auch heute noch schöner, mit den greisen Herthanern an der Plumpe Fußball zu sehen, als nach Neu-Westend zu reisen. Auf dem Heimweg kann man dann noch kurz ans Gesundbrunnen-Center pissen, bis auch die neuen Tempel mit Zäunen geschützt werden müssen.

Dirk Rudolph

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