Ausgabe 02 - 2001berliner stadtzeitung
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Die Neo-Preußen greifen an

Eine untergegangene Militärmonarchie soll Berlin und Brandenburg wieder Glanz und Gloria verleihen

Am 11. November 2000 wurde das Reiterstandbild Friedrich des Großen nach langwieriger Restaurierung Unter den Linden wieder aufgestellt - um einige Meter nach Westen, auf den historisch korrekten Fleck. Es war etwa 11 Uhr vormittags, als der Preußenkönig samt Pferd mit einem Kran auf seinen Sockel gehievt wurde, von wo aus er nun wieder das Forum Fridericianum regiert. Die Terminwahl für die feierliche Aufstellungszeremonie könnte man durchaus als unglücklich bezeichnen, beginnt doch am 11. 11. um 11 Uhr 11 die Saison des rheinischen Karnevals, dessen Wurzeln mit den Narrenkappen, Prinzengarde und "Narrhallamarsch" in der Verhöhnung des Militärs liegen. Die Verspottung der napoleonischen Besatzer ging 1815 nahtlos auf die neuen Herrscher über: die Preußen, die sich in ihren komischen Uniformen Rheinland und Westfalen einverleibten und so zur europäischen Großmacht aufstiegen.

In einer kalten Januar-Nacht des Jahres 2001 geschah nun das Unfassbare: Jemand sprühte mit roter Farbe "Preußen bleibt Scheiße" auf den frisch sanierten Sockel des Monarchendenkmals. Wie eine Bombe platzte diese dreiste Majestätsbeleidigung in die Auftaktsfeierlichkeiten zum "Preußenjahr" 2001, in denen in bisher beispielloser Art der Staat Preußen neu bewertet wird: als heller Stern in der deutschen Geschichte und leuchtendes Vorbild für die Zukunft Deutschlands zugleich. Die gemeine Spray-Attacke ließ einen Aufschrei durch die Medien gehen. Schnell fanden sich selbstlose Spender, die die sofortige Reinigung der Statue bezahlten, allen voran die Berliner Zahnärzteverbände.

Tugend, Tugend, Tugend

Am 18. Januar 2001, exakt 300 Jahre nachdem sich der preußische Kurfürst Friedrich III. in Königsberg zum König Friedrich I. ernannte, fand im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt ein einzigartiger Festakt statt: Eberhard Diepgen, Manfred Stolpe, Wolfgang Thierse und Otto Schily waren da, der polnische Außenminister war hingegen verhindert. Die Gäste wuden Zeuge des bisherigen Höhepunkts der Preußenverklärung. Preußens Vermächtnis seien seine Tugenden, sagte Diepgen in seiner Festrede: Verpflichtung gegenüber dem Nächsten, Loyalität gegenüber dem Staat, Leistungsbereitschaft, Sparsamkeit und vor allem die "drei Toleranzen": Religion, Herkunft und sozialer Rang - darin sei Preußen lebendig, "wiewohl seine staatliche Wiedergeburt nicht zu erwarten, zu erhoffen oder zu befürchten ist", so der Regierende.

Aufgeklärte Kriegsführung

"Der Staat Preußen, der seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland gewesen ist,...wird hiermit aufgelöst", heißt es im Kontrollratsgesetz Nr. 46 der Alliierten vom 25. Februar 1947. Jahrzehntelang wurde diese Entscheidung nicht angezweifelt, allenfalls von unverbesserlichen Monarchisten und anderen nicht ernstzunehmenden Randerscheinungen. Man kann nicht abstreiten, dass Preußen ein antidemokratischer Feudalstaat war, der mehr als die Hälfte seines Etats in das Militär steckte und eine aggressive Expansionspolitik betrieb. Der als feingeistiger Flötenspieler dargestellte Friedrich der Große führte blutige Kriege, während in seinem Land Hungers-nöte herrschten. In seinem Heer gab es barbarische Züchtigungen. Die vom "aufgeklärten" König erlassene Meinungs- und Religionsfreiheit stand nur auf dem Papier, Juden und Katholiken waren in der preußischen Drei-Klassen-Gesellschaft faktisch Bürger vierter Klasse. Die Aufnahme protestantischer Hugenotten aus Frankreich, auf der die Toleranz-Legende fußt, erscheint dagegen als Episode. Dieser kleine Ausschnitt muss nun dafür herhalten, das Preußenbild für die Menschen des 21. Jahrhunderts aufzupeppen. Werte wie Leistung, Disziplin, Fleiß und Pflichtbewusstsein sind im Turbokapitalismus zeitgemäß geworden. Von Freiheit, Gleichheit oder Solidarität ist hingegen keine Rede mehr.

Preußen als Identitätsstifter

Seitdem Deutschlands Besatzungsstatus vorbei ist, fühlt man sich so souverän, die Alliiertengesetze außer acht zu lassen. Schon 1990 hat sich Stolpe darüber Gedanken gemacht, ob ein künftiges gemeinsames Bundesland "Brandenburg-Preußen" oder "Preußen-Brandenburg" heißen soll. Der Ministerpräsident von Brandenburg ist denn auch einer der Hauptverfechter eines neuen Anlaufs zur Länderfusion von Berlin und Brandenburg. Preußen soll dabei als gemeinsamer Identitätsstifter helfen. "Preußen ist untergegangen, aber es ist nicht verschwunden", betonte Stolpe. Angeblich sollen sich heute 90 Prozent aller Berliner und Brandenburger klare Vorteile von einem gemeinsamen Bundesland versprechen - so als ob sich die berechtigten Befürchtungen und Bedenken, die 1996 die Volksabstimmung zur Fusion scheitern ließen, in Luft aufgelöst hätten.

Kürzlich dachte Stolpe auch laut darüber nach, den "desorientierten" Jugendlichen in seinem Land das Preußentum als alternatives Leitbild zum Deutsch-Nationalismus anzubieten. Leicht dürfte es nicht sein, brandenburgischen Jung-Nazis den Unterschied zu erklären. Preußen reichte in den Grenzen von 1937 auch von der Maas bis an die Memel. Von Toleranz ist diese Klientel mit so einem billigen Trick nicht zu überzeugen. Man habe ja gar nichts gegen Ausländer, wenn sie nur dort blieben, wo sie herkämen. Die zu verfolgenden Ethnien würden sogar noch um alle Nicht-Preußen erweitert: Sachsen, Bayern, Schwaben...

Geschichtsverdrehung

Auch die deutschen Historiker wagen sich allmählich aus der Deckung und emanzipieren sich von der Deutungsmacht der Alliierten: Werner Knopp, früherer Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, schreckte in seiner Festrede im Schauspielhaus nicht davor zurück, das republikanische Preußen, das zwangsweise nach dem vom deutschen Kaiser und preußischem König angezettelten Ersten Weltkrieg entstand, ein "Bollwerk der Demokratie" zu nennen. "Was an preußischen Tugenden überlebt", so Knopp weiter, "findet sich im Widerstand gegen Hitler." Knopp suggeriert damit, dass der Widerstand nur aus preußischen Offizieren bestand.

Begonnen hatte Knopp die Rede mit dem Satz: "Geschichte lässt sich nicht in die Luft sprengen wie ein Schloss in Berlin oder Königsberg." Den armen Preußen ist soviel Leid geschehenÉ Am Ende des "Preußenjahres" - nach all den Festakten, Preußen-Serien im Regionalfernsehen, Geschichtsaufsätzen in den Zeitungen und was sonst noch alles droht - wird man verstehen, warum Walter Ulbricht 1950 das Stadtschloss sprengen ließ. Man wird ihm - wer hätte das gedacht - vielleicht sogar dankbar sein. So dankbar wie man den jungen Potsdamer Antimilitaristen sein muss, die durch beharrliches Pfeifen und Eierwerfen den wöchentlichen Folklore-Aufmarsch der bunt uniformierten "langen Kerls" in der Fußgängerzone nachhaltig unterbunden haben. Man wünscht sich mehr solch tugendhaftes Bürgerengagement.

Jens Sethmann

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