Ausgabe 02 - 2001berliner stadtzeitung
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Gengaunergeschäft

Glauben wir dem Hype, kaufen wir Genaktien und werden unsterblich

Warum ist die Gentechnologie so kontrovers? Worin liegt das Problem? Eigentlich dreht sich die ganze Frage um einen einzigen Punkt. Es gibt immer noch Menschen, die nicht wahrhaben wollen, dass wir in einer Marktgesellschaft leben, deren Logik und unabänderlichen Gesetze antiquierte Vorstellungen wie Natur, Gesundheit, freien Willen, Ethik, Lebensqualität, unabhängige Wissenschaft usw. definitiv außer Kraft gesetzt haben. Es gibt zum Beispiel konservative Spießer, die darauf bestehen, sich von Obst, Gemüse und Fleisch zu ernähren. Marktwirtschaftlich gesehen sind aber solche Waren völlig idiotisch. Sie verderben, sind Dürren, Unwettern, Seuchen und Krankheiten ausgesetzt, müssen langwierig transportiert und gelagert werden, bringen also Konzernen wenig Ertrag und viel Kummer. Am rationalsten wäre es, sie komplett durch chemische Pillen zu ersetzen, doch dazu sind die Bürger noch nicht bereit. Also hat die Technologie künstliche Nahrungsmittel erzeugt, die zwar wie Obst und Gemüse aussehen, doch wochen- und gar monatelang im Regal bleiben können. Und doch wehren sich Spielverderber dagegen. Laut Meinungsumfragen sind es sogar 70%. Da wir noch in einer formalen Demokratie leben, kann ohne öffentliche Zustimmung keine Entscheidung offiziell durchgesetzt, sondern nur durch die Hintertür geschmuggelt werden. Vorläufig werden genetisch-veränderte Nahrungsmittel zumeist als Zutaten von Fertigprodukten angewandt - so erfährt der Kunde von nichts. Was Fleisch angeht, sind die Aussichten besser: Nachdem die Tierzüchtung in KZs industrialisiert wurde, nachdem pflanzenfressende Tiere zu Kannibalen gemacht wurden und sich dadurch eine neuartige Krankheit verbreitet hat, wird sich der Konsument - er wird eh keine Wahl mehr haben - mit der Vorstellung von tierlosem, im Labor erzeugten "Fleisch" leichter überzeugen lassen.

Gegen renitente Feinschmecker hat die Gen-Lobby auch ein politisch-korrektes Argument parat: Sie seien bloß satte Egoisten, denen das Leid des hungernden Südens Wurst ist. Denn in der Wüste könnten genetisch-veränderte Kartoffeln angebaut und dadurch der Welthunger beseitigt werden. Zwar bleibt unklar, wie sich die Elendsten dieser Erde die Wunderprodukte leisten sollen, doch solche Nebenfragen liegen außerhalb der wissenschaftlichen Kompetenz.

Erfindungen und Entdeckungen

Gerade in der südlichen Hemisphäre machen sich anti-technologische Vorwürfe breit. Weil sich multinationale Konzerne das traditionelle Wissen von indigenen Völkern (die Anwendung von Heilpflanzen, Beeren, Wurzeln usw.) aneignen und vermarkten, wird ihnen Biopiraterie vorgeworfen. Der Patentierung von Lebewesen wird entgegnet, es handele sich dabei um keine Erfindungen, sondern um Entdeckungen. Wer mit einem selbst erfundenen Teleskop einen neuen Stern entdeckte, durfte bisher den Stern noch nicht in Besitz nehmen. Ein solches Argument verrät ökonomische Ignoranz: Genetisches Erbgut ist der Rohstoff des 21. Jahrhunderts, und wenn es um Rohstoff geht, ist Beschlagnahme gerechtfertigt. Im Sinne des freien Handels wurde Amerika von den Neusiedlern nicht nur entdeckt, sondern auch neu erfunden, das heißt erwirtschaftet. Es war nur logisch, Indianer zu vertreiben, die mit Ackerbau nichts anzufangen wussten. Ebenso hatten Araber und Afrikaner keine Ahnung von Erdgas und -öl und durften deswegen auf dem von ihnen bewohnten Boden keinen Besitzanspruch auf die Rohstoffe erheben. Heute sind genetische Merkmale von Völkern, die gegen bestimmte Krankheiten resistent sind, attraktive Ressourcen für die Pharmaforschung. Cherokee-Indianer kennen keine Alzheimer- Krankheit, Beduinen keine Fettsucht. Folgerichtig werden ihnen Blut und Zellen entnommen, um von Firmen gesichert und patentiert zu werden. Warum sollten die Einheimischen auch informiert, geschweige denn entschädigt werden? Wenn sie zufällig davon erfahren, dann protestieren sie mit überkommenem Aberglauben: "Das ist ein Angriff auf unsere Weltsicht. Wir sehen unsere Gene nicht als Proteinprodukte an, unsere Gene sind uns heilig" (eine Payute-Indianerin). Ein solcher Obskurantismus darf nicht die Freiheit der Forschung behindern. Fortschritt wurde schon immer gegen den Willen der Mehrheit geschaffen. Zum Glück sind wir Europäer wissenschaftlich aufgeklärter. Als das isländische Parlament das Erbgut seiner gesamten Bevölkerung an die Firma decode genetics verkaufte, kam es zu keinen nennenswerten Protesten. Im Gegenzug musste dafür die dubiose Schaffung von Hightech-Arbeitsplätzen versprochen werden - solche Versprechen gehören zur üblichen Politik - während die hoch automatisierte Gentechnologie natürlich gleichzeitig Arbeitsplätze vernichtet. Wichtig dabei ist, dass die vorsintßutliche Losung: "Mein Körper gehört mir" endlich beseitigt wurde. Eigentum ist ja Diebstahl.

Und überhaupt: Was ist an dieser Entwicklung neu? Sind nicht längst Wasser und Licht, Pßanzen und Tiere, Unterkunft und Versorgung, Gespräche und Unterhaltung, Kultur und Gesundheit zu Waren gemacht worden? Wieso sollte die allgemeine Vermarktung vor den Genen halt machen? Das Klonen von Menschen sei "ethisch unverantwortbar". Wer glaubt schon, dass Kommerz sich mit Ethik vereinbaren läßt? Wollen Technologiekritiker etwa die Gesellschaftsordnung in Frage stellen?

Nachkommen im Supermarktregal

Doch da ist kein Grund zur Sorge. Aller Kritik zum Trotz hat die Genlobby einen Trumpf, ein trojanisches Pferd namens Gesundheit. Wenn es um die eigene Gesundheit geht, hört selbst der hartnäckigste Fortschrittsgegner auf zu meckern. Da erklärt sich wiederum die Mehrheit für die Gentechnik. Und die Marketingabteilung hält genügend Heilsversprechen bereit: Das Buch des Lebens ist entschlüsselt. Der Mensch wird seine Zukunft in die eigene Hand nehmen. Krebs und andere Krankheiten werden ausgerottet. Wir werden unsterblich sein. Und so weiter. Tatsächlich sind die Forschungsergebnisse im medizinischen Bereich viel bescheidener. Einige seltene Krankheiten wird man vor der Geburt diagnostizieren (nicht aber heilen) können. Einige Medikamente werden hergestellt, deren Wirkung noch nicht genau erwiesen ist. Wahrscheinlich sind langfristig Erkenntnisfortschritte zu erwarten. Im Verhältnis zu den ungeheuren Summen, die dafür ausgegeben werden, ist das eher wenig, sagen die Kritiker, während Patienten wegen der Sparmaßnahmen zunehmend Medikamente oder ärztliche Hilfe verweigert wird. Doch das trifft nicht den Punkt. Wir reden hier von der Pharmaindustrie - und ganz egal, ob deren Produkte efÞzient sind oder nicht - Hauptsache, sie werden gekauft. Vitamintabletten sind ja auch zwecklos, und trotzdem ein Renner. Der Konsument will doch glauben, dass die Medizin ihn heilen kann. Hoffnung ist der beste Verkaufsartikel.

Ausserdem ist Gesundheit heute nicht nur die Abwesenheit von Krankheiten, sondern Marktkonformität. Gerade da sind die eigentlichen Erfolge zu erwarten, etwa mit der Produktion von designer babies. Welche Eltern werden, wenn sie die Wahl haben, sich entscheiden, ein krankes Kind zu haben? Ein behindertes Kind? Ein sozial benachteiligtes (zum Beispiel schwarzes) Kind? Ist ein Lebensborn-Familienkit auf dem Markt, wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis privatisierte Eugenik zur Norm wird. Wie eine beliebige Ware wird der Nachkomme, jener "einzige Besitz der Besitzlosen" (Marx), auf dem Supermarktregal im Angebot stehen.

Dem Leser mögen solche Entwicklungen unheimlich erscheinen - und ich habe nicht einmal die damit verbundenen Umwelt- und Gesundheitsrisiken erwähnt. Aber, dies sei noch einmal betont, im realexistierenden Kapitalismus sind nicht Ethik oder Wohlergehen die letzte Instanz, an der alles gemessen wird, sondern die Börse. Dort gibt es zuviel Geld, um in reales Kapital investiert zu werden. Während die Spekulationsblase der Internet-Ökonomie sich rasch entleert, muss eine neue Þktive Wertsteigerung aufgeblasen werden. Also glaubt dem Hype, kauft Gen-Aktien, spekuliert mit Hoffnungen, dann wird alles gut gehen. Bis zum nächsten Krach, selbstverständlich.

Guilliaume Paoli

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