Ausgabe 02 - 2001berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Schöner Lügen
Raus aus dem Klischee von "Weh und Meh" - neue Lieder von Hans-Eckardt Wenzel

Es ist kein Videoclip. Es ist eine Aussicht. Wenn man im Tränenpalast den Blick von der Bühne wendet, sieht man die S-Bahn fahren. Im linken Fenster taucht sie auf, später verschwindet sie durch das rechte Fenster nach Westen. Kurz darauf erscheint rechts wieder ein Zug, er fährt aus der Gegenrichtung in den Bahnhof und verläßt ihn bald nach Osten. So geht es fortwährend an diesem letzten Januarabend, an dem Hans-Eckardt Wenzel sein jüngstes Album vorstellt und eine Tournee eröffnet. Die S-Bahn, die hier früher nie durchfahren konnte, scheint auch über Wenzel einiges zu erzählen. Darüber, wie er nach der Wende begann, jene neue Welt im Westen zu erkunden, wie er nach Süden aufbrach, nach Portugal oder Spanien, um andere Bilder zu erleben. Und wie er doch stets zurückkehrte in jene Hemisphäre, die an der Ostseite des Bahnhofs Friedrichstraße beginnt.

Gut 20 Jahre hatte Wenzel mit ein und demselben Mitstreiter, mit Steffen Mensching, verbracht. "Wenzel und MenschingÒ, das war ein unlösbarer Eigenname. Doch Ende 1999 haben sich beide voneinander getrennt. Es war weniger ein Abschied, wie er in langjährigen Ehen eintritt, weil man sich auseinander gelebt, nichts mehr zu sagen hat. Es war vor allem der einzige Ausweg, um etwas Neues, Unbekanntes, vielleicht auch Unpopuläres beginnen zu dürfen. Es war die Flucht vor dem Gefängnis, das für Wenzel und Mensching aus der eigenen Vorgeschichte entstanden war.

Als "Meh" und "Weh", zwei so sarkastischen wie empfindsamen Dichtern und Liederclowns, hatten sie in der DDR eine eigene kleine Theaterform geprägt. Aber spätestens seit dem Erfolg ihres Programms "Letztes aus der DaDaeRÒ hatten beide auch ihr Stigma weg: die kritisch hintergründigen Narren aus dem untergegangenen Ländchen der Selbstbeweihräucherung zu sein. Alles, was beide später taten, wurde daran gemessen. Also zerrissen. Denn ihre kritische Betrachtung aus dem Absurden heraus nahm sich kläglich, fruchtlos und alltäglich aus vor der Erfolgsgeschichte, die die blühende Republik Deutschland überall von sich erzählte. Dieser Blick schien kraftlos angesichts der Vielen, die ungehindert und unbeachtet ebenfalls Kritik öffentlich machten. Die vielen Merkwürdigkeiten des Landes, welches sie nun zu beschreiben anfingen, - all die Maßlosigkeiten und Unzulänglichkeiten, die Geld- und Konkurrenzhatz, der Überdruss des Satten, der Jugend- und Schönheitswahn, die Lügen des politischen Geschäfts usw., erschienen so unendlich banal und eingefleischt gegenüber den Fehlern der DDR, wo die Probleme existenzieller Art und deshalb veränderbarer waren. Trotzdem wurde Wenzel und Mensching eben ihre Kritik aus dem Absurden als immerwährender Kunstgriff weiter abgefordert.

Wenzels Platte - längst nicht mehr seine erste - und sein Konzert zeigen ihn als originellen Musiker. Seine Lieder trägt vor allem die Musik - kräftige, oft herbe Klänge mit Wenzel selbst auf Gitarre, Klavier, Akkordeon, dazu den allpräsenten Virtuosen Jan Hermerschmidt (Klarinette) und Karl-Heinz Saleh (Gitarre) sowie Bass, Percussion und vielen "Gewürzen". Sie kommen an. Die Herausforderung aber liegt in den Texten. Sie leben von Eindrücken, etwa in der Fegefeuer-"Zeit der Irren und Idioten" über eine heiße Maistunde, oder im schönen, stillen Liebeslied "Wer soll die Erdbeeren essen".

Dazwischen aber, wo es um vergessene und wieder geführte Kriege, um die erschreckenden Metamorphosen von Klassenkameraden, um den Alltag eines Dorfnazis geht, da klingt mit allem Sarkasmus und Bohren auf, dass die Verfehlungen der Boomrepublik existentieller werden, längst nicht mehr banal sind. "Man müßte schöner lügen können, vergessen, wer man war" heißt es in einem der Lieder und davor: "Mir war, als werden wir uns andauernd nur die Wahrheit sagen, aber eigentlich taten wir nur so." Es wurde zum Titellied der Platte - als sei genau dies die typischste Situation in der heilen Welt. Nicht zufällig erkundigte sich Wenzel mehrfach bei seinen Konzertbesuchern: "Gibt es Fragen?" Aber es gab keine.

Stefan Melle

"Schöner lügen", CD von Hans-Eckardt Wenzel (Label "Buschfunk"), Tournee u.a.: 30.3., Friedrichshagen (Alter Ballsaal), fon 4251436, www.sansibarkult.de

© scheinschlag 2001
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 02 - 2001