Ausgabe 02 - 2001berliner stadtzeitung
scheinschlag

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ästhetische praxis unter gefechts bedingungen

Der Autor als "soft target", Avantgarde als Guerillataktik

Forward slope, darüber wird der Leser schon auf der Rückseite des Umschlags Ides Buches aufgeklärt, bezeichnet "das sich zu den stellungen des gegners hin absenkende gelände, welches den eigenen standort als überhöhten ausweist". Die militärische Terminologie, die damit angeschlagen wird, durchzieht alle Texte des Berliner Schriftstellers Ralf B. Korte aus den Jahren 1994-99, die der Ritter Verlag nun gebündelt vorlegt. Zum Teil sind diese Texte zuerst in Uwe Warnkes ENTWERTER/ODER erschienen, zum Teil in der perspektive, den "Heften für zeitgenössische Literatur", die Korte zusammen mit Sylvia Egger, Helmut Schranz und Robert Steinle herausgibt. Es sind dies Texte, die sich in einem Grenzbereich zwischen Literatur und Poetologie bewegen, zwischen Theorie und Praxis jenes Schreibansatzes, den Korte in der perspektive vertritt oder sagen wir ruhig: verficht.

Mit dem Begriff Avantgarde hat es heute eine merkwürdige Bewandtnis: Einerseits scheint unter den Künstlern aller Genres und Altersgruppen große Einigkeit zu herrschen, dass Avantgarde-Konzepte zu Beginn des 21. Jahrhunderts vollkommen obsolet sind, andererseits ist das Abgrenzungsbedürfnis doch ein beträchtliches; ein Reizwort ist der Begriff allemal. Ralf B. Korte sagt: "konzepte, von denen alle schon wissen, dass sie falsch sein müssen, haben uns immer schon interessiert." Für viele ist der Begriff ja wegen seiner Provenienz aus der Militärsprache diskreditiert; Korte dreht den Spieß um und macht genau diese Implikationen stark: "aus jeder erzählung lassen sich pßastersteine brechen. in jedem roman finden sich bauteile für barrikaden. jeder von wortzwergen (den Kleinbürgern, Anm. F.N.) mühsam gebastelte sinn lässt sich erbrechen und neu verwenden für einen kleinen sabotagge akt." Hier setzt das "wort kommando" mit seinen "guerilla taktiken" an.

Korte kämpft dabei im wesentlichen an zwei Fronten: Da sind einmal die "jung türken des neu-deutschen realismus", auf der anderen Seite die "vertreter des avancierten experiments", jene Autoren, die Impulse der klassischen Avantgarden und der experimentellen Nachkriegsliteratur in die institutionalisierte Harmlosigkeit überführt haben. Guerillataktik meint auch, sich den Institutionen des Literaturbetriebs konsequent zu entziehen. Warum es Korte dabei aber auch geht, ist eine "aus ein andersetzung unter technischen bedingungen." Ohne den medialen Stand der Dinge einfach zu affirmieren, kann ein Autor heute nicht mehr einfach vom weißen Blatt Papier ausgehen, auf dem dann autonome Kunstgebilde entstehen sollen. Wie solche vielfältig reagierenden, offenen Textunternehmungen aussehen können, führt Korte in Forward Slope selbst vor, in "potemkin rules" etwa oder in "schizm n schmonzes. dance"; in "bombenpost und andere ßyer", einer Textsammlung, die das ganze Buch im wahrsten Sinne des Wortes durchzieht, die anderen Texte ständig unterbrechend, heißt es: "die frage wird sein: ob der rückstand auf dem gebiet international verwertbarer literatur aufgeholt werden kann./der mangel an technischer und sozialer kompetenz etwa: auch das voll ständige fehlen von erfahrungen mit militärischen systemen."

Florian Neuner

Ralf B. Korte: Forward Slope. Fronttext und Flussnoten. Ritter Verlag, Klagenfurt 2000. 29 DM

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