Ausgabe 02 - 2001berliner stadtzeitung
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Das göttliche Ich

Ein Gespräch mit dem Elvis-Darsteller Nicholas Young über Fernsehen, Fast-Food und Pharmazie

Kann das Zufall sein? Gerade vier Tage liegen zwischen dem (körperlichen) Ableben des King und dem Eintritt der Menschheit ins interstellare Zeitalter. Denn am 20. August 1977 nahm die Raumsonde Voyager 2 Kurs auf den Tiefenraum der Galaxis, dorthin, wo bislang die ewigen Jagdgründe diverser Götter vermutet wurden. Dass deren legitimer Nachfolger, der offensichtlich unsterbliche Elvis Aaron Presley, bei der Himmelsfahrt unberücksichtigt blieb - man packte stattdessen Musik von Chuck Berry in die Sonde - spricht nicht gerade für den spirituellen Durchblick der NASA.

Sei`s drum. Statt im All zu verschwinden, sorgte Elvis für Furore als "Gott zum Reinschlüpfen": Die Zahl der amtlichen Elvis Imitatoren verzeichnete Jahr um Jahr fantastische Zuwachsraten. Der King avancierte zur Blaupause für das heile Selbst, zur Form für glitzernde Omnipotenz - und Omnipräsenz: Seine Show "Aloha from Hawaii" schweißte die Menschheit 1973 erstmals zur satellitenvernetzten Glaubensgemeinschaft zusammen.

Um Nicholas Young hat Elvis allerdings bis 1999 einen weiten Bogen gemacht - kein Wunder: "Ich habe mich zuerst dagegen gesträubt", erinnert sich der Musiker an die Zeit, als sein Kumpel Jean-Paul Pacifico nach einer eher zufälligen Party-Performance mit der Theateridee an ihn herantrat. Doch über die Musik fand er wieder Zugang zum King, den er einst schon als Siebenjähriger verehrt hatte. Es folgten diverse Auftritte, ein Elvis-Kurzfilm und schließlich das Elvis-Theaterstück von Pacifico, das bereits im letzten Jahr für friedrichshain-weite Furore sorgte.

"TakinŐ Care of business" zeigt, was mit King Lear passiert wäre, hätte es zu Shakespeares Zeiten schon Pizzaservice und Glotze gegeben. Beide, den klassischen wie den medialen König, treibt der Terror der Privatheit in den Wahn, ihr Beharren auf Privileg und Status angesichts der Tücken des nicht mehr so königlichen Alltags. Freilich ist Elvis auch noch sein eigener Hofnarr, und vor dem Tod war ihm keine Erkenntnis gegönnt. Um diese nachzuholen sprach der scheinschlag mit Nicholas Young, denn: von Elvis lernen, heißt siechen lernen.

Als die beiden Fotografen Robert Huber und Stephan Vanfleteren vor einiger Zeit in Elvis-Montur durch die USA tingelten, um einen Bildband zusammenzustellen, wurden sie von einem Priester auf offener Straße zusammengestaucht: Man dürfe schlechte Menschen nicht imitieren! Wegen der Drogen. War Elvis denn tatsächlich böse?
Nein, deswegen war er sicher nicht böse. Elvis hatte sich höchstens verlaufen. Er hat den Spagat nicht mehr hingekriegt zwischen dem Halbgott, der er war, und dem Menschen im normalen Leben. Wenn man nur an die Geschichte mit der Polizeimarke denkt: Da hatte er zuhause Streit mit Priscilla und Vernon, wegen Drogen und Finanzen. Er flüchtet aus Graceland und stattet dem FBI in Washington einen Besuch ab: Eine Polizeimarke will er haben, und zwar die eines Drogencops, eines Undercoveragenten. Weil sie ihn beim FBI wegschicken, meldet er sich zur Audienz im Weißen Haus an. Nixon besorgt ihm schließlich die Polizeiplakette, und fortan zeigt er sie jedes Mal, wenn ihn jemand auf die Tablettensucht anspricht: Drogen? Ich? Ich bin doch Drogencop, seht her!

Was ist der spezielle Kitzel, wenn man in diese Rolle schlüpft?
Am Anfang natürlich Lampenfieber. Aber ab einem bestimmten Moment hat es etwas ziemlich abgehobenes. Dann kann einem eigentlich nichts mehr passieren. Die Theaterrolle ist natürlich eine spezielle Sache, aber als ich zum Beispiel mal auf einer Party als Elvis angekommen bin - mit Security und Clan drum herum - da habe ich gemerkt, wie wichtig es ist, diese Rolle von vorne bis hinten zu spielen. Das kann natürlich auch anstrengend sein, denn: Ich bin dann Elvis. Wenn da irgendeiner ankommt und mich behandelt als wäre ich irgendwer, der gerade sein Bier an der Theke abholt - das geht nicht. Dann hole ich meine Security.

Kein Zweifel mehr, keine Komplexe.
Man kann als Elvis mit einer ganz anderen Haltung an die Dinge herangehen. Allein wie das auf Frauen wirkt, also ich muss sagen, ganz erstaunlich.

Gott ist ja bekanntlich tot, Elvis dagegen lebt. Was hat Elvis, was Gott nicht hat, was hat Gott falsch gemacht?
Ich denke, Elvis hat die Medien besser benutzt als Gott. Er war ja zu der Zeit eine der meist-fotografierten Persönlichkeiten. Ab einem bestimmten Punkt war er natürlich ein Gefangener: Man hat gesehen, dass die Frauen ausflippen, wenn er mit dem Bein zuckt. Da haben die Leute um ihn herum natürlich gesagt: Jetzt gehst du auf die Bühne und zuckst ein bisschen mehr. Außerdem war Elvis auf seine Art spirituell und über den Gesang kam er an die Menschen heran. Übrigens haben ihm nur seine Gospelplatten einen Grammy eingebracht.

Auf der Bühne bei eurem Stück wie auch in Wirklichkeit hatte Elvis meist drei Fernseher gleichzeitig laufen, von morgens bis abends. Hatte er etwa den großen Überblick?
Bestimmt über die Hollywoodfilme. Aber sicher nicht über die Gesamtsituation. Er hatte ja auch immer Alufolie vor den Fenstern. Das war seine Marotte, er wollte alles abgedunkelt haben. Die Hotelfenster wurden ja teilweise extra für ihn zugeklebt.

War Elvis der Prototyp des medialen Menschen? Ein Vorbild?
Als Konsument ist er auf jeden Fall ein Vorbild. Er lag halt Fast-Food essend vor dem Fernseher. Und der Fernseher lief immer. Das reicht ja schon. Gucken und Konsumieren.

In den 70ern ist Elvis meist zu Richard StraussŐ "Zarathustra" eingelaufen. Kannte Elvis denn auch Nietzsche?
Er kannte die Musik wohl aus "2001 - Odyssee im Weltraum". Ich weiß gar nicht, ob er Nietzsche gelesen hat. Der Schnurrbart hätte ihm bestimmt nicht gefallen. Aber er hat sich schon spirituell beschäftigt. Er hatte einen esoterischen Friseur, von dem er esoterische Literatur bekommen hat. Da standen dann so Sätze drin wie "God is in fact the divine I". Er hat sich viele Notizen dazu gemacht.

Interview: Klemens Vogel

"TakinŐ Care of Business" von Jean-Paul Pacifico, Seahorse Theatre Company, 22.2. Fischladen, Rigaer Str. 83, 20.30 Uhr, fon 0174/7579430

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