Ausgabe 02 - 2001berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Ist da die F.D.P. in mir?

Winterabend. Zu viert sitzt man zusammen und raucht und trinkt. Und trinkt und raucht. Kachelofen in der Ecke. Es gibt Tee mit Rum. Andreas hat versehentlich 54%igen gekauft, den fackeln wir über einem Esslöffel mit Kandiszucker ab und lassen den dampfenden Sud in den Tee tropfen. "Lichtenberger Feuerzangenbowle" nennen sie das und versprechen einen schnellen Rausch.

Kaum eine Stunde später schwadronieren wir wild aufeinander ein. Geschichten aus Kindheit und Jugend. Die Schule, bei der Fahne, Sowjetunion beim Trassenbau. Dann die Ausbildung. - Ich kann nicht mitreden. Die drei können es nicht fassen, dass ich niemals einen Beruf erlernt habe. "Hört mal, ich bin aus dem Westen. Da ist das nicht so üblich." - "Was seid ihr Wessis nur für Versager", brüllt Mike aus seiner Ecke. Und sie beschließen, dass ich eine Ausbildung machen müsse, denn sie haben mich gern. "Hans, das musst du nachholen", sagen sie, "gleich morgen früh gehst du zum Arbeitsamt. Und wir kommen alle mit."

"Na gut", sage ich mit feierlichem Ton, "dann mach ich was mit Computer", erhebe mein Glas, lege mich aufs Sofa und beginne, meinen Rausch auszuschlafen.

Wochen später. Kurz nach Sonnenaufgang stehen einige Männer vor einem Büroneubau und rauchen. Sie diskutieren über Ram-Bausteine und Taktfrequenzen. Drei oder vier Rechner haben sie zu Hause, Netzwerke in Ein-Zimmer-Wohnungen. Teile ihrer riesigen Festplatten haben sie mitgebracht - auf CD gebrannt in der letzten Nacht - und tauschen. Software ist ihre Droge. Dann - Schwanzvergleich - werden die Handys ausgepackt; und jeder will den Kleinsten haben. Ein Blick aufs Display: "0 neue Nachrichten", aber lustige Logos haben sie sich runtergeladen.

Die Gruppe der Umschüler, in der ich stehe und noch eine rauche (15 Minuten, da sollten zwei Kippen drin sein), besteht zum einen aus den männlichen Jungfern, fett und rosig die Haut von Bockwurst und Cola, zum anderen aus Gammlern wie mir, bei denen frische Vaterschaft noch einmal den Karriere-wunsch entfacht hat. Es gibt noch andere. - Kalt ist es.

Im warmen Nichtraucher-Pausenraum nippen die Russen an ihrem Tee. Russen sind immer dabei.

Dann ist die Pause zuende. Mit dem Fahrstuhl in den vierten Stock: Allgemeine Wirtschaftslehre. Wir lernen, wie Geld sich in Kapital verwandelt (indem man es zur Bank bringt) und dass der Unternehmer an den Profit denken muss. Sonst ist er raus aus dem Geschäft. Wir machen uns Notizen. Einige schreiben direkt in den Laptop, voller Megahertz und Gigabyte.

Der Markt reguliert den Preis, mit Angebot und Nachfrage, Preisabsprachen zwischen Konkurrenten sind verboten. Da meldet sich ein ganz Schlauer (einer aus Neufünfland) und sagt: "Das ist doch gang und gäbe." (Wie auch immer man das schreibt.)
Woher er das weiß? Weil es im Osten so üblich war?

Demokratie und Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Datenschutz: "Ha", sagt da der Ossi und reibt die Finger aneinander, um uns zu zeigen, worauf es ankommt. Er ist der Meinung, und sprudelt es heraus: "Die da Oben, die machen eh, was sie wollen. Da kann man doch nichts machen. Und wer sich wehrt, der ist doch naiv. Wird schon sehen, was er davon hat." Und wenn doch mal was rauskommt von den Schweinereien, die die da obenÉ: "Das zahlen die doch aus der Portokasse."

Die Ossis sind sich einig. "Schuld sind die andern, ich kann nichts dafür. Die Verhältnisse sind ungerecht, und das Opfer ich bin." Das ist kritischer Geist, das ist das Wählerpotential der PDS.

Und auf einmal weiß ich auch, wo die pubertären Nazis herkommen. Aus solchen Elternhäusern. Hoffentlich geht gleich die Tür auf und Guido Westerwelle kommt herein und diskutiert mit ihnen über Demokratie. Sonst bleibt es wieder an mir hängen.

Hans Duschke

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