Ausgabe 01 - 2001berliner stadtzeitung
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Der Bundeskommunikationsminister

Ein Rädelsführer denunziert sich selbst: Der Partyschreiber Jürgen Laarmann darf bei Spiegel-Online eine Berlin-Mitte-Kolumne machen

Jede Generation hat so ihre typischen Hobbies, den sogenannten Life-Style: Die einen schmeißen Steine, die anderen schmeißen Drogen. Wenn dann doch die Lust an der generationstypischen Handbewegung erlahmt, hält die Gesellschaft eine hübsche Beschäftigung bereit ­ den Marsch durch die Institutionen. Was lange groovt, wird endlich gut: Die Techno-Kohorte hat ihr Bündel geschnürt, ein paar Start-Ups und Clubs gegründet, und setzt nun ­ die Polit-Rocker um Rädelsführer Joschka Fischer haben es vorgeturnt ­ zum großen Sprung an. Natürlich will so ein sprachgewaltiger Technoider nicht Außenminister sein, er hat einen anderen Berufwunsch: Kolumnist. Seit Dezember verarztet der Party-Schreiber Jürgen Laarmann als frisch promovierter „Dr. Mitte" die Leser von Spiegel-Online. Wie weiland der Theaterkritiker Alfred Kerr mit seinen „Berliner Briefen" nach Breslau beglückt Laarmann nun seine eigentliche Heimat ­ das digitale Nirvana ­ mit regelmäßigen Botschaften aus dem Epizentrum seiner Lebensweisheit, Berlin-Mitte. Die Resonanz aus der „Heimat" ist beachtlich. Wer den Namen Laarmann in die Suchmaschine eingibt, erhält kübelweise Spottartikel unterschiedlichster Medien geliefert, es prasselt nur so, wie bei einer biblischen Steinigung. Lächerlich, so liest man, war Laarmanns Sommer-2000-Aktion als Berlin-Mitte-Boy, seine 030-Kolumne (taz: „das Entscheiderblatt"), fragwürdig die Neuauflage des 1997 unter seiner Ägide dahingeschiedenen Techno-Magazins Frontpage. Gar nicht zu reden von seinem Opus-Magnum-Projekt „The Eternal Rules of Nightlife". Viel virtueller Wirbel um das Phänomen Laarmann. Trotzdem darf er schreiben, und zwar für 7,5 Millionen monatlicher Spiegel-Online Besucher, und zwar, tatsächlich, zum Erbarmen chefmäßig, begriffsleer und interesselos. „Zuhause" hat er vorsichtshalber schon mal die Bude (www.berlinmitteboys.de und www.jlfrontpage.de) dichtgemacht. Aus Angst vor virtuellen Steineschmeißern?

In Mitte (wo sonst!) trifft Vergangenheit auf Zukunft. Joschka ist wohl Jürgens Schicksal. Denn wer nichts mehr schmeißt (oder nur noch privat) mutiert, und zwar zum Hyper-Realo. Oder Realo-Hypster. So hat sich Laarmann nach naheliegenden Grundsatzartikeln über wenig bearbeitete Themen wie „Party-Ride", „blöde Touris" und „das Berlin-Mitte Girl" kürzlich erstmals was Bodenständiges verordnet. Die „Grüne Woche", ausgerechnet. Aber Jürgen wäre nicht Laarmann, wenn er
neben geschmeidiger Erwähnung der ernährungspolitischen Großwetterlage („wir Creutzfeld-Jakob-Siechende in spe") nicht vor allem das „Bohnen-Dissing" (genau, nicht Dressing) im Auge hätte. Auf der Suche nach einem gewandten Witz landet Wortjockey Laarmann meist bei Anglizismen, da sind Berliner Frauen „very alleinerziehend", die eine Filmpremiere ist „bigger" als die andere und Berlin, vor allem Mitte, die „overpromotete Nightlifezentrale". Wer hier auf Ironie tippt, ist auf der falschen Party.

Ob „Party machen" der programmatische Zwangsreflex einer ganzen Generation ist, sei dahingestellt. Doch die Substanzlosigkeit der dazugehörenden Ideologie, die im jahrelangen seriellen Soundgewitter kondensiert ist, wird augenfällig, sobald Leute wie Laarmann zur Feder greifen. Das immergleiche Nachtvergnügen fungiert dann als Nukleus eines pseudoaufgeklärten Allerweltsjournalismus, der wenig mehr bietet als Durchblick in Fragen, die vormals keine Worte wert waren, etwa: Wann ist der richtige Zeitpunkt, die Party zu verlassen? Allerdings: Man wird damit berühmt, das ist doch auch was. In der BZ-Liste der 1000 wichtigsten Berliner hat Dr. Mitte ein nettes Plätzchen zwischen Hanna-Renate Laurien und dem Berliner Ex-FDP-Chef Rolf-Peter Lange erhalten, einem Bestattungsunternehmer, der versucht, „mit Designer-Särgen und Urnenwänden der Bestatterzunft ein bunteres Image zu geben." Apropos Party verlassen: Sollte Laarmann dereinst als Bundeskommunikationsminister wegen des Schmeißens irgendeines illegalen Dingsbums in die Bredouille kommen, könnte er immer noch bei Lange Gebrauchsanweisungen für Lifestyle-Särge dichten.

Klemens Vogel

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