Ausgabe 01 - 2001berliner stadtzeitung
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Zukunft eimerweise

11 Jahre Kulturhaus „I.M. Eimer"

„Als wir zum ersten Mal die Haustüre öffneten und die einzelnen Etagen ansahen, da sahen wir in jedem Zimmer Eimer herumstehen. Überall. Da kam jemand auf die Idee, das Haus einfach danach zu benennen. Seither heißt der ‚Eimer' Eimer", erinnert sich Peter Franke an seine ersten Stunden in dem seit jetzt elf Jahren besetzten Kulturhaus. Ein Teil der Leute kannte sich noch aus der Zeit um 1988, als sie die etwa 200 Räume
des leerstehenden Fünf-Etagen-Hotels „Stuttgarter Hof" am Anhalter Bahnhof für Kunstprojekte besetzten. Das Experiment wurde zeitweise sogar vom Besitzer geduldet.

Knapp zwei Jahre später kam eines Nachts Leo Kondaine ­ er initiierte bald darauf auch das Tacheles mit ­ mit Flugblättern ins Kreuzberger „Arcanoa" und rief zur Besetzung eines Kunsthauses in Mitte auf. Peter war zufällig auch im Arcanoa und schloss sich der Aktion sofort an. Am 17. Januar 1990 ging dann zum ersten Mal in der Rosenthaler Straße wieder die Tür auf ­ Ost-Berlin hatte nach dem Wohnhaus am Senefelderplatz damit sein zweites besetztes Haus nach der Wende und sein allererstes autonomes Kunsthaus. Schon bald zeigte sich der morsch wirkende Bau als zu klein für größere Atelierprojekte und der „Eimer" wurde zu einer Keimzelle für Ideen, die außerhalb seiner Mauern weiterwachsen: Ein Teil der Gruppe zog ins „Kino Camera", dem späteren „Tacheles". Ein paar Leute aus dieser Zeit sind bis heute dort aktiv.

Von der Geschichte des „Eimer"-Hauses ist nur soviel bekannt, als dass dort um 1876 „Der blaue Panther" ­ eine Art Bordell mit kleinen Hinterzimmern ­ zuhause war. Im Zweiten Weltkrieg verlor das Haus zwei Etagen, danach trafen sich in den fünfziger Jahren Schieber im Erdgeschoss. Auch Spuren einer Bank und Elektronik der Stasi fanden sich. Heute ist der „Eimer" mit seiner durchbrochenen Zwischendecke und dem einmalig-trashigen Innendesign ein Stück schützenswerte Kunst an sich.

Eindrucksvoll liest sich die Kulturgeschichte des Kunsthauses nach 1990: So gehört André Greiner-Pohl, Sänger von „Freygang" zu den Ur-Eimern, traten Bands wie „Die Firma", „Ich-Funktion", „Neu Roses" genauso auf wie kubanische Musiker oder die „Elektronauten". Der kürzlich verstorbene Aljoscha Rompe von „Feeling B" holte sich kreative Impulse für sein „Wydocks"-Projekt in der Schönhauser Allee 5 und auch „Rammstein" spielten im „Eimer".

Als sich manche mit einer trüben „Ossi-Wessi-Debatte" den Anfang der neunziger Jahre vermiesten, trafen sich hier längst Künstler, Musiker und Gäste von überall, denen das egal war: Aus Russland, den USA, Australien, Polen, Ungarn, Estland, Italien, Spanien, Österreich, Tschechien kamen und kommen sie. Selbst Techno-Free-Raves wie das „Damba"-Rave 1996 auf einer Halbinsel bei St. Petersburg nahmen ihren Ausgang in der Rosenthaler Straße 68. 1994 stieß Robin C. Hemingway dazu ­ eine Legende für sich. Der 59-jährige Beatnik lebt bis heute on the Road und pendelt zwischen Boston und Berlin. Er war mit den Schriftstellern Allan Ginsberg, William S. Borroughs sowie mit Jimi Hendrix befreundet und managte Jazz-Pionier John Coltrane. Dieses Jahr ist der Underground-Star zum zweiten Mal Mitglied des Kulturbeirats Mitte.

Ohne die experimentell-freie Atmosphäre des Eimers wäre die Berliner Musikgeschichte anders verlaufen. Der einzigartige Stil einer lebendigen, selbst organisierten Szene bringt immer neue Tendenzen hervor, die weit ausstrahlen.

Noch mehr als bisher will sich der „Eimer" zum Studio für unabhängige Musik ausbauen. Hier versteht sich der nichtkommerzielle und gemeinnützige Verein als eine Art Label: Ein eigener Vereinssender, der wohl über Mittelwelle im Umkreis von 25 Kilometern um den „Eimer" herum senden könnte, soll die hier eingespielte und produzierte Musik in den Äther speisen. Weiteres Ziel ist der Aufbau eines eigenen Servers, über den hauseigene Produktionen optisch und akustisch ins Internet gelangen. Dadurch erleichtern sich auch die Vernetzungen mit anderen Projekten.

Bereits fertig ist ein eigener architektonischer Entwurf für einen Medienturm, der an die hintere Fassade des denkmalgeschützten Hauses angebaut werden soll. Neue Treppen, moderne Sanitäranlagen sowie die gesamten Strom- und Abwasserleitungen sollen da reingepackt werden. Die berühmte Fassade soll dagegen weitgehend so bleiben wie sie ist, damit man sie auch jederzeit auf den ersten Blick wiedererkennt. Unter „http://www.interfluggalaktika.de" sind die ersten Zeichnungen veröffentlicht.

Das sind Gegenwart und Zukunft Eimer-seits: Andererseits sitzt schon die Cubus Liegenschaftsverwaltung GmbH auf der Lauer. Sie will eher gestern als heute eine Art „Rosenthal Plaza" auf dem Gelände zwischen Rosenthaler, Linien- und Kleiner Rosenthaler Straße errichten. Das Übliche: Geschäfte, Büros, ein paar Wohnungen. Dabei gehen die ungeduldigen Investoren schon mal rabiat vor: Erst Anfang Dezember 2000 ließ Cubus einen Maurer auf den kleinen Hof neben dem Eimer Fundament-Löcher für eine Betonmauer buddeln. Auch sollte der Wirtschaftseingang des Baus dicht gemacht werden. Als aber mehrmals die Buddeleien über Nacht wie von Zauberhand verschwunden waren, zog sich Cubus zurück. Da überdies die Eigentumsverhältnisse nicht bis ins Letzte geklärt sind, kann sich die Cubus-Gruppe auf sehr lange und zähe Recherchen und Klärungsprozesse einstellen: Ein Teil der bisher ermittelten Erben lebt jedenfalls in den USA und Großbritannien.

Ein Runder Tisch soll noch im Frühjahr mit „Eimer"-Vertretern, WBM, Senatsvertretern und Stadtplanern Vertragsmodelle für den „Eimer" erarbeiten. Ihr Erfolg wäre der Beginn einer neuen Zeitrechnung für das Subkulturhaus.

Thorsten John

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