Ausgabe 01 - 2001berliner stadtzeitung
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Unbekannter Code?

Der deutsche Autorenfilmer Michael Haneke lässt im seinem neuen Film kein Geheimnis offen

Ein niedliches kleines Mädchen steht vor einer Wand und betrachtet den Zuschauer eingehend, abwartend, ein wenig ängstlich. Man denkt an ein Verhör oder Kindesmissbrauch. Dann flattern seine Hände durch die Luft und es beginnt, in Taubstummensprache zu erzählen. Schnitt: Eine afrikanisch inspirierte Trommelgruppe übt. Schnitt: Juliette Binoche alias Jungschauspielerin Anne rennt eilig eine Straße in Paris entlang, sie ist unterwegs zu einem Vorstellungsgespräch und trifft auf den Bruder ihres Freundes. Der ist von zu Hause ausgerissen und will bei ihr Unterschlupf finden. Als sie das verweigert, schlendert er missmutig weiter und rempelt gegen eine Bettlerin. Diese entpuppt sich als illegale Einwanderin aus Rumänien. Schnitt. Die Frau wird in ein Flugzeug nach Hause verfrachtet.

Da werden einige Probleme schon in der Exposition gewälzt. Und wer macht so etwas? Richtig: deutsche Autorenfilmer. Dieser hier ist Michael Haneke, seit den Siebzigern an der Regiefront. Das merkt man seinem neuen Film „Code: Unbekannt" auch unmissverständlich an. Der Titel legt einen Spionagefilm nahe. Der Untertitel: „Ein unvollständiger Bericht verschiedener Reisen" sagt schon etwas deutlicher, wo es langgeht. Nämlich kreuz und quer durch Europa, durch menschliche Verzweiflung, Untiefen und Krieg. Außerdem klingt dieser Titel so entsagungsvoll, als hätte Haneke seinen Film schon im Vorfeld aufgegeben. Aber wahrscheinlich ist die Unterzeile nur eine Anspielung auf die Undurchschaubarkeit der Welt und das Hineingeworfensein in dieselbe.

Ein großes Thema in Hanekes Werk ist die Gewalt und ihr Entstehen, so wie auch in „Benny's Video" und in seinem letzten Film „Funny Games". Eine der ziemlich blass gezeichneten Figuren ist demgemäß ein Fotoreporter in Krisengebieten, wobei sich der Job des Mannes verheerend auf seine Psyche auswirkt. Zur Illustration seines Zustandes sind lediglich schmerzhaft lange Kriegsbilder und Leichen zu sehen, was beim Zuschauer eher Ekel erzeugt, als mögliches gewolltes Aufbegehren. Man hat so etwas schon zu oft im Fernsehen anschauen müssen und dort mehr erfahren über Krieg und Gewalt. Überhaupt weiß man bald sowieso nicht mehr, als dass der Regisseur irgendetwas sagen will. Oder sich in alter Siebzigertradition einmischen. Und das ist das Schlimmste am Film: nämlich der gutmenschliche hocherhobene moralische Zeigefinger, hinter dem die ganze Geschichte zurücktritt, obwohl es einige schöne Momente gibt. Selbst sonst so präsente Schauspieler wie Sepp Bierbichler bleiben seltsam farblos. Und so geht der Zuschauer mit einem unguten Gefühl und der diffusen Überzeugung nach Hause, dass der Film ihm irgendetwas habe mitteilen wollen. Aber die Botschaft ist wohl auf der Reise abhanden gekommen. Oder er hat den Code nicht geknackt.

ib

„Code: Unbekannt", Regie: Michael Haneke, Darsteller: Juliette Binoche, Sepp Bierbichler, Paulus Manker, Kinostart: 25.1.

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