Ausgabe 01 - 2001berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Heute schon geshoppt?

Warum die City-West sich dem Untergang geweiht sieht


Im November vergangenen Jahres lag ein neues „alternatives" Sanierungsmagazin zwischen den kostenlosen Postkarten und den Veranstaltungskalendern im Café rum. Auf zwanzig vierfarbigen Hochglanzseiten meldete sich darin die westliche Einkaufszone rund um Bahnhof Zoo, Kurfürstendamm und Tauentzien zurück in der Stadt:
„BERLinsider ­ Das Magazin aus der
City West". Sabine Christiansen ­ nein, keine Verwechslung ­ durfte im Vorwort die Beweggründe für diese Veröffentlichung erläutern: „Berlin boomt nicht nur in Mitte, wo die Regierungsmacht mit ihren Anhängseln inzwischen die neuen Quartiere des alten Ostens füllt, sondern auch hier im Westen rund um die Gedächtniskirche, über Jahrzehnte in aller Welt das Wahrzeichen des freien Berlins. In dieser Zeit lebten die West-Berliner wie auf einer Insel, dann kam der Fall der Mauer und damit für das seit 60 Jahren als City West apostrophierte Stadtzentrum das böse Erwachen. Während im Osten des nun wiedervereinigten Berlins Hochhäuser in den Himmel schossen, ...schien der westliche Teil Berlins in eine Art Koma gefallen zu sein. (...) Doch der ,Dornröschenschlaf' scheint beendet. Zugegeben ­ die City West hat noch etwas Mühe gegen die hochmodernen Newcomer am Potsdamer Platz oder am Bahnhof Schönhauser Allee. Doch mittlerweile..." Es folgt die Aufzählung der neuesten Errungenschaften wie „Neues Kranzler Eck" oder zukünftiges „Neues Ku´Damm Eck". Soweit zur Stimmungslage der Westberliner Befindlichkeiten.

Diepgen goes West

Es ist davon auszugehen, dass Christiansen die Analyse im Auftrag der Herausgeberin, der Arbeitsgemeinschaft City e.V., eigenhändig geschrieben hat; die Mischung aus PR-Jargon, Allgemeinplätzen und Ungereimtheiten ist jedoch symptomatisch für die neue Stoßrichtung in der Stadt: Der Osten hat zehn Jahre geboomt, jetzt sind wir wieder an der Reihe.

Pünktlich zur offiziellen Eröffnung des „Neuen Kranzler Eck" meldete sich dann auch der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen zwischen Weihnachten und Neujahr in dieser Angelegenheit zu Wort: „Wir haben in der Vergangenheit Aufbau Ost vor Ausbau West gestaltet. Das ist heute nicht mehr die Grundbedingung für Berliner Politik." Die „Berliner Morgenpost" ließ sich diese Chance nicht entgehen und titelte präziser „Diepgen: Berlin braucht jetzt den Ausbau West." Schon in den zurückliegenden Jahren hatte sich die CDU immer mal wieder über den schlechter werdenden Straßenzustand im Westteil beklagt. Hauptsorgenkind war meist die AVUS, die Raser-Freiheitsstrecke zu Mauerzeiten.

Komatöse Denkblokaden

Jetzt aber war es grundsätzlich raus, und am nächsten Tag ruderte der Koalitionspartner SPD dagegen. Deren Fraktionsvorsitzende Klaus Wowereit vertrat tapfer die Auffassung: „Wir sind eine Stadt. Zehn Jahre nach der Einheit ist das der falsche Ansatz." Doch dass er damit im Westteil der Stadt auf ungeteilte Zustimmung trifft, ist eher unwahrscheinlich. Deren zehnjähriger „komatöser" Zustand hat augenscheinlich zu einigen Denkblockaden in der Auseinandersetzung mit der jüngsten Stadtentwicklung geführt. Details aus dem Text von Christiansen verdeutlichen die Desorientierung, die offensichtlich in der Aufwachphase auftreten können. Wenn von „schießenden Hochhäusern" die Rede ist, können eigentlich nur zwei gemeint sein ­ und die stehen am Potsdamer Platz, noch mittiger für Ost und West geht es kaum. Die Bebauung des Potsdamer Platzes ist dabei vor allem als ein Renommierprojekt für die gesamte Stadt, wenn nicht für die ganze Nation propagiert worden; die größte Baustelle Europas wurde in alle Welt verkauft, hatte nebenbei mit DaimlerChrysler und Sony zwei Weltkonzerne als mächtige PR-Motoren. Kurz gesagt: Berlin präsentierte sich als internationaler Investitionsstandort. Mit Förderung Ost hatte das wenig zu tun.

Eins ist jedoch richtig: Ein neuer Konkurrent für die Immobilien- und Shoppingbranche ist aus dem Boden gestampft worden, dem seine Kunden fast wie im Schlaf zugeführt wurden. Die euphorischen Berichte über den ach so wundervollen Potsdamer Platz fanden sich ebenso in ausländischen Zeitungen wie noch im hinterletzten deutschen Provinzblatt wieder. Dass der Potsdamer Platz trotzdem den geschürten Erwartungen hinterher hinkt, dass das neue Herz vor allem ein Einkaufscenter-Implantat ist, in dessen Ladenketten die Schuhmodelle dann eben auch noch in Gelb zu haben sind, ist die nüchterne Vororterfahrung.

Für jeden nur Kuchenkrümel

Dass die Schönhauser Allee Arcaden schuld daran sind, dass die City West nicht so läuft, ist kaum zu glauben. Die Vorstellung, jemand führe durch die halbe Stadt, um am Ku´Damm bei H&M sein T-Shirt zu kaufen, ist einigermaßen absurd. Ob die Einzelhändler dagegen auf der Schönhauser Allee jemals von dem Sogeffekt der Allee Arcaden profitieren werden, steht dagegen in den Sternen.Trotzdem existiert der Wunsch, die Käuferströme gerade in die jeweils eigenen Tempel zu locken. Wenn Berlin, wie Anfang der 90er Jahre gerne prognostiziert, jetzt fünf oder sechs Millionen Einwohner hätte, wäre der Kuchen groß genug und besser zu verteilen. So aber werden die „wenigen" potenziellen Kunden verstärkt mit dem speziellen Flair der Einkaufsmeilen angeworben. Beißt der Kunde trotzdem nicht an, fährt lieber gleich nach Waltersdorf, hat zu wenig Geld oder einfach keine Lust zu shoppen, ist angeblich die verfehlte Förderpolitik schuld. Bei allem City-West-Kater: Die Passantenzahlen auf dem Tauentzien sind immer noch die höchsten in Berlin, davon träumt die Friedrichstraße nur, die sich zum Einkaufen empfiehlt, wenn man das Gedränge meiden will.

Den allerschönsten Kommentar zum einzigartigen Einkaufserlebnis City-West aber gab ein unscheinbarer Mitvierziger im Flagship-Store von Nike am Tauentzien: So´n großes Haus für so´n paar Schuhe.

sas

© scheinschlag 2001
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 01 - 2001