Ausgabe 10 - 2000berliner stadtzeitung
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Geschichten für die Augen - Scriptforum 2000

Urbane Inszenierung des deutschen Films

„Wie bitte, ist die Einladung von M. nicht auf der Gästeliste notiert? Wie bitte? Wir sind aber von ihm persönlich eingeladen!" Die Dame in schwarz neben dem Liftschacht sah sich mit zwei Herren konfrontiert, die sich energisch über die Organisation hätten echauffieren können. Einen Moment blickte sie sich unsicher um, dann winkte sie die beiden durch. Das Foyer des neuen „Arsenal" hätte eine Staffage für „Alien", Teil 24 abgeben können. Eine Kathedrale aus poliertem Stahl und Glas, zehn Stockwerke hoch, mit gläsernen Liftkabinen, die lautlos hinauf und hinunter gleiten. Das inzwischen eröffnete Filmhaus am Potsdamer Platz. Durch eine Glaswand fiel der Blick auf die Zeltkuppel des Sony-Centers, die in der Nacht in immer wechselnden Farben angestrahlt wurde, wobei die Farben sorgsam an das Farbdesign einer Depeche Mode Party angepasst zu sein schienen: Der inoffizielle Empfang für das „Script Forum 2000" war an einem kalten, unwirklichen Ort, mit der Bar eines Multiplexkinos als Hintergrund, nur durch eine Glasscheibe getrennt.

Die zwei Tage lang wurde das „deutsche" Film - Drehbuch diskutiert, Script-Consultans, zwei Verlage und Drehbuchschulen hatten ihre Stände aufgebaut - durch die Glasscheiben sah man dichtgedrängte Touristenscharen die sonnigen Herbsttage und die Architektur des Sonygeländes sowie des Daimler Benz Forums genießen. Und wenn im Bereich der Stadtplanung die Inszenierung des Urbanen durch Konzerne offensichtlich ihre Früchte trägt, warum sollte dieses nicht auch im Bereich des deutschen Filmes gelingen? Was die zwei Tage diskutiert wurde, waren unter anderem die Schnittstellen zwischen den Dreh-buchschreibern und den Filmpro-
duzenten, das „Pitching", also die Präsentation,einer Idee, die Kunst, dem Stoff auf der Ebene der Konzeption Drama und Tiefe zu verleihen und das kommerzielle Handicap des kontinentaleuropäischen Filmes, der infolge seiner regionalsprachlichen Beschränktheit nicht so leicht auf dem amerikanischen Markt zu reüssieren vermag.

Filmgrößen und kostenlose Drinks

Eine der Größen in der deutschen Film-szene, der den kommerziell orientierten Film promotet, stand nachts am Nachbartisch zusammen mit seiner Frau, ebenfalls im Medienbereich tätig, ein Duett von seltsam farblos erscheinendem Statusbewusstsein. Ein Tisch weiter versuchte ein seit Jahren erfolgloser Drehbuchautor die Starreferenten aus den USA in ein Gespräch zu ziehen und die emsigen Hostessen in Schwarz schaufelten kostenlose Drinks in Unmassen heran. Eine Gruppe attraktiver junger Leute betrank sich. Irgendjemand beklagte sich, Tunten und andere, die nicht fit und straight wirkten, hätten in diesem Business nur in Nischen eine Chance - was für eine Parodie, der international renommierteste Regisseur des (west)deutschen Nachkriegsfilms war ein hässlicher, verfetteter, vulgärer Schwuler mit einem fatalen Hang zum Kokain. Hätte Hitchcock mit seiner obszönen Leibesfülle unter diesen Vorzeichen einen Filmvertrag bekommen?

Einer der Vorträge konzentrierte sich auf die Wirkung des Skriptes. Wie man sie erzeugen könne, indem man einen Plot so planen könnte, dass klandestin die „großen" Fragen des Lebens angesprochen würden und insgeheim „archetypische" Themen anklängen. Für den kommerziellen Erfolg ist die Fähigkeit, eine „große" Geschichte zu erzählen, oftmals eine unabdingbare Bedingung. Die Beispiele des Seminars bildeten Filme wie etwa „Titanic" und „Vertigo", ein deutscher Film jüngeren Datums war nicht darunter, schon die Auswahl verriet die Außenseiterrolle, in dem sich der neuere deutsche Film häufig befindet. Die hat nicht nur mit doppelten Kamerateams am Set oder exzessiven Budgets zu tun, sondern mit der Sorgfalt, mit der bei der Script-
entwicklung die Ambivalenzen der menschlichen Psyche ausgelotet werden. Ein Interesse zu haben, wenn auch kommerziell, an den Dramen der „kleinen" Leute. Nicht als Akteure auf der Leinwand, sondern als Rezipienten im Kinosaal, die einen Film sehen wollen, der ihre psychischen „black holes" berührt.

Was ist noch der regionale Film?

Sind die USA besser? Was ist der „nationale" oder regionale Film in einer Welt, in der Filmemacher nach Hollywood gehen, wenn sie Erfolg haben wollen und in der ein internationales Crossover von Finanzierungen, Stars und Produzenten an dem Ganzen mitwirkt? In einem der Foren wussten die europäischen Produzenten keine Antwort. Ein aus Deutschland kommender Filmproduzent aus Hollywood meinte, es sei der Verfall des deutschen Fernsehens, der mit dem Aufkommen der „Privaten" aufgekommen sei, und der alle Maßstäbe ruiniert habe. Die „Quote" sei der Tod des Films gewesen, aber was sind eindimensionale Erklärungen in einer Welt, in der, wie ein Agent meinte, eine deutsche Serie über eine Autobahnpolizei überall hin verkauft wird und andererseits intelligente Serien aus den „erzkapitalistischen" USA kommen? Ein Wiener Produzent sprach von der besonderen Schwierigkeit des österreichischen Films, der bereits häufig für den Vertrieb in der BRD untertitelt werden müsste. Und warum gäbe es keinen Markt für die Filme der Nachbarländer in Europa? Wer würde denn schon die Top Twenty eines Jahres aus, sagen wir, Frankreich kennen?

Wer alleine bleibt, hat keine Chance

Der Produzent aus Finnland, der sich gegen Mitternacht noch ein paar Drinks gönnte, sprach von der Schwierigkeit, Waldbrände in einem verregneten Sommer zu erzeugen, von seinen Zuschauerquoten in Finnland und davon, dass er einer der erfolgreichsten Filmgrößen in Finnland sei. Er wolle jetzt für den internationalen Markt produzieren, nicht auf finnisch, um sich international hochzuarbeiten. Natürlich war der Mann hier relativ unbekannt, wahrscheinlich eine halbwegs nationale Größe in Finnland, was hier nur unter dem Label „Kaurismäki" vertrieben wird.

Film, das sind Namen: Regisseur und Schauspieler. Drehbuchautoren bleiben unbekannt wie die Kameraleute oder Lichtsetzer, wenn Produzenten Stoffe kaufen und sie in fremde Hände geben. Was debattiert wurde, war die Zusammenarbeit zwischen Regisseur und Drehbuchentwicklung, der klassische Autorenfilm der Siebziger scheint für einheimische Produzenten out of topic zu sein - das Drehbuch ist ein Produkt, das nach kommerziellen Kriterien zu vermarkten ist. Als die Veranstaltung schon beendet war und gewohnt bärbeißige Wachleute den Abbau überwachten, erzählte eine Drehbuchautorin, dass für eine ihrer Geschichten, die aus dramaturgischen Gründen in allergrößter Hitze zu spielen hatte, die Dreharbeiten wegen der engen Produktionsetats nur in strömenden Regen hätten stattfinden können, so habe halt der Regisseur ständige Bemerkungen über den ungewohnt heißen Regentag einflechten lassen: Vor Wut habe sie gekocht als sie das alles im Fernsehen gesehen habe.

Sind Drehbücher eine Bonanza für die jungen Kreativen? Sind die glänzenden Fassaden des Filmhauses Hinweis auf die Situation derer, die in diesem Business arbeiten? Angeblich sind Drehbuchautoren sehr gesucht. Trotzdem verschlechtere sich die rechtliche Situation der Drehbuchautoren immer weiter, jammerten die alten Hasen. „Buy out" Verträge, bei denen die Rechte ein für allemal gekauft würden, seien jetzt en vogue. Der Verband der Filmautoren, in den man nur hineinkommt, wenn man ein Drehbuch realisiert hat, ist unter diesen Bedingungen ein Refugium derer, die arriviert sind. Die „gesuchten" Neuen sind schutzlos und ohne die Hilfe einer Institution. Der Autor aus Hollywood, der sich überraschend aus dem Publikum zu Wort meldete, redete von „us" und „we". Dinge wie Solidarität, eine eigene Krankenkasse und das kalifornische Recht, was „closed shop", d.h. Zwangsmitgliedschaft in einer Gewerkschaft, erlaubt. In diesem Falle würden unfaire Verträge mit den Produzenten unterbunden: „Wenn ihr nur alleine seid, seid ihr nach fünf Jahren wieder draußen!"

GMZ

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