Ausgabe 10 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Dem Zeichner einen goldenen Maulkorb

In der „Wondertüte" des Comiczeichners Atak ist der Teufel los

Durch ein „Loch im Himmel" schleicht sich der Teufel in das Leben des kleinen Anselm zu Berlin. In Gestalt eines herrenlosen Hundes betritt er die Stadt der Köter und Tölen, für den Teufel ein klassisches Kostüm. Nur erscheint er hier nicht als der übliche Pudel, der geckenhaften Witzfigur unter den stinkenden Freunden des Menschen; sein Leib ist bizarr gezackt, mal scheint er gar keine Hinterläufe zu besitzen, mal steht er aufrecht wie ein Mensch und stackst durch eine Prenzlauer Berg-Szenerie, die in Ataks Zeichnungen nostalgisch-entrückt anmutet. Dennoch spielt die Geschichte in der Jetztzeit, aktuelle Nachrichten von Kampfhundgreueln werden eingeflochten. Der Teufel in Hundsgestalt manipuliert seine „Artgenossen", jagt sie auf böse Buben, die Anselm mit Steinen bewerfen und inszeniert, Anselm inzwischen entlaufen, wüste Hundeorgien.

Dem Treiben von Hund Beelze auf der Spur sind Anselm und seine Schulkameradin Anke, eine zarte Teenage-Lovestory bahnt sich an.

Der Berliner Comiczeichner Atak scheint mit „Hunde über Berlin" einen umfangreichen Comicroman anzuvisieren, der sich wohl noch über etliche Ausgaben seiner Heftserie „Wondertüte" ausbreiten wird. Die Handlung kann so noch nicht endgültig beurteilt werden, der Reiz der Hefte liegt vielleicht auch gar nicht so sehr in ihr. Es ist Ataks Zeichenkunst, die begeistert, sein graphischer Einfallsreichtum z.B. in den Traumsequenzen, in denen sich Anselms Angst vor dem Teufelshund mit seiner noch unerweckten Sexualität vermischt. Atak kombiniert in seinem Zeichenstil grobe, klare Pinselstriche mit kleinteiligen Mustern, die Texturen beschreiben und Flächen füllen und von der manischen, agoraphoben Zeichnerei geisteskranker Künstler beeinflußt scheinen. Auch Van Goghs graphische Arbeiten sind nicht weit.

Atak schmückt sein Werk gern mit Zitaten aus. Das Logo der Warhol'schen „Campbells"-Dosensuppen dient dem Teufel als Himmelsloch; Anselm schläft im Bett des wohl berühmtesten Comicträumers „Little Nemo", an der Wand hängen Poster der „Simpsons". Wie bei ihrem großen Vorbild Gary Panter, dem wichtigsten amerikanischen Comic-Pop-Künstler, spielt die Zitatherkunft - „Hochkunst" oder „Trivialkultur" - keine Rolle mehr.

In der aktuellen, üppigen Doppelnummer 5/6 der „Wondertüte" hat Atak neben seinen Arbeiten Beiträge internationaler Gaststars und -sternchen versammelt, darunter Julie Doucet, Charles Burns und, besonders herausragend, der finnische Schabkartonmeister Matti Hagelberg. Weniger herausragend sind Ataks Jugendsünden, ein mit dreizehn Jahren geschaffenes Comic-Frühwerk. Zeichnerisch hat sich Atak seitdem gottlob enorm entwickelt, der Texter Atak auch - leider: Denn die schlichte, kindliche Abenteuerprosa ist überambitionierten, pseudolyrischen Texten gewichen, deren Naivität nicht mehr jugendlicher Unschuld, sondern sprachlichem Unvermögen geschuldet ist. Die beschriebenen Stärken des Künstlers machen dieses schmerzliche Manko jedoch wett; gerade die Nummer 5/6 ist ein Wunder an liebevoller Ausstattung mit atemraubend schönem Cover, eingeklebter Sammelkarte, und selbst die Kleinanzeigen sind von Atak handgemalt.
Kai Pfeiffer

Die „Wondertüte" von Atak
erscheint zweimal jährlich bei
Reprodukt, Berlin

www.reproduktcomics.de

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  Ausgabe 10 - 2000