Ausgabe 10 - 2000berliner stadtzeitung
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Odysseus in der Spielhölle

Der Bildungsroman eines Griechen in Deutschland

Als Giorgios Krommidas mit dem Lyrikband Tagebuch einer Trennung debutiert, ist er schon 47 Jahre alt. Er hat eine gescheiterte Beziehung mit einer Deutschen hinter sich und Jahre, die er mit Gelegenheitsjobs und in der Halbwelt der Spielhöllen Bonns verbracht hat. Die Literatur wird zum Rettunganker dieses Lebens, und: Krommidas findet im Medium der deutschen Sprache zu sich. „Feierlich wie bei einem Sakrament schrieb ich das erste Wort. Und das zweite. Das dritte. Hunderte von Worten, die meinen Schmerz in eine Schönheit verwandelten, die mir Trost gab." Das ist der pathetische Höhepunkt eines Bildungsromans, in dem Krommidas seine Entwicklung buchstäblich von der Gosse bis in die Höhen eines selbstbewußten Dichtertums beschreibt. Er tut das im wesentlichen unprätentiös, lakonisch, auf nicht mehr als 100 Seiten.

Begonnen hatte alles wie eine durchschnittliche „Gastarbeiter"-Biographie in den sechziger Jahren: Im überfüllten Zug und mit Touristenvisum kommt Kimon aus dem verarmten Griechenland in die Bundesrepublik. Ein Job wird sich finden, auch wenn es zunächst heißt: ohne Arbeitserlaubnis keine Aufenthaltsgenehmigung - und umgekehrt. Aber Kimon ist vom Pech verfolgt. Er ist weder der Geschickteste noch der Disziplinierteste und seine Jobs ist er meist schnell wieder los. Schließlich wird er Opfer seiner unkontrollierbaren Spielsucht, die ihm schnelles Geld einbringt, das er ebenso schnell wieder verliert. Kimon arbeitet als Croupier, versucht schließlich selbst sein Glück als Betreiber einer Spielhölle. Die Familie in Griechenland zürnt ihm längst, die deutsche Freundin kommt mit ihm nicht klar. „Bei uns zu Hause hätte ihre eigene Familie sie in ein Zimmer eingesperrt und die Tür zu zementiert", meint ein marokkanischer Kollege zu Kimon, dem das freilich auch nicht weiter hilft. Als seine Beziehung endgültig scheitert, ist das Schreiben seine Rettung - eine anrührende Geschichte, in der man aus einer Außenseiterperspektive einiges über die bundesdeutsche Nachkriegszeit erfährt. „Wenn die Gespräche ins Philosophische führten", so der Erzähler über die Deutschen am Stammtisch, „bekam ich manchmal zu hören, dass ich ein Mensch sei."

Erschienen ist der Roman von Giorgos Krommidas im kleinen Avlos Verlag, der die ambitionierte Reihe „Ausländische Autoren schreiben deutsch" unterhält.
Florian Neuner

Giorgos Krommidas: Ithaka. Roman. Avlos Verlag, Linz/Rhein 2000. DM 20.

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