Ausgabe 10 - 2000berliner stadtzeitung
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Stalker - Zone der Beliebigkeit

Sebastian Hartmann hat sich mit seiner Theateradaption des Tarkowski-Films die Latte etwas zu hoch gelegt

Dem gelernten Schauspieler Sebastian Hartmann ist schon öfter die Klassikerklitterung gelungen, zuletzt bei Ibsens Gespenstern an der Volksbühne. Nun ist aber das Verhohnepipeln von ohnehin recht lächerlichen Charakteren nicht so weit hergeholt.

Anders verhält es sich mit dem sehr ernstzunehmenden Stoff von Stalker von Andrej Tarkowski, dessen Dramatisierung die neue Prater-Spielzeit eröffnete. So ein Stück muss sich an der Vorlage messen, die die Latte in schwindelerregender Höhe angesetzt hat.

Im Winter 1989 stand ich geschlagene drei Stunden vor dem Kino Babylon an, um Karten für einen der sogenannten Kellerfilme zu erstehen. Der Film hieß Stalker von Andrej Tarkowski. Hinterher wusste niemand, warum man diesen Film verboten hatte. Weil es um Glauben ging, um nicht Nichtsagbares, weil keine optimistischen Menschen durch die fröhlich blühende sozialistische Landschaft liefen, ein Aufbaulied auf den Lippen? Oder weil es um eine Zone ging? Auf alle Fälle war ich tief beeindruckt.

Es geht um drei Männer, die sich in die sogenannte Zone begeben, ein lebensgefährliches Gebiet, in dem uns bekannte Naturgesetze nur bedingt gelten, und die streng bewacht ist. Einer der drei ist der Stalker, der sich in der Zone auskennt und die anderen beiden zu einem enigmatischen Zimmer fahren soll, das angeblich Wünsche wahr machen kann. Die Unternehmung endet für die beiden heilsgläubigen Glückssucher im Fiasko. Obwohl sie es finden, kann es ihnen nicht das Gewünschte geben: ein Ziel, einen Glauben. Der Stalker hatte sie gewarnt, er hat die Suche schon hinter sich und ist weise geworden. Die beiden anderen verplempern sich noch in zu profanem Gezänk. Das Ende ist philosophisch - der Weg als das Ziel. Es geht um Glauben, Hoffnung, alles, was (erfülltes) Leben vielleicht ausmacht.

Ein Werk zerstreuen zu wollen, das so ins Existenzielle geht, ist ein gelinde gesagt schwieriges Unterfangen. Nun also das Stück, das die lange Vorrede braucht, damit niemand denkt, die Vorlage sei genauso inhaltsleer wie Sebastian Hartmanns Adaption.

Vier Leute treffen aufeinander und haben nicht viel miteinander zu tun. Die Bühne besteht aus einer kakteenbestückten Wüstenlandschaft in einer Ecke des Raumes, wo sich zwischendurch mal ein echtes Minischwein räkelt. Davor eine Schiene, die ziemlich nahe an die Zuschauerreihen heranführt. Darauf ein Kamerastativ mit einer Kamera, die im Verlauf des Abends mehrmals eingesetzt wird. Die Bilder sind dann auf zwei Videoleinwänden zu sehen.

Zuerst sitzt aber Herbert Fritsch an der Seite auf einem Kinoklappstuhl, und man hört Philosophisches von der Videowand, währenddessen der Schauspieler gelangweilt durch die Gegend schaut. Dann kommen die anderen drei Mit-/Schauspieler dazu. Die reden größtenteils durcheinander oder aneinander vorbei. En passant bekommt der Zuschauer mitgeteilt, dass Fritsch den Stalker darstellt. Dazu kommt noch seine Frau (Cordelia Wege) und die beiden Zonenreisenden, ein Wissenschaftler (Ingolf Müller-Beck) und ein Schriftsteller (Thomas Lawinky), deren Charaktere eigentlich nur der Programmzettel angibt. Es wird ein wenig telefoniert, der Schriftsteller erzählt für sich über die zweifelhaften Wonnen des Einkaufs in der DDR und das Turn -und Sportfest. Also Zone gleich Zone?

Später ziehen sich alle nackt aus und liegen als eine Art Körpersandwichskulptur aufeinander, danach rennen sie noch ein bisschen im Adams- bzw. Evaskostüm herum und kleiden sich nach einer zu langen Weile wieder an. Zwischendurch schreit Stalker-Fritsch herzzerreißend. Gott, ist das schlecht! Seltsamerweise hat niemand geklatscht.

Dem Spiel ist fortwährend das Improvisieren anzumerken. Alles redet durcheinander, dann gibt es Slapstick. Wenn zum Beispiel die Gefährlichkeit der Zone anhand von unmotiviert herumhüpfenden Gegenständen illustriert werden soll oder das Verfallsdatum des vermeintlich plötzlich aufgetauchten Brotes lauthals verkündet und von den anderen wiederholt wird.

In einer Szene versucht Fritsch mit Hilfe einer Hebebühne eine Glühbirne an der Decke des Saales auszuwechseln, die immer wieder erlischt, woraufhin er mehrmals nach oben und unten fahren muss. Das ist lustig und hilft über die Zeit hinweg, bis sich die drei, mit der Videokamera bewaffnet, auf die Reise in die Eingeweide des Praters machen und letztenendes Fritschs Kopf in einer Aussparung in der Saaldecke erscheint.

Aber mit Tarkowskis Stalker hat das wenig gemein. Hier scheint niemand an irgend etwas zu glauben. Was hinwiederum in den zeitgeistigen Beliebigkeitsdiskurs passt. Aber das hat die Geschichte nicht verdient. Man kann seine Zeit sinnvoller verbringen, etwa in die Videothek gehen und einen Film ausleihen, Stalker zum Beispiel. Dauert genauso lange, ist aber mehr drin.

Ingrid Beerbaum

Stalker nach Andrej Tarkowski, Volksbühne im Prater, Kastanienallee 7-9, 25. Oktober, 20 Uhr, fon 247 67 72

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