Ausgabe 10 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Wem gehört der Helmholtzplatz?

Mit Leinenzwang und Polizeibestreifung will die Sozialstadträtin von Prenzlauer Berg ein unerwünschtes Klientel
vom Helmholtzplatz fernhalten. Doch die Mitarbeiter des Platzhauses wollen da nicht mitmachen

Ein großer Zaun umschließt den Helmholtzplatz im Prenzlauer Berg seit fast einem Jahr. Davor stehen zwei Bänke, auf denen sich eine buntgemischte Gruppe aufhält, ältere Männer mit Dosenbier, Punks mit ihren Hunden, auch einige kahlköpfige Jugendliche mit
Mountainbikes. „Der Platz sieht aus wie ein Käfig und wir sind ausgeschlossen davor". Henry drückt aus, was viele der Menschen denken, die sich den engen Platz vor dem Zaun teilen, der demnächst fallen soll. Wenn es nach der Sozialstadträtin von Prenzlauer Berg Ines Saager (CDU) geht, soll es für Henry und seine Freunde nach dem Ende der Umgestaltungsarbeiten keine Zukunft mehr auf dem Helmholtzplatz geben.

Einstufung als gefährlicher Ort

Jahrelang wurde dieser Platz und seine Umgebung mit streunenden Hunden, bettelnden Punks und weggeworfenen Drogenspritzen in Verbindung gebracht. Nach den kostenaufwendigen Sanierungsarbeiten soll der Platz mit regelmäßigen Polizeistreifen, der Schließung von sogenannten „Säuferecken" und der rigorosen Ahndung auch kleinster Verstöße gegen die Drogenbestimmungen und die Hundehalterverordnung von seinem Negativimage befreit werden. Seit letzten Jahr gehört der Helmholtzplatz zu den „gefährlichen Orten" Berlins, die der Polizei Sonderrechte einräumt. Sogar der Aufbau einer Kamera ist im Gespräch.

Vorerst hat sich die Stadträtin allerdings auf die Mitarbeiter des im Juni eröffneten Platzhauses eingeschossen, die den Law-and-Order-Kurs aus dem Rathaus in der Fröbelstraße nicht mittragen wollen. In einem vierseitigen Brief übte Saager Mitte August eine Generalkritik sowohl an den Kunstausstellungen im Platzhaus, als auch der Themenauswahl und Gestaltung der Kiezzeitung „Helm+Holtz": „Weder Ausstellung, noch Nutzung, noch Zeitung lassen mich zur Zeit erkennen, dass es um die Bewohner im Kiez geht, eher um ein bestimmtes Klientel, dem man statt Grenzen zu setzen, Türen öffnet", so ihr Fazit. Eine zeitweilige Schließung des Pavillons wurde von ihr in die Diskussion gebracht.

Doch die so Gescholtenen beeindruckt das wenig: „Unser Konzept für ein ‚Haus für alle' entstand schon nach der Wendezeit und daran halten wir auch heute noch fest. Wir haben Angebote auch für den finanziell bessergestellten Anwohner im Programm. Aber wir sind nicht bereit, die Platznutzer auszuschließen, nur weil sie ihr Bier statt vor dem Nobelrestaurant auf der Parkbank trinken", meint eine Platzhaus-Mitarbeiterin. Dabei verhehlt sie keineswegs die Schwierigkeiten, wenn es darum geht, die unterschiedlichen Interessen unter einen Hut zu bringen. So seien Klagen von Anwohnern mit Kindern über verschmutze Spielplätze und frei herumlaufende Hunde berechtigt.

Schließt Euch zu Hause ein!

Die alltägliche Probleme vor Ort lassen bei den Platzhaus-Mitarbeitern eine Romantisierung der Outlaws vom Helmholtzplatz gar nicht erst aufkommen. „Während uns die Stadträtin mangelnde Distanz zu den Platznutzern vorwirft, werden wir von manchem Punk als verlängerter Arm der Bezirkspolitik beschimpft", beschreibt ein Platzhaus-Mitarbeiter die Stellung zwischen den Fronten. Auch rassistische Sprüche gehören nach ihren Angaben bei einem Teil der Platzszene zum Alltag. Demnächst könnte der Pavillon noch mehr ins Kreuzfeuer geraten, so die Befürchtung. Anfang September gab es schon einen kleinen Vorgeschmack. Nachdem sie von der Polizei von ihren Bänken am Zaun vertrieben worden waren, stellte sich eine Gruppe der Platznutzer demonstrativ mit ihren Bierdosen vor dem Eingang des Platzhauses auf.

Doch im Hintergrund geht es nicht nur um die Platzszene, sondern um die Umstrukturierung des Helmholtz-Kiezes zu einer Yuppiemeile à la Kollwitzplatz. Von dort sind seit einigen Jahren weniger zahlungskräftige Mieter in das „LSD-Viertel" gezogen. Diesen Namen hat die Gegend nicht etwa wegen extensiven Drogenkonsums, sondern weil dort die Lychener, Schliemann- und Dunckerstraße auf den Helmholtzplatz führen.

Dort nimmt in der letzten Zeit die Anzahl der Cocktail- und Sushibars, Cafés und Trattorien rapide zu. Die örtliche Betroffenenvertretung bemüht sich um Lärmreduzierung des Kneipenbetrieb nach 22 Uhr. Doch auf Politikerinnen wie Ines Saager können sie dabei nicht zählen. In ihrem Brandbrief gegen die Platzhaus-Crew mahnte sie ausdrücklich einen Verzicht auf das „Feindbild Nobelkneipe" an: „Auch Gastronomen und Kellner sind Betroffene".

Peter Nowak

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 10 - 2000