Ausgabe 10 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Kapitalismus bald vorbei ?

Der Kapitalismus (zur Datenmengenreduktion jetzt nur noch K. genannt) hat ein paar große Vorteile. Es gibt überall Pornografie zu sehen, es gibt alle Drogen, die man sich vorstellen kann, und von denen, die man sich nicht vorstellen kann, gibt es auch ein paar, und es gibt richtige fiese Nazis, die frei herumlaufen und die man angucken kann, und wenn man stark genug ist und schnell genug rennen kann, kann man sie sogar hauen. Da fühlt man sich wie Teddy Thälmann, und nicht wie damals im Osten, wo man Teddy Thälmann gut finden musste, aber sich nie so fühlen durfte wie er. Das ist schon ein ziemliches Paradoxon, dass man im Sozialismus nur ein Second-Hand-Thälmann sein durfte. Dass man immer gläubig sein musste, aber nie Heiliger sein durfte. Und daran ist der Sozialismus ja schließlich auch zugrunde gegangen. Aber der S. ist ein Kapitel für sich, mir geht's jetzt um den K. Seine Vorzüge hab ich genannt: Pornos, Drogen, Nazis.

Der K. hat aber auch einen großen Nachteil, der ihm irgendwann einmal das Genick brechen wird, knick-knack. Das ist, dass er einen immer wieder dazu bringt, sinnloses Zeug zu kaufen. (Im Osten gab es nichts zu kaufen, und jeder Impuls, dagegen aufzubegehren, wurde brutal beantwortet: „Hammwanich. Überlegen Sie sich doch mal, ob Sie das überhaupt wirklich brauchen.") Dieses sinnlose Zeug begnügt sich nicht damit, bis ans Ende seiner Tage in der Wohnung rumzulungern und Staub zu fangen, sondern zwingt einen, wenn man es erst einmal gekauft hat, noch mehr sinnloses Zeug zu kaufen, sozusagen sinnloses Meta-Zeug, und genau das wird dem K. noch mal das Genick brechen, knick-knack.

Ich kaufe mir also ein schickes weißes Hemd, und das hat zur Folge, dass seit Monaten eine Mehrfachsteckdose unter meinem Schreibtisch herumliegt, die ich mir gekauft habe, damit ich die Schreibtischlampe nicht ausstecken muss, wenn ich das Hemd mal bügle mit dem Bügeleisen, das ich mir gekauft habe, um das schicke weiße Hemd zu bügeln, weil, ein weißes Hemd wird ja erst dann zum richtig schicken weißen Hemd, wenn es gebügelt ist, das ist jedenfalls die landläufige Meinung, und deshalb hab ich mir also ein Bügeleisen gekauft, das seit einem Jahr unbenutzt im Regal steht. Der Weiße-Hemd-Kauf war nämlich nur so ein Impuls. „Och", dacht ich mir, „kaufste dir mal ein weißes Hemd, warum auch nicht, das hat noch niemand geschadet, jawollo, mal bisschen Mut zum weißen Hemd hier", und diesem Impuls bin ich nachgegangen. Und dann hab ich das Bügeleisen gekauft, und dann hab ich die Mehrfachsteckdose gekauft, und dann hab ich ein gepolstertes Brett mit emaillierten Stahlbeinen drunter gekauft, und dann hab ich noch so eine flaschenhafte Spritzpistole aus dunkel-lila Plastik gekauft, und dann hab ich mich gefragt: „Ziehst du eigentlich jemals IM ERNST ein weißes Hemd an?" Nein, tu ich nicht. Nicht mal zum Spaß.

Und sowas macht Verdruss. Dass sowas im K. möglich ist. Dass da niemand sagt, „Hammwanich!", oder „Weißes Hemd kaufen ist verboten!", oder „Mensch, überleg dir das doch nochmal" oder sowas. Und wenn man dann irgendwann zusammenrechnet, wieviel Geld man so schon völlig sinnlos ausgegeben hat, wieviele Stunden man für dieses Geld schon völlig sinnlos gearbeitet hat, Stunden, in denen man viel besser spazieren gegangen wär oder rumgeknutscht hätte oder gevögelt oder sich ein bisschen gefühlt wie Teddy Thälmann oder wenigstens mal ein gutes Buch aus der Leihbücherei gelesen - und wenn dann zufällig mal ALLE GLEICHZEITIG ausrechnen, was sie eigentlich wegen dem K. so verpasst haben in ihrem Leben, so dass halt die kritische Masse zusammenkommt, ja, dann ist die Situation da, und das bricht dem K. dann das Genick, knick-knack. Und das haben, glaub ich, schon die Klassiker gesagt.

Bov Bjerg

Hans Duschke: Und erst die Windelpreise!

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