Ausgabe 05 - 2000berliner stadtzeitung
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Die "Freie Schule Prenzlauer Berg" sucht Kinder

Kaum einer ist bisher drum herumgekommen. Alle müssen oder mussten irgendwann in ihrem Leben in die Schule, weil es ein Gesetz gibt, das erst mal jeden dazu zwingt.

Doch alle jammern über das deutsche Bildungssystem. Die Eltern können die einsetzende Resignation ihrer Kinder nicht mehr mit ansehen. Die Lehrer fühlen sich durch schlechte Lehrbedingungen überfordert. Und nicht zuletzt erleben die Kindern die Schule eher als Zwangsveranstaltung denn als Lebens- und Lernraum.

In der "Freien Schule Prenzlauer Berg" versuchen wir andere Wege zu gehen.

Wir sind eine 1990 entstandene Elterninitiative, deren Gründungseltern mit dem DDR-Bildungswesen groß geworden sind. Einige von uns waren schon vor und in der Wendezeit an der Gründung von Kitas und anderen Projekten im Prenzlauer Berg beteiligt, die sich mit Offener Arbeit mit Kindern und Kinderkulturarbeit befassten. Unseren Verein nannten wir "Freies Lernen in Berlin" e.V., und wir waren wild entschlossen, schon im Sommer 1992 eine Grundschule zu eröffnen. Daraus wurde erst mal "nur" ein Schülerladen. Seit August 1996 haben wir eine Betriebsgenehmigung für eine Grundschule mit dazugehörigem Hort. Zur Zeit besuchen 27 Kinder im Alter von sieben bis dreizehn Jahren unsere Schule, die von zwei Lehrerinnen, einem Sozialpädagogen und einem Erzieher betreut werden. Schule und Hort sind von 8.30 bis 16 Uhr geöffnet.

"Spielend"zum Forscher

Die Kinder verbringen den Tag in selbst gewählten Zusammenhängen. Eine starre Zeiteinteilung sowie Sortierung nach Alter gibt es bei uns nicht, ebenso keine Zensuren oder ähnliche Bewertungssysteme. Dagegen werden Regeln, Lernverabredungen und zeitliche Abläufe gemeinsam ausgehandelt, sind aber nicht für "immer und ewig" festgelegt.

Für die "Kleinen" beginnt die Schulzeit bei uns mit einer längeren Orientierungsphase, in der die Kinder unter sportlichen Aktivitäten, Werkstattarbeiten, Malen, Basteln und freiem Spiel wählen können. Natürlich "dürfen" sie auch Lesen, Schreiben und Rechnen lernen. Uns interessiert dabei vor allem der individuelle Zugang, mit dem die verschiedenen Kinder die Kulturtechniken für sich entdecken und nutzbar machen.

Die Schule ist für alle Beteiligten durch ihre Kleinheit gut überschaubar, so daß die jüngeren Kinder ganz gut mitkriegen, womit die älteren sich so beschäftigen und ein Austausch untereinander stattfindet.

Die Kinder kommen gern und freiwillig (!) in die Schule. Sie erleben hier eine Form der Kinderöffentlichkeit, die ihnen vieles erlaubt, aber auch viel von ihnen fordert. Das Entdecken eigener Interessen sowie der Wunsch, diese auch durchzusetzen, führt immer auch zu Konflikten. Des öfteren müssen diese erst mal von der körperlichen in die verbale Ebene transportiert werden. Es mutet schon fast exotisch an, wenn Kinder auf die Frage, was ihnen an der Schule gefällt, antworten, "dass wir da machen können, was wir wollen." Obwohl auch diese Kinder schon eine beträchtliche Reihe von Kinderversammlungen erlebt haben, wo zäh um Regeln des Zusammenlebens gerungen wurde, scheinen sie doch die dort verabredeten Einschränkungen (z.B. zu bestimmten Zeiten die Lemgruppenarbeit nicht zu stören) keineswegs als Zwang zu empfinden.

Allumfassende Beteiligung der Eltern und Lehrer

Den Lehrern und Betreuern wird an unserer Schule ein überdurchschnittlicher, nicht leicht zu bemessener Arbeitsaufwand abgefordert. Vom Aushandeln von Lernverabredungen (neben Gruppenverabredungen ist auch die Nachfrage nach Einzelverabredungen sehr groß) bis hin zur zeitintensiven Reflexion des Alltags durch Teamsitzungen, Teamtage, Supervisionen und Elterngesprächen reicht das Spektrum, das regelmäßig angesagt ist.

Die Schule ist, wie schon erwähnt, eine Elterninitiative. Das bedeutet, dass die Eltern nicht nur Mitspracherecht haben, sondern sich auch um etliche Sachen kümmern müssen. Da wären z.B. der ganze Verwaltungskram, Kontakte zu Behörden, Werbung, die Reinigung der Schule, Einkaufen, Renovieren, Reparieren etc.

Es bleiben hier sicher noch etliche Fragen offen, vor allem wahrscheinlich die, wo denn der Haken an der Sache ist, ob die lieben Kleinen dann nicht lieber gar nix lernen, ob es gute oder schlechte Erfahrungen mit dem Wechsel in weiterführende Schulen gibt, was das denn nun kostet. Für alle, die sich für uns interessieren, stehen wir gerne zum Gespräch zur Verfügung. Wir sind zwar sicher nicht in jedem Fall die "Glücklichmacher", aber wie wär´s mit einem Versuch?
Bettina Köppen (Gründungsmitglied)

Freie Schule Prenzlauer Berg / "Freies Lernen in Berlin" e.V., Thomas-Mann-Str. 65, 10409 Berlin, fon/fax 424 18 05

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