Ausgabe 05 - 2000berliner stadtzeitung
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Auf die Straße, Eckart!

Der Innensenator will das Demo-Recht beschneiden

Seit Berlin die Bundesregierung beherbergt, hat Innensenator Eckart Werthebach (CDU) ein Problem: die Demonstrationen, die sich nicht verbieten lassen und die am falschen Ort stattfinden. Vor dem Verwaltungsgericht ist er regelmäßig gescheitert, wollte er die NPD-Demos untersagen. Zuletzt sollte das entsprechende Verbot erwirkt werden unter dem Hinweis auf die Interessen und das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland, die Schaden nehmen könnten. Das Verwaltungsgericht teilte jedoch mit, dass das Versammlungsgesetz und die Verfassung hierfür keine Handhabe bieten. Werthebachs jüngster Vorstoß zielt nun ganz direkt auf eine gravierende Änderung des Versammlungsgesetzes des Bundes.

In einem so genannten Eckpunktepapier, das er vor kurzem den Innenministern der CDU-Länder und der Berliner Senatskanzlei vorlegte, will er das Gesetz dahingehend ändern lassen, dass auch innen- und außenpolitische Aspekte "unterhalb der Grenze der Strafbarkeit" die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährden können. Bisher war es nur möglich, Demonstrationen verbieten zu lassen, wenn eindeutig die Gefahr bestand, dass von dieser Straftaten ausgehen. "Mit dieser Definition Demonstrationen zu verbieten, heißt nichts anderes, als dass das Versammlungsrecht unter Staatsvorbehalt gestellt wird", kritisiert Marion Seelig, innenpolitische Sprecherin der PDS.

Doch nicht genug damit, dass so das grundsätzliche Recht auf Demonstrationsfreiheit beschnitten wird, zumal noch unter äußerst dehnbaren innen- und außenpolitischen Begründungen, sondern auch die Demonstrationsorte werden eingeschränkt: Der befriedete Bezirk rund um den Reichstag soll vergrößert werden, so dass das Brandenburger Tor für die Autofahrer passierbar bleibt und der Tourist nicht durch Transparente schwenkende Schreihälse verstimmt wird. Auch am zukünftigen Denkmal für die ermordeten Juden oder an der Neuen Wache soll kein Demonstrant seine Meinung kundtun.

Bündnis 90/Die Grünen fürchten, dass dadurch zwischen Schlossplatz und Brandenburger Tor "eine Art monarchistische Zone" entsteht, in der das Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit außer Kraft gesetzt wird. "Lobbyisten mit entsprechender finanzieller Ausstattung haben dann weiterhin den Zugang zur Politik und können Druck ausüben. Das Volk aber muss nach dem Willen Werthebachs nicht nur draußen bleiben, es wird auch aus dem Zentrum der Stadt vertrieben", erklärte Fraktionsvorsitzende Renate Künast.

Bisher ist Werthebach mit seinen Änderungsvorschlägen zum Demonstrationsrecht vom Koalitionspartner SPD zurückgewiesen worden. Vielleicht sollte er für sein Eckpunktepapier auf die Straße gehen und wöchentliche Demonstrationen gegen die vielen Demonstrationen organisieren, zum Beispiel am Brandenburger Tor. Solange er noch darf.
js/sas

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