Ausgabe 12 - 1999berliner stadtzeitung
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Das Lied der Bürokratie ist garstig

Benutzungsentgelt für Schulräume im Wedding sorgt für Disharmonie

Wenn Susan Pohlmann nicht in einer Vorlesung sitzt oder für eine Klausur büffelt, musiziert sie auf der Geige oder dem Saxophon. Weil sie nicht allein spielen will, hat sie sich dem Jungen Ensemble Berlin e.V. (JEB) angeschlossen. Dort, im Sinfonieorchester und im Blasorchester trifft sie Gleichgesinnte, vor allem Schüler und Studenten, mit denen sie neue Stücke einstudieren und aufführen kann. Alle investieren viel Zeit und Kraft in die ehrenamtliche Arbeit, denn der Applaus nach einem gelungenen Konzert ist für sie der größte Lohn.

Die etwa 250 Mitglieder von Berlins größtem Jugendmusikverein haben sich in vier Ensembles organisiert. Neben den genannten existieren ein Chor und ein Jugendblasorchester, wo die Kleinen erste Konzerterfahrung sammeln können. Alle proben ein-, zweimal in der Woche in Schulen in den Bezirken Tiergarten, Wedding und Pankow. Auch an Wochenenden kommen sie zusammen, um sich konzentriert auf eine Aufführung vorzubereiten.

Doch seit kurzem schallt Mißklang aus dem Bezirksamt Wedding. In dürrem Bürokratendeutsch kam er daher: "...teilen wir Ihnen mit, daß künftig von Ihnen ein Benutzungsentgelt zu entrichten ist, da sich die Nutzungsvorschriften seit dem 16.06.1998 geändert haben." Der Bezirk hat dem Verein bis jetzt durch die kostenlose Bereitstellung von Probenräumen unter die Arme gegriffen. Jetzt will er Geld sehen. Der Bezirk greift nach jedem Strohhalm; jede Einnahmequelle wird angezapft. Bereits im Juni vergangenen Jahres hat das Bezirksamt eine "Raumnutzungsanweisung" erlassen, die gestaffelte Gebühren für die Überlassung von Schulräumen usw. vorsieht. Denn die Verwaltung soll auch im Wedding kostendeckend arbeiten.

Das Grundstücksamt unterscheidet fortan zwischen repräsentativen Räumen, Mehrzweckräumen, Sitzungs-und Besprechungsräumen etc. Allein der Max-Beckmann-Saal ist von der Neuregelung nicht betroffen, denn er wird vom Kunstamt verwaltet. Die Miete für Schulräume einer Größe von bis zu 60 Quadratmetern beträgt jetzt je angefangene Stunde 16 DM. Ab drei Stunden Nutzungsdauer wird eine Tagespauschale von 72 DM fällig. Und für die Benutzung einer Aula verlangt man bis zu 675 DM. Wer ein Klavier benötigt, zahlt zusätzlich 100 DM, ein Tageslichtprojektor oder eine Mikrophonanlage kosten je 50 DM.

Eingetragene Vereine, die ihren Sitz im Wedding haben, und andere Einrichtungen des Bezirks sind von der Gebührenpflicht ausgenommen. Vereine aus anderen Bezirken zahlen die Hälfte. Diese Regelung sei moderat, wenn man sich die Nutzungsgebühren der privaten Wirtschaft ansehe, betont der Bezirk. Doch Pech für das JEB: Die Proben der Ensembles des Vereins finden zwar traditionell in Tiergarten, Wedding und Pankow statt, doch seine Geschäftsstelle befindet sich in Schöneberg.

Als Geschäftsführerin weiß Susan Pohlmann, daß der Verein nicht in der Lage ist, Gebühren für die Nutzung der Probenräume zu bezahlen. Schließlich handele es sich beim JEB um einen gemeinnützigen Verein ohne Profitinteresse, der vom Engagement seiner Mitglieder lebe. Zwar gewähre der Senat Zuschüsse zu einzelnen Projekten. Doch die kostenlose Benutzung von Schulräumen sei die Voraussetzung für erfolgreiche Jugendarbeit. Wenn diese Gelegenheit jetzt wegfalle, bedeute dies einen gravierenden Einschnitt. Sollten die anderen Bezirke mit ähnlichen Regelungen nachziehen, müsse der Probenbetrieb verlagert oder eingestellt werden.

Dazu muß es nicht kommen. Die Ensembles könnten auch woanders unterkommen. Allerdings ist die Regelung des Bezirks Wedding engstirnig. Von Vereinen Gebühren einzufordern, wenn diese ihren Sitz nicht im eigenen Bezirk haben, entspricht einer bürokratischen Logik. Die Summen, die sich durch diese Maßnahme erwirtschaften lassen, dürften aber eher gering sein. Und wenn alle fremden Vereine verdrängt worden sind, wird man die Gewinne wohl kaum messen können.

Das JEB fühlt sich und seine Arbeit mißachtet. Die Schüler und Studenten musizieren in erster Linie, weil sie Freude an der Musik und am Gemeinschaftsleben haben. Das ist ein wichtiger Beitrag zum kulturellen Leben nicht nur einzelner Bezirke, weil sie andere durch ihre Konzerte an ihrer Freude teilhaben lassen. Sinfonie heißt Wohlklang; das Lied der Bürokratie aber ist garstig.
Benno Kirsch

© scheinschlag 2000
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