Ausgabe 12 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Ticket jetzt!

Erwerbslose fordern bezahlbaren Fahrschein

Die Wege in Berlin sind lang, und wer kein Auto hat, ist auf die BVG angewiesen. Besonders im Winter setzt sich nicht jeder gern aufs Fahrrad. Deshalb soll gerade jetzt ein verbilligtes Arbeitslosenticket eingeführt werden.

Beschlossen wurde es schon Ende September im Berliner Abgeordnetenhaus - doch das war vor den Wahlen. Jetzt befürchten die Erwerbsloseninitiativen, dass die Umsetzung im Behördendickicht versackt. Die immer noch Nicht-Einführung des Semestertickets ist warnendes Beispiel genug. Im Mai 1999 starteten die Berliner Erwerbslosen ihre Unterschriftenkampagne für bezahlbare Tickets. Bis jetzt sind 55 000 Unterschriften zusammengekommen. Die Monatskarte soll maximal 40 Mark kosten, die Tageskarte 5,20 Mark und der Einzelfahrschein 2,60 Mark. Die Tickets sollen nicht nur für Arbeitslosenhilfeempfänger sondern für alle Arbeitslose gelten, da das durchschnittliche Arbeitslosengeld bei nur 1100 Mark im Monat liegt.

Um jetzt weiter Druck zu machen und alle Hindernisse möglichst schnell aus dem Weg zu räumen, zerbricht man sich sogar den Kopf anderer Leute. Der Vorschlag an die Verwaltung lautet: Wenn das Ticket zum 1. Januar 2000 eingeführt werden soll, können die Erwerbslosen das schon existierende Ticket für Sozialhilfeempfänger benutzen (Preis 40 Mark). Als Berechtigungsnachweis gilt der letzte Bewilligungsbescheid vom Arbeitsamt. Auch bilanzmäßig hilft man der BVG auf die Sprünge: Je mehr Personen berechtigt sind, sich ein verbilligtes Ticket zu kaufen, desto weniger müssen zu Hause hocken bleiben oder sind zum Schwarzfahren gezwungen. Experten gehen zumindest von keinen zusätzlichen Kosten für die BVG aus, teilweise rechnet man sogar mit Mehreinnahmen. Und die Fahrgastzahlen würden vielleicht auch wieder steigen. Immerhin sind in Berlin 270 000 Menschen erwerbslos.

Doch die Verkehrsbetriebe kümmern sich lieber um Investitionen in elektronisch lesbare Chip-Fahrkarten und "Servicetafeln", die ankündigen, in wieviel Minuten die nächste U-Bahn kommt, anstatt über den Fahrscheinpreis - vielleicht auch mal für den Normalzahler - die Attraktivität der öffentlichen Verkehrsmittel zu erhöhen. Meist schielen sie auf den Zuspruch der potenziellen Autofahrer, wenn sie ihre Leistungen anpreisen. Doch bei aller Liebe zu Design, Elektronik und sonstigem "Service": ein Mercedes wird aus der U-Bahn nie werden.

Und wer jetzt noch Zweifel hat an der Durchführbarkeit eines Arbeitslosentickets hat, sollte mal nach Hamburg schauen. Dort exstiert es nämlich schon. Für 30 Mark.
sas

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