Ausgabe 12 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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In weiter Ferne so nah

"Beschkempir" von Aktan Abdikalikov

Was machen halbwüchsige Jungen fernab von Videos und Internet, wenn sich die Männlichkeit zu regen beginnt? Sie studieren die unbekannte Welt durchs Schlüsselloch und bauen sich ihre Traumfrau aus dem am kirgisischen Dorfrand reichlich vorhandenen Sand.

Nicht alle der Geschichten, mit denen Aktan Abdikalikov den jungen Kirgisen Beschkempir von der Taufe bis zur Schwelle zum Erwachsenen begleitet, kommen so unbeschwert daher. Aber immer wieder ist zu spüren, dass das Leben am zentralasiatischen Ende der Welt gar nicht so weit weg ist vom westlichen High-Tech-Center-Life.

Auch Kino gibt es, wobei das bunte Geschehen auf der Leinwand fast zweitrangig ist. Hauptsache, man trifft sich, wenn auf dem nächtlichen Dorfplatz der Projektor rattert und in den Pausen einer der Jungen auf den Laternenpfahl klettert, um Licht für den Rollenwechsel zu machen.

Ein Moped oder gar ein Auto hat keiner hier, aber da holt der Filmvorführer die Dorfschöne eben mit dem einzigen Fahrrad des Ortes ab (nachdem er vorher listig den Gepäckständer abmontiert hat).

Beschkempir spielt dabei den Boten, der die Einladung zur Spazierfahrt überbringt. Bis er selbst das erste Mal für "seine" Aynura in die Pedale treten darf, hat er jedoch noch einige Schicksalsschläge zu überstehen:
Ein Adoptivkind soll er sein, behauptet sein bester Freund, eifersüchtig, weil die von beiden umschwärmte Aynura Beschkempir ihn beim Ratespiel vorgezogen hat. Die Eltern streiten die Wahrheit ab. Und auch die geliebte Großmutter gibt nicht zu, was alle wissen. Erst bei ihrer Beerdigung ist Beschkempir reif genug zu erfahren, dass er den kinderlosen Eltern gemäß alter Tradition von einer kinderreichen Familie anvertraut wurde. Und als erster Schritt im Erwachsenenleben leitet er die Begräbniszeremonie.

Manchmal erinnert Beschkempir, verkörpert von Mirlan Abdikalikov, dem Sohn des Regisseurs, an den jungen Antoine Doinel aus Truffauts "Sie küssten und sie schlugen ihn". Das ist vielleicht mit ein Grund für die Beteiligung der französischen Co-Produzenten, ohne die der Film wohl kaum den Weg in hiesige Kinos gefunden hätte, wenn er überhaupt hätte entstehen können. Denn so einfach die Geschichten aus ihrer Heimat auch sind, die Aktan Abdikalikov und einige andere junge Filmemacher aus Zentralasien erzählen, Filme kosten Geld, und sie brauchen ein Publikum, das bereit ist, sich auf die neuen Filme aus dem fernen Osten einzulassen. Wer das tut, wird belohnt mit Bildern, die schwarz-weiß, aber nicht grau sind. Und manchmal bleibt die Welt einen Moment stehen. Und alles wird bunt.
go

Beschkempir: Kirgisien/ Frankreich 1998, Regie: Aktan Abdikailov, mit: Mirlan Abdikailov, Albina Imasheva, Adir Abilkassimov.
In den Kinos Hackesche Höfe Filmtheater, Filmbühne am Steinplatz und FSK am Oranienplatz.

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