Ausgabe 12 - 1999berliner stadtzeitung
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Den Kanal noch nicht voll

Nach 22 Jahren trennen sich die Clowns Wenzel und Mensching


Nach dem Mund reden wollten sie nie. Hofnarr sein, dem Herrscher unter dem Deckmantel der Liebedienerei die Wahrheit unterzuschieben, ist zu zwiespältig. Und niemand hatte Hans-Eckardt Wenzel und Steffen Mensching gebeten, als die beiden Kulturwissenschaftsstudenten 1978 ihre Art Liedertheater erdachten.


Sie begannen als "Karls Enkel" mit Kenntnis von Marx und Selbstbewusstsein ihm gegenüber. Ab 1982 traten sie als Clowns Weh und Meh auf, der lange Wenzel mit Locken, trauriger Harlekin-Pierrot-Schminke und seiner Narrenkappe, der rot-weiß gestreiften Stoff-bademütze. Der kleine Mensching im abgeschabten Jackett, verletzlich, bissig, schlagfertig. Gitarre und Akkordeon waren immer dabei. Volksclowns wollten sie sein und zum Lachen und Denken verführen. Wirklich hatte die "DaDaeR" so etwas Skurriles, Berührendes und Hintergründiges selten gesehen. Diese Mischung aus Liedern, Wortspielen, absurden Diskussionen und Klamauk wurde berühmt.


Aber was nach 1989 noch sagen? Die Clowns wurden fernsüchtige, doch nie abreisende Seefahrer, sangen Shantys und zum Alltag in der BRDDR. Weh und Meh begannen vom Älterwerden zu sprechen. Beim Abschied Anfang Dezember war zu ahnen, was beide nun vielleicht auseinandertreibt: Alle lachen, den meisten ist das meiste bekannt. Wenn Meh und Weh die Müllverschickung nach Afrika bitter veräppeln oder jene Normalbürger, die Ausländern für den Neonazismus verantwortlich machen, wird klar, dass es viel zu belachen, zu bedenken und zu tun gibt. Doch wenn sie Rechtschreibreform, feindliche Übernahme, Folklore-TV und Sparpaket erwähnen, derer man selbst überdrüssig ist, wenn sie zwar witzig, aber doch gewöhnlich ihr neues Buch reklamieren, dann wirkt das schal und etwas schade.


Vielleicht waren ihre Texte in der DDR nicht wirklich besser, wie es heute oft heißt. Nur damals, als es eigentlich keine Narrenfreiheit gab, wagten wenige zu sagen, was alle für notwendig hielten. Wer es tat, erst recht im Clownsgewand, hatte das Lob des Mutigen und Gewitzten auf seiner Seite. Weh und Meh aber gehen nun einzeln, die clowneske Hintergründigkeit neu zu erobern. Sie haben, meinen sie, den Kanal noch nicht voll.


Nach ihrer letzten gemeinsamen Vorstellung am 6. Dezember im Gorki-Theater sprachen mit Steffen Mensching und Hans-Eckardt Wenzel Stefan Melle und Mirko Zander:



Nach 20 Jahren trennt Ihr Euch nun. Warum jetzt?


M: Die Frage stellt man sich natürlich immer. 20 Jahre war für uns so eine magische Grenze, das 40. Lebensjahr für mich auch, da wuchs die Überlegung, dass man aufhören sollte, solange die Arbeit noch erfolgreich ist, qualitativ gut und man sich nicht wiederholt.


Hatten Eure Programme ein Konzept, das Ihr nun ändern müsstet?


W: Da ist zum einen das Gefühl, in einer Konstellation wie den Clownsfiguren alles gesagt zu haben. Wir suchen eine besondere Ansprache an das Publikum, verwandt der Commedia dell`arte und dem Volkstheater, und die hat gewisse Grenzen etwa in der Präzision der Beschreibung. Außerdem führen abstrahierte Typen wie die Clowns oft zu einer abstrakten Rezeption. Dazu haben wir viel ausprobiert, aber das Publikum hat uns immer in eine gewisse Ebene zurückgezogen. Unser wohl kühnstes Projekt, der Arthur-Rimbaud-Abend "Aufenthalt in der Hölle" etwa wurde nicht wirklich akzeptiert. In gewissem Sinne ist das auch ein Recht der Leute. Sie kaufen ein bestimmtes Produkt, und dann wollen sie es auch haben.


Ihr tretet auch einzeln auf. Seid Ihr dabei frei vom Bild der Clowns?


M: Es wird schwierig werden. Bis jetzt hatten die Leute uns stets zu zweit und verstanden die getrennten Auftritte als das Besondere. Für uns selbst entsteht eher eine andere Art von Kontinuität. Wenn sich Wege trennen, muss plötzlich jeder das, was der anderere bisher trug, allein tragen. Oder man sucht sich andere Partner.
W: Wenn wir die Clowns spielten, haben wir uns ja nicht verstellt, das hat schon etwas mit unserer Art zu denken, unserer Weltauffassung zu tun. Doch es werden sich vielleicht andere Schwerpunkte bilden.


Auf der Bühne scheint Ihr zwei sehr verschieden. Andererseits hielt Eure "Ehe" 20 Jahre.


M: Wir sind sicher sehr unterschiedlich, schon allein körperlich und in den Geschwindigkeiten, davon lebt ja auch diese Paarung. Doch es gibt auch starke Berührung in Vorstellung zur Ästhetik und dazu, was Kunst soll. Ohne dieser Gemeinsamkeit hätten wir es nicht so lange geschafft. Aber es wurde jetzt schwieriger, einen Konsenspunkt zu fixieren. Mit wachsendem Alter versucht man extremer, seine eigenen Konzepte zu formulieren und durchzusetzen, und je größer darin die Unterschiede, desto größer auch der Kompromiss. W: Erneuerung fällt einem leichter mit anderen Leuten. Man geht wohl jungfräulicher und naiver heran, auch offener.


Eure Zeit teilt sich fast genau in je zehn Jahre DDR und Bundesrepublik. Wie empfandet Ihr Euer Clown-Sein da?


M: Der eigene Anspruch an die Arbeit und die Kunst ist von den äußerlichen Bedingungen relativ unabhängig. Natürlich kalkuliert man von außen herangetragende Ansprüche mit. Ich spüre auch, dass meine Arbeit heute weniger interessiert und ich zu anachronistisch für den "Kunstmarkt" bin. Aber weil ich auf verlorenem Posten stehe, will und kann ich mein Handwerk, meinen Anspruch nicht korrigieren, dafür bin ich auch zu alt.


In Euren Programmen aber scheint Ihr genau zu wissen, wann Ihr dem Publikum etwas zum Anbeißen gebt, wann darin Brisanz steckt. Andererseits verbinden sie sich oft sprunghaft assoziativ, durch quasi zufällige Wortspiele. Bedeutet das nicht einen Widerspruch, erst zu sagen: Hört, das ist ein wichtiger Inhalt, und dann: Es ist doch nur ein Spaß?


W: Das Clowneske ist immer auch ein Spiel mit Publikum.
M: Ich glaube nicht, dass wir nach Filetstücken oder Problemen gesucht haben, die aktuell als Lachköder wirken. Szenen funktionieren, wenn sie sich clownesk zu Gegenständen verhalten, die mich und das Publikum interessieren. Bei uns waren sie immer recht profan, durchsetzt mit Geist und Philosophie, aber stets für die Leute, und das ist wohl Voraussetzung für den Erfolg als Clown.


Werdet Ihr ohne das Clowneske auskommen? Wenzels CD mit Liedern nach Theodor Kramer etwa ist oft sehr traurig.


W: Das Clowneske gehört einfach zu mir dazu. Dinge wie die CD waren immer nur ein Ausgleich. Das Gegengewicht des Clowns ist ja immer das Traurige. Er ist traurig, aber man lacht über ihn, weil er sein Unglück nicht als Vorwurf formuliert, sondern immer so, dass der Zuschauer sich noch daran freuen kann, sich wiedererkennt.


Was empfindet Ihr, wenn Ihr jetzt gleich viermal im Gorki-Theater und der Kalkscheune Abschied feiert? Freude? Traurigkeit?


W: Wir feiern 26-mal! Sind all die Clubs abgefahren und haben uns von unserem Publikum verabschiedet. Wir empfinden es auch als eine Art Befreiung, und ist es Arbeit.
M: Wir haben versucht, den Abschied leicht, ein bisschen mozartisch zu stricken. Das Ungewöhnliche ist, dass sich hier nicht zwei Leute verabschieden, die nun zu alt geworden oder ins Abseits geraten sind, sondern bei denen alles noch gut läuft. Sicher ist das eine ungewöhnliche Geste. Doch das Nachdenken darüber ist interessant. Man kann einfach sagen, jedes Ding hat seine Zeit.

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