Ausgabe 20 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Verhandlungstrümpfe für Sanierungsnomaden

Bei angekündigten Modernisierungen können Mieter feilschen

Während die Mieter in den Sanierungsgebieten einigermaßen sicher sein können, daß keine drastischen Mieterhöhungen drohen, sieht die Situation außerhalb dieser Gebiete ganz anders aus. In attraktiven Lagen ist eine aufwendige Modernisierung und die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen äußerst profitversprechend. Im Bezirk Mitte bedeutet zum Beispiel die Nähe zum Regierungsviertel, daß mit großer Wahrscheinlichkeit solvente Mieter oder Käufer für die dann teuer sanierten Wohnungen gefunden werden. Zwar wenig Grün, aber dafür kurze Wege zur Arbeit. Mittlerweile tauchen sie dann auch auf dem Markt auf: die heißersehnten Verbände, die Lobbyisten, die Journalisten und was sich sonst noch im Troß der Regierung bewegt.

Dementsprechend sind im Bezirk Mitte Modernisierungsankündigungen an der Tagesordnung. "Fast fünfzig Prozent der Beratungen in diesem Jahr betreffen solche Fälle", so Christof von der Berliner Mietergemeinschaft. Hinzu kommt noch, daß das "Jahrhundertgeschenk" des scheidenden Finanzministers, die Sonderförderung für Wohnungsinvestitionen in Berlin und Ostdeutschland, zum Ende diesen Jahres endgültig ausläuft. Konkret bedeutet das: nur die Modernisierungsaufwendungen, die tatsächlich noch 1998 begonnen werden, können noch abgeschrieben werden. Eile ist also geboten. Der Tagesspiegel stellt dementsprechend auch auf dem Markt bei Sanierungsobjekten ein "Gerangel wie beim Sommerschlußverkauf" fest - und druckt den Artikel konsequenterweise auf der Wirtschaftsseite. Der Stadtspaziergänger dagegen versteht, warum plötzlich zum Jahresende noch so viele Gerüste aufgebaut werden.

Nach Einschätzung der Mieterberatung geht es im Bezirk Mitte "vor allem in der Friedrich-Wilhelm-Stadt, um den Nordbahnhof und um den Zionskirchplatz herum am härtsten ab". Wobei "Härte" ganz unterschiedlich empfunden werden kann. Was der eine als Normalstandard und Zuwachs an Lebensqualität empfindet, wird für den am Existenzminimum lebenden zur Bedrohung. Wehrt sich der eine erst gegen eine "Luxusmodernisierung", ist für den anderen schon der Einbau von Heizung und Bad nicht mehr tragbar. Auch das Wohngeld kann den späteren Mietsprung nicht völlig auffangen, gilt doch in Berlin laut Gesetz noch immer ein vergleichsweise niedriges Mietenniveau. Die sogenannten "Sanierungsnomaden" im Prenzlauer Berg sind ein Indiz für diesen Mißstand: Sie ziehen jeweils nach der Modernisierungsankündigung von einem unsanierten zum nächsten noch unsanierten Haus.

Nerven bewahren

Flattert die Modernisierungsankündigung nun ins Haus, heißt es Nerven bewahren. Sind doch die Möglichkeiten, eine gute Verhandlungsposition gegenüber dem Vermieter zu erreichen, gar nicht mal so schlecht. "Das Dümmste, was man machen kann," so Christof von der Mietergemeinschaft, "ist, sofort auszuziehen. Manche sind allein schon durch Gucker im Treppenhaus so verunsichert, daß sie vorzeitig die Wohnung räumen."

Für diejenigen, die bleiben wollen, stellt sich die Frage, wie die spätere Miethöhe einigermaßen erträglich zu gestalten ist, bzw. welche finanziellen Entlastungen noch vereinbart werden können. Bei genauerer Betrachtung hält man zwei unspektakuläre, aber wirkungsvolle Trümpfe für erfolgversprechende Verhandlungen in der Hand: zum einen den reinen Zeitfaktor und zum anderen das Formale des Mietrechts. Da die Zeit auf jeden Fall gegen den Vermieter läuft, weil er bis zum Jahresende anfangen will und teilweise auch seine Bereitstellungskredite für die Modernisierung schon laufen, bedeutet jede Verzögerung: Der Vermieter muß draufzahlen. Darauf baut nun der zweite Faktor auf, denn es ist gar nicht so einfach, eine formal korrekte Modernisierungsankündigung zu erstellen. Da aus Spekulationsgründen die Häuser oft schnell weiterverkauft werden, kann schon mal der Grundbucheintrag ein halbes Jahr auf sich warten lassen. Um aber eine wirksame Ankündigung loszuschicken, ist ein Grundbucheintrag unbedingt notwendig, denn nur so kann man sich als Eigentümer ausweisen. Bezweifelt nun der Mieter die Wirksamkeit der Modernisierungsankündigung oder reizt andere Formalia aus - spielt also ganz offensichtlich auf Zeit - ist oft das eigentliche Recht gar nicht mehr ausschlaggebend, sondern: Die Vermieter lenken ein und sind zu Verhandlungen bereit. Eine Klage vor Gericht dagegen kostet immer Zeit. Ist also dadurch die Verhandlungsposition verbessert, kann mit einigem Geschick eine geringere Höhe der späteren Modernisierungsumlage vereinbart werden. Ein Erfolg mit Langzeitwirkung. Aber auch einmalige Verbesserungen, wie eine Umsetzwohnung mit entsprechendem Umzugsgeld, Entschädigungen für Einbauten oder eine Mietminderung können vereinbart werden. Sind die Vermieter beispielsweise im Besitz von mehreren Häusern, kann für eine neue Wohnung die gleiche Miete wie in der alten gelten.

Rauskaufenlassen

Eine besondere Situation schafft die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Da der Immobilienmarkt einen Unterschied macht zwischen einer vermieteten oder einer unvermieteten Eigentumswohnung, kann ein Mietvertrag in diesem Fall bares Geld wert sein. Die Preise bei unvermieteten Eigentumswohnungen liegen bei ca. 1000 Mark pro Quadratmeter und bei vermieteten ungefähr 400 bis 500 Mark darunter. Wenn man also signalisiert: ich würde eventuell ausziehen, kann man sich diesen Schritt vergolden lassen. Vor allem Studenten machen von dem Rauskaufenlassen Gebrauch, da sie sowieso keine längere Bindung an den Ort haben. 20000 Mark können da auf einen Schlag verlockend sein, treiben aber gleichzeitig das Mietniveau in die Höhe.

Bei allen Strategien ist es jedoch unbedingt empfehlenswert, sich vorher beraten zu lassen und eine Prozeßversicherung abzuschließen. Bei der Prozeßversicherung ist darauf zu achten, daß sie auch lange genug vor Eintritt des "Schadenfalls" abgeschlossen ist. Besondere Vorsicht muß man dann noch walten lassen, wenn man meint, alles sei eigentlich geschafft. Aber gerade Mietaufhebungsvertrag, Modernisierungszustimmung oder Vergleichsvereinbarung sollten erst nach einer Rechtsberatung unterzeichnet werden. Die damit eventuell vereinbarte Geldsumme wird nämlich nicht immer auch gezahlt und kann dann oft nicht eingeklagt werden. Sabine Schuster

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 20 - 1998