Ausgabe 20 - 1998berliner stadtzeitung
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Es brennt am Ostkreuz

Die geplante Stadtautobahn A 100 wird Friedrichshain durchpflügen

Der "Brennpunkt" Ostkreuz, für Kenner ein wahrhaft beschauliches Örtchen, ist im Begriff in einer Großbaustelle zu versinken. Es geht um den geplanten Autobahnneubau A100. Von der Landsberger Alle entlang der S-Bahn, über Frankfurter Allee und unter dem Ostkreuz, über die Spree und quer durch Treptow hindurch zum geplanten "Dreieck Neukölln" pflügen ab 2005 die Schaufelbagger eine sechsspurige Schneise durch die Stadt.

Die Verkehrsplaner der Senatsverwaltung befinden sich in fieberhafter Detailplanung, immerhin soll noch in diesem Jahr mit dem Beginn des Umbaus des S-Bahnhofs Ostkreuz auch gleich der zweistöckige, 14 Meter breite Autobahntunnel in Angriff genommen werden. Dieser soll irgendwo am Markgrafendamm einmünden und sich unter der Neuen Bahnhofstraße bis fast zur Frankfurter Allee hinziehen.

Bisher weiß dort kaum jemand von seinem Glück, demnächst vielleicht für Jahre an einer einen Kilometer langen und rund 15 Meter tiefen Baugrube zu wohnen und ab dem Jahre 2010 in den Genuß der Abgase von amtlich geschätzten 130000 täglich vorbeirollenden Pkw und Lkw zu kommen.

Wer Autobahnen sät,...

Die tolle Idee für die Stadtautobahn A100 stammt ursprünglich noch aus den dreißiger Jahren, nur daß "der Russ den Deibel getan hat, als seinem Vasallen eine Autobahn zu bauen", so Originaltext eines Verkehrsplaners der Senatsverwaltung. So ist Ost-Berlin im glücklichen Zustand einer "stadtautobahnfreien Zone" verblieben. Das soll sich jetzt ändern. Für die einen, den Senat, ist es die "Schließung des mittleren Straßenringes", gleich einem als großes Überraschungsei verpackten Jugendtraum, für die anderen - die anwohnende Bevölkerung - die längste Praline der Welt, die da lärmend und stinkend in ihre Kieze gepflügt wird.

Dabei kann man sich in Ost-Berlin über zu geringe Straßenquerschnitte nicht beschweren, immerhin gibt es zum Beispiel mit der B 1/5 (Frankfurter Allee) und der B 96a bereits zwei sechsspurige, stadtautobahnähnliche Ausfallstraßen. Und das Straßensystem steht auch ohne Autobahn nicht vor dem Kollaps, kleine Verbesserungen ausgenommen. Selbst die dümmsten Planer und Politiker glauben nicht an ihre pseudoökologische Entlastungstheorie, denn jeder weiß: Wer Autobahnen sät, wird mehr Verkehr ernten. Es gibt bereits einen Autobahnring, ein zweiter muß nicht her.

Der Anteil des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin liegt mit rund 50% weit vor anderen deutschen Städten und ließe sich durch Senkung der Fahrpreise noch erheblich erhöhen (keine feindliche Übernahme der BVG durch die Deutsche Bahn AG vorausgesetzt). Verhältnismäßig gering ist auch (noch) das Aufkommen des motorisierten Berufspendlertums: Arbeiten im städtischen Büro, Wohnen im Grünen - eine schwere Krankheit westdeutscher Städte. Warum also eine Stadtautobahn und keine dezentrale Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur?

...wird mehr Verkehr ernten

Der Senat argumentiert ganz lapidar: Autobahnen finanziert der Bund, für Stadtstraßen muß Berlin selbst aufkommen. Auch wenn einfachere Lösungen vergleichsweise aus der Portokasse zu bezahlen wären, ist doch das sechsspurige Jahrhundertbauwerk billiger!?

Wie zu erfahren war, plant die Deutsche Bahn AG, für den Umbau des Bereichs Ostkreuz eine Milliarde Mark hinauszuschleudern. Beauftragt damit ist das Architekturbüro JSK, besser bekannt durch seinen Frankfurter Chef Helmut W. Joos (Campanile-Planer und CDU-Rechtsaußen). Dafür, daß die Arbeiten noch in diesem Jahr beginnen sollen, ist von den Planungen bislang wenig bekannt. Einer Steilvorlage ähnlich mutet jedoch die praktische Verbindung zum gleichzeitigen Autobahntunnelbau an. Hier sollen Tatsachen geschaffen werden, noch bevor über die A 100 abschließend entschieden ist.

Es könnte ja sein, daß die neue rot-grüne Bundesregierung langfristig zu einer anderen Meinung zu den "Verkehrsprojekten Deutsche Einheit" gezwungen ist. Die Stadtautobahn A 100 dürfte den Vorstellungen zumindest des Koalitionspartners entgegenlaufen. Die Liste der Gegnerschaft ist lang: die Anwohner und die Betroffenenvertretungen, die Bezirksverordnetenversammlung, das Stadtplanungsamt und die Stadtentwicklungsverwaltung…

Wer bleibt als Befürworter übrig? Der Senat und seine Klientel. Zu dieser "mafiösen Struktur der Ewiggestrigen" bedarf es an dieser Stelle wohl kaum größerer Ausführung.

Die Ostkreuzfangemeinde

Für öffentliche Unmutsäußerungen empfiehlt sich ein gemeinsamer Besuch der ebenfalls öffentlichen Ausschußsitzung zum Thema A100 am Dienstag, den 27.10.98 um 18 Uhr im Bezirksamt Friedrichshain, Frankfurter Allee 35-37, Raum 3104.

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