Ausgabe 20 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Musik für die Massen

Wo haben Mädchen und Frauen im Popland ihren Platz? Als Groupies? Als Freundinnnen des Bassisten der gerade auftretenden Band (ausschließlich wieder mal männliche Mitmenschen an den Instrumenten)? Hinterm Tresen des Rockschuppens? Wenn man eines dieser traurigen Indie-Konzerte mit der geheimen Band X auf dem obskuren Label Y besucht, findet man sich genau in einem aus diesem Weltbild entworfenen Wohlfühlzirkus für Männer wieder.

Natürlich gibt es auch Mädchenbands, die schaut man sich dann als korrekter Indie-Head auch an, und wenn die Sängerin gut aussieht - um so besser. Aber was bitte ist aus all den tollen Ideen der New Wave bis hin zur androgynisierten Love-Parade-Generation geworden? Ein männlicher Poptheorie-Backlash der allerübelsten Sorte, eine von Bierprolls beherrschte Love-Parade, Bücher von Nick Hornby bis Benjamin v. Stuckrad-Barre darüber, daß Frauen eben tatsächlich nichts von Musik verstehen und eine dermaßen männlich dominierte Pop-Infrastruktur von Labels bis Fanzines, daß es einem schlecht werden könnte.

Irgendwann gab es in Amerika mal rrrriot-grrrlism - Bikini Kill, Hole, Babes in Toyland - ,Männerschwänze schienen in Gefahr, Obacht - jetzt kommen die angry women, lick my pussy, Eddie Van Halen: Schlachtrufe, einen Spiegel-Kulturteil lang.

Heute findet rriot-grrrl im Internet statt, Mädchenpages mit Links zu ihren Lieblingsbands und sowas. Gelegentlich kommt auch mal eine All-Girl-Band wie Sleater-Kinney nach Deutschland, das war´s dann aber auch schon. Indieland für Mädchen abgebrannt.

Daß man sich nicht auf dem kulturindustriell verbratenen Girlie-Schema ausruhen kann, Heike Makatsch als german-Pop-Girl auch nicht langt, machte unlängst die Diskussion um den Reader "Lips, Tits, Hits, Power?", erschienen im Folio-Verlag, vollgepackt mit einschlägigen Texten an der Schnittstelle Popkultur und Feminismus, deutlich. Kann es noch darum gehen, bloß zu zeigen, daß Frauen die Gitarre richtig rum halten können? Gudrun Gut, die Pop Tarts, Barbara Morgenstern, Laub, Cobra Killer - bekommen solche Projekte in einer Stadt wie Berlin die Aufmerksamkeit, die sie verdienen würden? In den Stadtmagazinen hängen bloß ignorante Männer mit dicken Plattensammlungen rum und in der Zeitung für Popkultur "Spex" gibt es nur noch ein paar ganz wenige Quotenfrauen.

Also heißt die Losung: selber machen, weiter machen, mehr machen. Endlich. Susanne Messmer und Christiane Rösinger von der Berliner Band Britta haben sie somit angegangen, die Labelgründung als Plattform für Musik, die nicht ohne Frauen passiert. Flittchen Records heißt der Laden und geht gleich mit vollem Programm an den Start.

Stolz & Vorurteil - A Compilation of Female Gesang, Gitarren und Elektronik heißt ein Rundumschlag mit jeder Menge verschiedenen Acts zwischen LoFi-Pop und Nett-Trashigem. Alles frisch aus dem Übungsraum und dem Wohnzimmer.

Rest of (rare & unreleased zwischen 1988-1998)... und Best of... Lassie Singers, die beiden Sampler als Vermächtnis der legendären, superweisen, genialen Band, die leider nicht mehr ist. Hier fing nicht unbedingt alles an, kam aber sicherlich so einiges nie zuvor gewesenes Großartiges zusammen.

Toller Start für ein Label. Speziell die Lassie-Sängers-Best Of sollte man haben, wenn man nicht eh schon stolzer Vier-Lassie-Singers-Platten-Besitzer und ewiger Fan ist. Dieser braucht natürlich auch den Rest. Andreas Hartmann

Alle Platten bei Flittchen Records/EFA

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 20 - 1998