Ausgabe 20 - 1998berliner stadtzeitung
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Wenn man anfängt, Punk zu definieren, ist es kein Punk mehr

Eine Austellung in der Kulturbrauerei

versuchte ein Forum zur Selbstdarstellung von Jugendsubkulturen zu schaffen. Dazu ein Interview mit einem der Austellungsmacher.

Die Ausstellung "Crossover im Labyrinth der Jugendkulturen", die Anfang Oktober in der Kulturbrauerei stattfand, lieferte einen sympathisch unbefangenen Einblick in verschiedene Subkulturen dieser Stadt. Vorurteile und Klischeebilder, dargestellt als Schriftzüge auf Schubladen, wurden vielen Selbstdarstellungen von Personen, die sich in den Szenezusammenhängen bewegen, entgegengestellt. Wie in einem Irrgarten konnten sich die Besucher mit den verschiedenen Lebensstilen konfrontieren lassen. Das Ganze wurde so spannend, da bewußt auf einen sozialpädagogisch-belehrenden, oder wissenschaftlich-analytischen Ansatz verzichtet wurde. Ein Großteil der Texte entstand in intensiven Gesprächen mit den Jugendlichen. Unter anderem dadurch fühlte man sich weniger wie in einer Austellung, als mehr an einem Ort der Kommunikation .

Träger der Ausstellung war Pro Kultur, eine gemeinnützige GmbH, die hauptsächlich Jugendarbeit an Schulen macht.

Aufgebaut und konzipiert wurde die Ausstellung von den Theaterwissenschaftlerinnen Christine Boyde und Ulrike Richter sowie dem Modedesigner Carsten Nickol.

Mit Ulrike Richter sprachen Sabine Schuster und Michael Philips.

Wie bist du zu diesem Arbeitsschwerpunkt Jugendsubkulturen gekommen ? Als Theaterwissenschaftlerin habe ich mich mit Volksfesten befaßt. Dabei haben mich Elemente interresiert, die in die Entstehung des weltlichen Theaters eingeflossen sind. Meine Diplomarbeit war über den Wasunger Karneval in Thüringen. Das war in der DDR der einzige Ort, an dem Karneval gefeiert wurde. Der Karneval und die damit zusammenhängenden Feste waren auch Kultur von unten, ein Gegenpol zur damaligen Gesellschaft. Das wurde einfach gemacht, nicht nur als Tradition "gepflegt", so wie man einen Kranken pflegt. Bei dieser Arbeit habe ich viel mit Jugendlichen geredet.

Wie entstand die Idee zur Ausstellung? Die Idee kam sehr spontan, als wir letztes Jahr ein Konzert mit Schülerbands in der Kulturbrauerei organisiert haben im Rahmen von Kinder- und Jugendaktionstagen unter dem Motto "Dschungel der Großstadt". Dabei habe ich gesehen, daß das Publikum unglaublich bunt war. Und ich fand es beschämend, so wenig über die Leute zu wissen. So ist die Idee entstanden nachzuhacken.

Gab es eine Konzeption für diese Arbeit, oder ist das weiter spontan entstanden? Wir haben uns dann erstmal theoretisch rangelesen…

In Literatur aus den Subkulturen, wie Fanzines? Nein, das waren mehr soziologische Studien, und danach fingen die endlosen Diskussionen an. Irgendwann ist mir dann der Kragen geplatzt, und ich hab alle Bücher in die Ecke geknallt. Diese Ansätze waren einfach zu weit ab vom Leben, entweder dieser wissenschaftliche Ansatz oder noch schlimmer, das sozialpädagogisch verständnisheischende "ja irgendwelche Probleme müssen diese Jugendlichen doch haben, wenn sie sich in solchen Subkulturen aufhalten". Und dann haben wir uns ins Leben gestürzt: Sind auf Parties und Konzerte gegangen und haben mit den Leuten gesprochen. Am Anfang war ich noch sehr befangen, die Leute anzusprechen, bis ich gemerkt habe, daß sie sehr mitteilsam sind. Sie wollten ihre Befindlichkeit nach außen tragen. Meine Arbeit in einem Schülerklub war da von Vorteil, und wir haben auch Befragungen an Schulen durchgeführt.

Gab es bei dieser Ausstellung auch Schwerpunktfragestellungen, so eine Art roten Faden? Wir hatten verschiedene Ansatzpunkte. Es war am wichtigsten, Vorurteile abzubauen, Brücken zu schlagen und Meinungen richtigzustellen. Die Zuschauer sollten angeregt werden, sich auf die Dinge einzulassen. Wir wollten optische Bilder schaffen, wie etwa die Schubladen, in der die Klischeemeinungen z.B "Die lutschen Leichenteile" über die Grufties, eingeschrieben waren.

Waren die Meinungen wirklich authentisch? Manche klangen doch ziemlich absurd. Ja, wir haben Außenstehende und die Leute in den Szenen gefragt, welchen Vorurteilen sie am meisten begegnen. Man neigt wohl auch immer dazu, etwas einsortieren zu wollen, das ist wohl der deutsche Ordnungssinn. Das Wichtigste sind die Biographien der Leute, die individuelle Lebensgeschichte, das schlägt jedem Schubladendenken ins Gesicht.

Ihr habt nur ein bestimmtes Spektrum der Jugendszenen ausgewählt. Ist rechte Jugendszene bewußt ausgespart worden? Nein, wir sind einfach an die Leute nicht rangekommen. Aber auf den Fragebögen die wir ausgewertet haben, waren auch viele rechte Ansichten. Das müßte vertieft werden, etwa über Skins etwas zu machen, und dabei die landläufige Meinung aufzubrechen, Skinheadkultur sei automatisch rechts. Das müßte alles noch mehr in die Tiefe gehen. Wir stehen dazu, daß das alles nur Schlaglichter sind.

Wie war die Resonanz auf die Ausstellung ? Aus den Jugendszenen sehr positiv, auch weil wir das Ganze immer mit Parties kombiniert haben. Von offizieller Seite, wir haben Leute vom Senat und aus den Bezirksämtern und die Presse eingeladen, war das Interesse sehr mager.

Und wie haben die Leute aus den Jugendszenen sich dargestellt gefühlt? Die haben sich schon wiedererkannt. Eine Idee war auch, daß sich die Leute zu den anderen Szenen in Bezug setzen. Zum Teil klappte das, teilweise gingen die Leute auch nur in "ihre Ecke". Es war interessant zu sehen, wie wenig die Szenen voneinander wissen. Ein HipHopper beispielsweise hat noch nie von "Reclaim the Streets" gehört, obwohl die HipHop Bewegung sehr sozialkritisch ist und es dabei auch um Zurückeroberung öffentlichen Raums geht.

Was hat sich für dich durch diese ganzen Begegnungen bewegt? Es waren einfach interresannte Erfahrungen, z.B. mit den Punks auf der Straße beim Schnorren zu sitzen. Das war lustig, als die die Leute angeschnorrt haben mit dem Blick auf mich: "für die arme Frau hier, damit sie die Nacht was zum Pennen hat." Spannend war auch zu sehen, wie verschieden die Szenen sich artikulieren. Gerade in der HipHop Szene konnte ich viele Theaterelemente entdecken, aber nicht in der klassisch aufführenden Form.

Die Themen Geld und Arbeit werden kaum thematisiert. Warum? Vermutlich, weil sich bei den meisten das eigene Lebensgefühl und die Arbeit nicht decken, sie arbeiten, um zu leben oder entziehen sich dem ganz. Alle sagten eigentlich, daß es für sie eine Lebensphilosophie für eine lange Perspektive ist. Generell wird auch das Konsumdenken abgelehnt. Es wäre natürlich interessant,die Leute in zehn Jahren nochmal zu interviewen.

In welchem politischen Kontext seht ihr eure Ausstellung? Die Diskussion um öffentlichen Raum und Verdrängung wurde ja schon angedeutet. Sicher, wenn man an "Reclaim the Streets" denkt, das war für mich eine der faszinierendsten Entdeckungen überhaupt. Sich ein Stück Raum, das einem weggenommen wurde, für eine gewisse Zeit zurückzunehmen, um zu leben, eine Party zu feiern, dadurch wird das schon politisch. Die linksradikale Szene haben wir bewußt textlastig dargestellt, weil es dieser Diskussionskultur entspricht. Es ging uns vielfach um die Fragen, wie eine Szene miteinander kommuniziert, mit welchen Philosophien sie sich befaßt.

Wie ist nun die weitere Perspektive eurer Arbeit ? Die Austellung lief ja leider nur sehr kurz. Sicher, wenn die Ausstellung länger gelaufen wäre, wäre noch vieles dazugekommen. Wenn die Austellung wachsen würde, wäre es toll, einfach das zu dokumentieren, was die Leute dazu zu sagen haben. So sollten solche Austellungen meiner Ansicht nach überhaupt konzipiert werden. Bei uns hat sich das angedeutet, etwa nach einem langen Gespräch mit einem Punk, der dann irgendwann einmal sagte, wenn man anfängt, Punk zu definieren, ist es kein Punk mehr. Das haben wir gleich zu den ausgestellten Texten dazugehängt. Wir wollen das Ganze als Wanderausstellung weiterführen und etwa an Schulen oder in alternativen Projekten zeigen. Also, abgeschlossen ist die ganze Sache für mich auf jeden Fall noch lange nicht.

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