Ausgabe 19 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Terra Incotta

Das Polizeiorchester spielt auf dem Marlene-Dietrich-Platz. Es ist die Titelmelodie von Inspektor Derrick.

Erster Tag auf dem neueröffneten Potsdamer Platz. Die Initiative "Kulturpassiert" sammelt Meinungen zum neuen Potsdamer Platz und veröffentlicht sie im Internet. Ein paar Kids finden, daß der Platz "richtig cool, geil und funky" geworden ist. Und der Kiezpatriot schwärmt: "So was gibts im Wedding auch, aber hier in der Mitte Berlins treffen sich alle netten Leute aus aller Welt." Ein anderer ist hier, "weil man in Berlin zu allen Eröffnungen geht". "Aber es wird hier keine richtigen Bewohner geben, außer Udo Lindenberg, der hier seine Koffer abgestellt hat", meint der nächste. Und für "Hotte vom Potsdamer Platz", der schon seit 1993 beim allerersten Imbiß hier arbeitet, wird das auf jeden Fall eine ganz tolle Ecke von Berlin werden: "Wir konnten den Besuchern immer Auskunft geben. Das Jahr 2000 kommt, und an die neue Architektur muß man sich eben erst gewöhnen."

Wachschutz und Polizei beobachten die Besucher. Aber freundlich dezent. Aussieben werden sie später, wenn die Presse weg und der Publicity-Rummel vorbei ist, meint ein Passant. Ein Punk zieht sich trotzdem sicherheitshalber eine Mütze über den Iro.

Sicher, sauber, Service: Mit ausgestellten Autos, auf Hochglanz poliert, umschwärmt von Passanten und den Putzfrauen, die gelangweilt jedes Papierstückchen auffegen, das achtlos auf den Boden geworfen wird, präsentiert "Potsdamer Platz Arkaden"-Betreiber ECE seine Firmenphilosophie.

Auf dem Tribunal über den Potsdamer Platz werden am Abend die Meinungen verlesen. Die kritischen Geister im Publikum bleiben wie so oft unter sich. "Zu wenig City, zu viel Daimler" contra "das wird der Mercedes unter den Plätzen." Und, "wo bleibt der Platz für die Straßenkultur für alle Berliner?"

Der ehemalige Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer sagte damals zum Umgang mit den Investoren am Potsdamer Platz, er wolle den Tiger reiten, nun ist der Tiger davongelaufen, resümiert das Tribunal.

"Auf der Bühne hier dürfen wir nicht spielen, die ist für die Hochkultur reserviert", moderiert charmant der Dirigent des Polizeiorchesters, "aber muß das sein mit den Absperrgittern vor der Bühne?"

Am Abend gibts dann noch Feuerwerk über den neuen Palästen. Die halbe Stadt ist auf den Beinen. Nicht beeindruckt zu sein, würde einen jetzt wohl als Frevler bloßstellen.

M. Philips

© scheinschlag 2000
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  Ausgabe 19 - 1998