Ausgabe 19 - 1998berliner stadtzeitung
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Pack die Badehose ein

Der Kupfergraben kann zu einem einzigartigen Schwimmbecken umgebaut werden

Die Freibadsaison ist gerade zuende gegangen, doch auch im nächsten Sommer wird der badewütige Innenstadtbewohner wieder vor der Frage stehen: Wohin zum Schwimmen gehen? Prinzenbad oder Gosener See, Weißer See oder nüscht wie raus zum Wannsee? Das ist alles entweder zu voll oder zu weit weg oder beides.

Den Innenstadtbezirken mangelt es ganz eklatant an Bademöglichkeiten. In Mitte und Prenzlauer Berg gibt es überhaupt keine Freibäder oder beschwimmbare Gewässer. Abhilfe verspricht das zunächst utopisch klingende Projekt "flussbad": Der Kupfergraben oder auch Spreekanal, also der südwestliche Spreearm an der Spreeinsel in Mitte, wird in ein Schwimmbecken umgebaut. Mit relativ geringem Aufwand entsteht ein 700 Meter langes Freibad, das von der Schleusenbrücke bis zur Monbijoubrücke reicht. Die Aussicht, einmal schwimmend an der Kulisse der Museumsinsel und des Zeughauses vorbeiziehen zu können, läßt auch ausgesprochen wasserscheue Zeitgenossen zu Befürwortern des Projekts werden. Entwickelt wurde "flussbad" von "kunst und technik", einem Zusammenschluß von Ingenieuren, Künstlern und Gestaltern, die seit einem Jahr in ihrem "Laborgebäude" direkt an der Monbijoubrücke residieren. Das Projektgebiet liegt also direkt vor der Haustür.

Den Fluß zurückgewinnen

Der Spreekanal wird seit etwa 100 Jahren nicht mehr für den Schiffsverkehr benötigt, lediglich Ausflugsboote nutzen diesen Arm der Spree noch. Insofern ist dieser Flußabschnitt eine große, untergenutzte Wasserfläche. Tim Edler von "kunst und technik" möchte mit dem Projekt neue Anforderungen an die Spree stellen. Nachdem der Fluß lange Zeit nur als Verkehrsweg und Abwasserkloake diente und die Stadt der Spree den Rücken zukehrte, wendet sich Berlin nun wieder dem Wasser zu. Die an allen Ufern geplanten teuren Stadtvillen zeigen, daß Wohnen am Wasser hoch im Kurs steht. Doch auch für die Allgemeinheit kann mit einem Umbau zu einem Schwimmbecken das Wasser selbst nutzbar gemacht werden. Vorher müssen allerdings zwei Vorbedingungen geschaffen werden: Die Wasserqualität muß sich erhöhen und die Schwimmer müssen eine Zugangsmöglichkeit zum Wasser erhalten.

Schilfkläranlage an der Fischerinsel

Die Verschmutzung des Spreewassers hat in den letzten Jahren kontinuierlich abgenommen. Doch zu warten, bis das Baden in der Spree unbedenklich ist, dürfte zu lange dauern. Daher soll der Spreekanal vom Hauptflußlauf abgetrennt werden. Im oberen Teil, also auf Höhe der Fischerinsel, wird eine etwa 1,8 Hektar große Schilfkläranlage gebaut, die das einfließende Spreewasser in zwei Stufen reinigt: Im Schilfbecken werden zunächst Keimbelastungen abgebaut, in der anschließenden Sandfilteranlage werden Phosphate gebunden. Das bedeutet, daß hier der Spreekanal bis auf zwei schmale Zu- und Ableitungen in ein Schilffeld verwandelt wird. Damit das nicht-gereinigte Wasser der Hauptspree beim Wiederzusammenfluß der beiden Arme nicht in das Schwimmbecken zurückfließt, wird bei der Monbijoubrücke ein kleines Wehr gebaut, das als Nebeneffekt auch die Fließgeschwindigkeit im Becken weiter senkt. Mit etwa 2,20 Metern hat der Kupfergraben eine angemessene Wassertiefe. Sollte sich auf dem Grund jedoch mit Giftstoffen belasteter Schlamm befinden, müßte dieser ausgebaggert werden.

Viel Platz für sportliches Schwimmen

Da der Kupfergraben auf seiner ganzen Länge von hohen Wänden eingefaßt wird, muß eine Zugangsmöglichkeit zum Wasser geschaffen werden. Zu diesem Zweck wird am Lustgarten das Ufer abgetreppt. Daran anschließend wird neben dem Alten Museum eine Umkleideanlage in den Boden eingelassen, damit die historischen Sichtbeziehungen erhalten bleiben. Von dort führt ein Steg auf die Wasserfläche. Ein zweiter Steg markiert eine wettkampftaugliche 50-Meter-Bahn, die Treppenanlage am Lustgarten kann dabei als Tribüne dienen. Wegen der hohen Ufermauern werden für Notfälle auf der ganzen Länge beidseitig Stege angelegt.

Weil Merkmale eines Freizeitbades wie Liegewiese, Sprungturm oder Nichtschwimmerbecken fehlen, liegt der Schwerpunkt der Anlage auf dem mehr oder weniger sportlichen Schwimmen. Auch bei größerem Andrang dürfte dazu ausreichend Platz sein: Die 700 Meter lange Anlage ist im Durchschnitt 25 Meter breit, die Wasserfläche ist 1,8 Hektar groß.

Utopischer Realismus als Planungsprinzip

Trotz aller Spinnerei ist die "flussbad"-Idee völlig ernstgemeint und keineswegs als Witz gedacht. Der Entwurf ist bis ins Detail ausgearbeitet, alle möglichen Unwägbarkeiten sind bedacht worden. Dadurch wird gezeigt, daß auch ungewöhnlichste Planungen machbar sind, wenn man die phantasielosen Denkmuster, mit denen üblicherweise Stadtplanung betrieben wird, beiseite läßt.

Mittes Baustadtrat Thomas Flierl ist jedenfalls von dem Projekt begeistert, "weil es hinreichend unrealistisch ist, um unvoreingenommen diskutiert werden zu können." Die Frage, wem die Stadt gehört, wird hier ganz selbstverständlich durch die Tat beantwortet: Die badenden Stadtbewohner machen ihre Ansprüche geltend und eignen sich den dazu benötigten Raum einfach an. Vor diesem Hintergrund hätte das "flussbad" eine hohe Symbolkraft. Trotz der Bedeutungsschwere der Museumsinsel und des repräsentativen Charakters des Ortes in der Mitte der Stadt gibt es immer noch Nischen, die sich die Stadtbürger nutzbar machen können.

Verglichen mit anderen Projekten in dieser Stadt gibt es eigentlich wenig Grund, die Realisierungschancen für "flussbad" zu pessimistisch einzuschätzen. In Berlin sind schon absurdere Dinge gebaut worden.

Jens Sethmann

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