Ausgabe 19 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Sei wie der Potsdamer Platz

Ein Gespräch mit Alice Creischer (38) und Andreas Siekmann (37) über ihre Nicht-Teilnahme bei der berlin biennale. Beide leben in Berlin und arbeiten künstlerisch und intellektuell in verschiedenen Projekten zusammen.

Ihr seid beide zur berlin biennale eingeladen worden. Alice Creischer: Wir sind angefragt worden. Nicht nur Andreas und ich, sondern auch Joseph Strau und Amelie Wulffen. Wir haben einen Film über Berlin gemacht, "Krumme Pranke". Im Juli wurde Amelie Wulffen angerufen und gefragt, ob sie den Film zu dieser sehr diffus erscheinenden Organisa-ton hinschickt. Es wurde aber nicht gesagt zu welchem Zweck. Du weißt erstmal nicht, wer dein Verhandlungspartner ist. Diese Organisation ruht so selbstgefällig in sich, daß sie sich personal gar nicht zu erkennen gibt. Sie sagt einfach: Schick mal dein Material herüber. Das ist die erste berufliche Zumutung. Die zweite Zumutung ist, daß man nicht als Person oder als Team angesprochen wird, weil es nicht mehr um Subjekte geht, sondern man wird als Element, als Teil einer Jugendkultur gefragt. Man kriegt nicht raus, wie das Konzept aussieht. Gibt´s überhaupt ein Konzept? Wer ist verantwortlich? Dann wird man für die Berlin Plattform angesprochen, das ist die lokale, kritische Ebene innerhalb der berlin biennale. Aber es ist schon klar, wie groß die Verbindlichkeit gegenüber der Restausstellung ist und wie sehr die Plattform dann doch zu dieser Hauptstadtideologie beiträgt. Das ist eine Symbolmaschine, gegen die auch das kritischste Engagement nicht ankommt. Und wenn wir uns kritisch engagieren, wie zum Beispiel gegen das deutschnationale Symposium "Art of Change", voriges Jahr im Hamburger Bahnhof, dann tun wir das selbst. Wir wollen nicht kuratiert werden.

Wie habt ihr auf diese anfängliche Diffusität reagiert? Andreas Siekmann: Ich wollte dann ein Konzeptpapier haben, um eine Verbindlichkeit zu erlangen. Wenn man dort anrief, gab es sofort eine Weiterleitung zu Biesenbach. Der fragte dann immer: Was willst du? Und ich sagte: Ich will ein Konzeptpapier. Das gab es aber nicht. Stattdessen bekam ich eine ganz normale Pressemitteilung, wo dann das Berlin-Berlin-Flanerie-blabla draufsteht, aber nichts darüber, was sie mit der Herangehensweise an so einen Film von einem selbst eigentlich wollen. Da wurde nie etwas verbindlich, es ging immer nur um Events und ein Rahmenprogramm. AC: Das ist ein anderer Punkt. Die Sache mit dem Rahmenprogramm. Es gibt ja eine Staffelung des Programms. Du hast diese Megaprojekte, dann den Congress und schließlich noch die Plattform Berlin. Und man erwartet von uns, als in Berlin lebende Künstler, daß wir in irgendeiner Form so einen authentischen sozialen und auch kritischen Berliner Lokalteil bespielen. Dabei machen wir ziemlich viel in anderen Städten. AS: Es wurde auch der Vorwurf formuliert, daß wir uns permanent selbst marginalisieren. Das finde ich irre. Wir entscheiden uns aus künstlerischen Gründen dagegen, weil hier auf einer rein formalen Ebene eine Berlin-Identität dargestellt werden soll, die sich zum Beispiel von den Berlin-Marketing-Projekten eines Volker Hassemer überhaupt nicht abgrenzt Der Zugriff auf die Künstler erfolgt nicht künstlerisch, orientiert sich nicht daran, was die Leute eigentlich machen, sondern man greift Produktionen ab, die irgendetwas mit Berlin zu tun haben oder hatten. Man sieht ja auch wie die Medien reagieren, daß es um eine Berlin-Identität geht, so ähnlich wie mit der Zeitgeist-Ausstellung in den 80er Jahren, als die Jungen Wilden positioniert wurden. Das ist jetzt der Gegenpol zur Saatchi-Collection, die Young German Art.

Euer Job wäre also gewesen, eine lokale, kritische Performance zu liefern und damit das Projekt insgesamt nochmal aufzuwerten. Aha, die Kritischen sind ja auch dabei. AS: Wir sehen uns erstmal nicht als lokale Künstler. Wenn wir einen Film über Berlin machen, dann läuft der auch in anderen Städten. Wir wollen uns nicht auf eine Bühne begeben, auch nicht mit einer Kritik, die letzten Endes nur die lokale Identität von einem will. Da kommt man dann nicht mehr raus. AC: In der gesamten berlin biennale geht es nicht um inhaltliches Engagement, sondern es geht nur um eine Zugriffsberechtigung. Es geht nicht um das Interesse an den Inhalten der Arbeit, an der Art und Weise, wie man arbeitet, sondern nur um die Zugriffsmöglichkeit. AS: In den Medien werden zur Zeit die einzelnen Künstler per Portrait vorgestellt. Die stehen dann alle vor spezifisch Berliner Gebäuden, vor dem Brandenburger Tor, vor dem Reichstag usw. Die lassen sich alle so abbilden, was mich ein bißchen wundert. Es wäre konsequenter gewesen, daß sich jeder mit einem Portrait von Biesenbach fotografieren lässt. Weil das ist doch das einzige Bild, das man bisher von dieser berlin biennale hat. Daß jeder Künstler dokumentiert, ich bin ein Biesenbach, zwei Biesenbach usw., um einfach mal klar zu machen, worum es hier geht: Daß hier eine kuratorische Machtposition gestärkt werden soll und nicht eine künstlerische Produktion. AC: Es gibt mittlerweile eine öffentliche Dynamik der gesetzten Symbole, die ist so groß, daß du nicht dagegen ankommst. Berlin - Hauptstadt - Kulturhauptstadt - Kunsthauptstadt - Kunstevent - und irgendwann kommt Spaß.

Was sind Eure künstlerischen Beweggründe, nicht daran teilzunehmen? AC: Wir lehnen es ab, an solch populistischen Konzepten teilzunehmen. AS: Wir nennen das Schröderkultur.

Was meint Ihr mit Populismus? AS: Du hast keine Möglichkeit zu differenzieren. AC: Es liegt eine unglaubliche Grobheit in solchen Konzepten. Du bemühst dich als Künstler um ganz differenzierte Inhalte und beschäftigst dich damit, wie du die, auch mit Spaß, rüberbringst. Das ist für mich ein ganz wichtiger Aspekt von Kunst. Eine Form von Reflektionsvermögen, von Feinheiten und Differenzierungen. Rutschbahnen konnte man in den 80er Jahren machen, als es noch darum ging, mit Popmitteln eine Hochkulturkunst aufzubrechen. Aber dieser 80er-Pop ist jetzt so spannend wie Westernhagen, wenn er für die SPD rockt: Sei so pompös und unsexy wie der Potsdamer Platz, sei wie das Cats-Musical. AS: Kulturaufträge werden ideologisch verschoben, um einen toten Punkt zu überwinden. Kultur muß jetzt konstruktiv sein. In dieser alles homogenisierenden Kampagnenkultur, wird Kunst dafür eingesetzt, Widersprüche zu überwinden: Es geht voran. Die Künstler sind so schön ahistorisch. Sie haben das Berlinstigma der Teilung überwunden, usw. Bei den Sachen, die jetzt hier verhandelt werden, wird bestenfalls noch der Spaß als Zynismus interpretiert. Dann wird der Spaß gegen einen veralteten, idealistischen Kunstbegriff ausgetauscht. Es ist ja nicht Spaß, sondern Kunst. Es wird von einer solchen Ausstellung völlig verschleiert, daß gerade im Moment auch viele Kunstproduktionen gemacht werden, die versuchen, die Widersprüche herauszufinden. So etwas kommt hier gar nicht vor. Kann es nicht und soll es auch nicht. AC: Es ist wichtig zu verstehen, daß wir nicht von außerhalb sprechen, von irgendeiner Insel, die mit alldem grundsätzlich nichts zu tun hat. Wir stehen mittendrin. Und weil wir mittendrin stehen, können wir auch sagen: Schau dir die Kunstwerke an, die nun das langweilige Bistrodesign der Hackeschen Höfe fortsetzen. Schau dir die Sachen an, die kleinlaut Britpop imitieren. Schau dir Biesenbach an, der sein Parteibuch sicherlich schon gewechselt hat und nun statt bei Radunski bei Naumann auf dem Schoß sitzt. Dieses Konzept ist scheiße.

Gespräch: Stefan Strehler

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