Ausgabe 14 - 1998berliner stadtzeitung
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Für wen baut Berlin um?

Seit 1989 ist niemand mehr mit Berlin zufrieden. Alle sind sich einig: So, wie es ist, kann es nicht bleiben. Stadtumbau heißt die Devise, doch dann fängt die Debatte erst an: Stadtumbau für wen, durch wen, wie, wann, wo und warum überhaupt? Eine gewichtige Stimme in dieser Diskussion ist der Ostberliner Architekturhistoriker und Stadttheoretiker Bruno Flierl. Seine wichtigsten Beiträge zur Stadtentwicklungsdebatte sind nun in dem Band "Berlin baut um - Wessen Stadt wird die Stadt?" versammelt. Die dreißig, "kritische Reflexionen" genannten Texte aus den Jahren 1990 bis 1997 thematisieren vor allem die Planungen für Berlins Stadtzentrum und den Umgang mit der dortigen DDR-Architektur.

Der heute 71jährige Bruno Flierl hat praktisch alle Phasen des Städtebaus in der DDR begleitet. Nach dem Diplom 1953 arbeitete er in verschiedenen Funktionen in der Deutschen Bauakademie, war 1962 bis 1964 Chefredakteur der Zeitschrift "Deutsche Architektur" sowie 1973 bis 1984 Dozent an der Kunsthochschule Weißensee und an der Humboldt-Universität. Seitdem ist er freiberuflich als Kritiker und Gutachter tätig. Mit dieser Biographie ist Flierl heute wie kaum ein anderer geeignet, ostdeutsche bzw. Ostberliner Positionen zur Stadtplanung zu formulieren. Auf Grundlage seiner zwiespältigen Erfahrungen im real-existierenden Sozialismus setzt er sich für einen demokratischen und menschengerechten Städtebau ein. Schon in der ersten Nachwendezeit meinte er, man müsse vom Osten her eigene Ansprüche an die Stadt stellen, ansonsten hätte man sich nur noch der Ansprüche aus dem Westen zu erwehren. Genauso wie befürchtet, ist es dann aber gekommen. Wie selbstverständlich griffen sich die "Große Politik" und die "Große Wirtschaft" die für sie attraktivsten Standorte heraus. Statt die Stadtbürger als aktive Subjekte zu sehen, die ihre Ansprüche an die Stadt geltend machen, gelten die Menschen nur als "Objekte der Beglückung". Für Flierl zeigt sich darin ein Mangel an Demokratie in der real-kapitalistischen Marktwirtschaft.

Spätestens nach dem Scheitern des von ihm mitverfaßten "Stadtvertrags" im Jahr 1991 agiert Flierl mehr aus der Defensive heraus. Sein Einsatz für einen stadtverträglichen Umbauprozeß wird zunehmend oppositionell. Stellenweise klingt Flierl dabei resigniert bis verbittert. In einer Diskussion, in der bunte Pläne erfolgreicher sind als analysierende Texte, hat er auch allen Grund dazu. Im Rahmen des Planwerks Innenstadt ließ er sich als Co-Gutachter für den Bereich Spittelmarkt einspannen. Im Nachhinein sah er sich dort jedoch als Ostler vereinnahmt statt wirklich beteiligt.

Bruno Flierls Buch ist ein gelungener Versuch, die Umgestaltung Berlins aus explizit ostdeutscher Sicht, aber ohne Ost-West-Grabenkampf, nachzuzeichnen. Einige ältere Texte mögen überholt sein, einige Themen sind Dauerbrenner, andere sind erneut aktuell geworden und zeigen dadurch, wie sehr sich die ganze Debatte manchmal im Kreis dreht. Ein Ende ist dabei kaum abzusehen. Daher kann "Berlin baut um" nur eine Zwischenbilanz sein - eine sehr aufschlußreiche allerdings.

js

Bruno Flierl: Berlin baut um - Wessen Stadt wird die Stadt?, Verlag für Bauwesen, Berlin 1998, 192 Seiten, 39,80 DM

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  Ausgabe 14 - 1998