Ausgabe 14 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Über Enteignung nachdenken

Flüchtiger Hauseigentümer gefaßt - Chaos nimmt wieder zu

Der Ende 1996 vor den Strafverfolgungsbehörden geflohene Eigentümer des Wohnhauses Kopenhagener Straße 28 im Prenzlauer Berg, Mecnum Aslan, ist gefaßt worden (siehe scheinschlag 11/97). Weil daraufhin der amtierende Zwangsverwalter des Hauses seine Tätigkeit einstellte, sind für die verbliebenen elf Mietparteien wieder einmal unhaltbare Zustände eingetreten: Alle Reparaturmaßnahmen sind gestoppt worden, die Mieter wissen nicht, an wen die Miete zu überweisen ist, und nicht zuletzt wurde Mitte Juni die Gasversorgung gesperrt.

Mecnum Aslan war untergetaucht, weil ihm zumindest massive Steuerhinterziehung vorgeworfen wurde. Den Mietern der Kopenhagener Straße 28 ließ er dabei das Haus als kaum bewohnbare Baustelle zurück - mitten in der Sanierung, mit offenen Dächern und Wänden, eingebrochenen Decken und Schuttmassen. Das Haus verkam zusehends, und mehrere Mietparteien flohen ihrerseits vor den unzumutbaren Umständen, indem sie auszogen. Nachdem das Abtauchen des Eigentümers bekannt geworden war, wurde der Zwangsverwalter eingesetzt und das Dach vom Bau- und Wohnungsaufsichtsamt soweit abgedichtet, daß das Haus bewohnbar blieb.

Kürzlich wurde Aslan an der griechischen Grenze aufgegriffen und soll sich nun in der JVA Moabit befinden. Damit sieht sich der Zwangsverwalter seiner lästigen Pflicht entledigt. Am 22. Juni teilte er den Mietern mit, daß sie sich ab sofort wieder an den Eigentümer wenden müßten. Dieser ist jedoch für die Mieter nicht erreichbar. Auch der Vertreter Aslans gibt sich alle Mühe, nicht erreichbar zu sein. Nur sein Name ist den Mietern bekannt, einen Telefonanschluß scheint er nicht zu haben.

Das erneut in den verwaltungsfreien Zustand gerutschte Haus beschäftigt nun auch das Bezirksamt. Baustadträtin Dorothee Dubrau hat zugesagt, als "Ersatzvornahme" die notwendigen Reparaturarbeiten fortzusetzen. Dabei legt der Bezirk zunächst die Kosten aus, um sie dann später vom Eigentümer zurückzufordern. Dazu muß jedoch der Eigentümer oder sein Vertreter benachrichtigt werden, was auch für den Bezirk nicht einfach sein wird. Darüber hinaus sollen den Mietern Elektrokocher zur Verfügung gestellt werden, da bei einer Überprüfung der Gasleitungen mehrere Lecks festgestellt wurden und die Gaszufuhr gesperrt wurde.

Angesichts des baulichen Zustands will nun das Bau- und Wohnungsaufsichtsamt das Haus gänzlich freiziehen und die Mieter in Umsetzwohnungen unterbringen. Damit wäre die Bewohnerschaft aus ihrem gewohnten Umfeld verdrängt und der Traum aller Spekulanten in Erfüllung gegangen: ein Wohnhaus ohne störende Mieter. Wie das dann leere Haus vor dem weiteren Verfall geschützt werden soll, bleibt das Geheimnis des Amtes. Im Sinne der Milieuschutzsatzung ist das jedenfalls nicht. Michail Nelken von der Betroffenenvertretung Falkplatz hat daher einen ganz anderen Vorschlag: Im Fall der Kopenhagener Straße 28 solle eine Enteignung einmal ernsthaft in Erwägung gezogen werden.

In Milieuschutzgebieten sind Enteignungen als letztes Mittel zum Erhalt von Gebäuden durchaus möglich, doch sind die rechtlichen Voraussetzungen dazu sehr hoch. So muß sich die Stadt wenigstens darum bemüht haben, das Haus auf normalem Weg zu kaufen. Die Angst davor, sich auf juristisches Glatteis zu begeben, schreckt die Behörden zusätzlich ab, so daß Enteignungen in der Praxis höchstens als Drohpotential dienen, aber fast nie wirklich durchgeführt werden.

js

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  Ausgabe 14 - 1998