Ausgabe 14 - 1998berliner stadtzeitung
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Braune Briefkästen

Ob das Wesen im Kanzleramt nun Schröderschäublestoiber oder einfach Kohl heißt - so richtig wichtig ist das eigentlich nicht, und deswegen könnte der Wahlkampf diesmal nun wirklich ausfallen. Tut er aber nicht, und das bedeutet wiederum, daß unsere geplagten Briefkästen, - von den Briefträgern ganz zu schweigen -, in den kommenden Wochen wieder tonnenweise mit Wahlkampfmüll jeglicher Form und Farbe gefüttert werden. Peinliche Eigenwerbung der Kandidaten werden sich bis Ende September munter mit lächerlichen Hochglanz-Regierungs-Jubelillustrierten abwechseln. "Bitte keine Werbung"-Aufkleber werden wie immer ignoriert werden.

So weit, so egal. Ärgerlich wird der ganze Spuk aber spätestens dann, wenn die Post die womöglich braune Soße an die eigene Anschrift ins Haus trägt. Denn das bedeutet nichts anderes, als daß das Landeseinwohneramt die Adresse an eine Partei rausgerückt hat. Das ist völlig legal, gilt für alle zur Wahl zugelasenen Parteien und ist für diese ganz einfach zu haben: Die riesigen Adreßbestände des Melderegisters gibt es für ein paar Tausend Mark Verwaltungsgebühr. Auf Wunsch und gegen geringen Aufpreis auch gleich in Form von Etiketten oder auf Diskette. Besonders die bedauernswerten jungen Menschen, die zum ersten Mal wählen gehen sollen, können sich daher schon jetzt auf persönliche Anschreiben der DVU gefaßt machen - nach dem Motto: Ausländer raus, vorerst ausgenommen die ausländischen Mieter meiner Berliner Immobilie, die dieses Schreiben finanziert haben, mit freundlichen Grüßen, Ihr Dr. Gerhard Frey. Das ganze ist nicht nur einigermaßen widerwärtig, sondern (siehe Sachsen-Anhalt) auch noch effektiv.

Immerhin bietet das Berliner Meldegesetz, das derartige Zumutungen möglich macht, noch eine winzige Schutzklausel: Wer jetzt sofort formlos, aber schriftlich Widerspruch gegen die Herausgabe der Daten erhebt, kann vielleicht noch um das persönlich adressierte Gepöbel herumkommen (offiziell läuft die Frist aber am 17. Juli ab). Wer es nicht mehr geschafft hat, sollte den Schrieb trotzdem absenden, und zwar ans Landeseinwohneramt, Friedrichstraße 219, 10958 Berlin. Bis zur ausdrücklichen Rücknahme des Widerspruchs gilt dieser nämlich für alle Wahlen - somit werden dann wenigstens in Zukunft Briefkasten, Briefträger, Nerven und der Wald geschont.

mika

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