Ausgabe 09 - 1998 | berliner stadtzeitung scheinschlag |
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Sei tapfer, Soldat!Der Rekrut Daniel K., ja nennen wir ihn Daniel K. - der Name wurde von der Redaktion mehrmals geändert - stand mit einigen seiner Kameraden auf einem trostlos kahlen Flur im Gebäude der Standortverwaltung seiner Kaserne. Die Raucher rauchten, die Nichtraucher kauten hektisch auf Kaugummi herum. Lutz, Daniels Stubenkamerad, zerbiß knirschend seine letzten Himbeerbonbons. Drei Monate Grundausbildung: Marschieren, Exerzieren, Robben und Tarnen, Schießen und Gehorchen hatten sie schon hinter sich, aber jetzt, so wurde gemunkelt, stand ihnen die schwerste Hürde im Leben des angehenden Soldaten bevor. Keiner der Kameraden, der die Prozedur im Examinationszimmer schon hinter sich gebracht hat, hatte jemals genaues darüber verlauten lassen. Es gab Gerüchte, ja, von einer "Gewissensprüfung" war die Rede, aber niemand wollte offen darüber reden. Einige Kameraden wirkten sehr verstört, nachdem sie hier gewesen waren. Manche waren hinterher plötzlich spurlos verschwunden, andere mußten in psychiatrische Behandlung. "Darüber möchte ich lieber nicht reden", sagten sie alle. Viele sagten: "Entschuldige, aber, ich kann wirklich nicht darüber reden!" "Ausschuß für Unsoldatische Umtriebe" nannte sich das Gremium, vor dem er also heute zu bestehen hatte. Die Tür öffnete sich, ein Kamerad trat mit gesenktem Kopf heraus, die Augen gerötet, es schien, als habe er geweint. Es war Horst E., ein Stubennachbar. Er wollte ihn ansprechen, aber eilig bahnte der sich einen Weg durch die Umstehenden und verschwand in Richtung Treppenhaus. "Gewissensprüfung?", dachte Daniel, "wie war das noch früher gewesen? Stellen sie sich vor, sie gehen nachts im Park spazieren und ihre Freundin wird von einem Mann bedroht und vergewaltigt, zufällig haben sie eine Waffe dabei, was tun sie..." "Nächster: Rekrut Daniel K.!" Die krächzende Lautsprecherstimme riß ihn aus seinen Gedanken. "Mutter" dachte er. Seltsam, wie oft er an seine Mutter dachte, seit er Soldat geworden war. Jetzt war es also an ihm. Er drückte eilig seine Marlboro im Ascher neben der Tür aus. Er atmete kräftig durch, reckte seinen Rücken gerade. Ja, er wollte erhobenen Hauptes hineingehen. So schlimm würde es schon nicht werden. "Mutter!" "Stehen Sie bequem!" Er hatte die drei, hinter den zusammengestellten Resopaltischen sitzenden, ranghöheren Dienstgrade ordnungsgemäß gegrüßt. In diesem seltsamen Zimmer war einiges an Lametta versammelt. Mehr, als es er in den vergangenen zwei Monaten in dieser Kaserne zu Gesicht bekommen hatte. Der mit den meisten Streifen saß in der Mitte und er sah nicht gerade gemütlich aus. Ein jüngerer, ihm unbekannter Unteroffizier saß am Katzentisch. Er sollte wohl das Protokoll führen. "Na dann woll´n wir mal!" Der Vorsitzende des Ausschußes sah ihn abschätzig musternd an. "Ja, junger Mann, stellen sie sich also mal vor, sie gehen alleine durch den Park und der Adolf Hitler begegnet ihnen. Was machen sie?" Obwohl er sich etwas Ähnliches tatsächlich schon gedacht hatte, traf ihn diese Frage doch unvorbereitet. "Bitte?" stammelte er. "Ja, grüßen sie diesen Hitler dann, oder was?" "Ich weiß nicht, vielleicht?" Unsicherheit und Verlegenheit waren ihm ins Gesicht geschrieben, so würde er hier nicht bestehen können. Der Vorsitzende bellte ihn an: "Solche Weicheier wie Sie, die haben mir gerade noch gefehlt. Reißen Sie sich mal zusammen, Mann! Sie stehen hier vor dem Ausschuß zur Gesinnungsprüfung für deutsche Wehrdienstleistende, ein bißchen mehr Ernst bitte!" Daniel K. war den Tränen nahe, er verlor alle Kontrolle über die Situation und redete einfach so drauflos: "Ich dachte, die Gewissensprüfung, also die wäre seit langem schon abgeschafft?" "Die Gewissensprüfung für die Drückeberger und Arschabwischer, die gibt es nicht mehr, hier handelt es sich um die Gesinnungsprüfung für ordentliche deutsche Soldaten!" "Aber warum?" stammelte er. "Damit unser Staat sie guten Gewissens zum Wehrdienst zulassen kann! Also nochmal, wie war das mit dem Hitler, grüßen sie den?" "Der ist doch schon längst tot!" Ein leises Lächeln umspielte die Mundwinkel des Vorsitzenden: "Gute Antwort!" Er drehte sich zum Protokollanten hin: "Schreiben sie ins Protokoll: Der Wehrpflichtige stellt fest, das Adolf Hitler längst schon tot ist." Dann lächelte er auch seinen Prüfling an, seine Stimme wurde versöhnlicher, fast privat. "Sehr schön, so kommen wir doch weiter. Jetzt stellen Sie sich mal vor, junger Mann, sie gehen nachts mit ihrer Freundin durch den Park, und ein Türke überfällt Sie und will ihre Freundin vergewaltigen. Zufällig haben Sie eine Waffe dabei, und Sie erschießen ihn. Aus welchen Gründen erschießen Sie ihn? Aus Gründen der Ausländerfeindlichkeit, oder weil Sie sich in einer Notwehrsituation befinden?" "Muß ich den Mann erschießen?" "Sie dürfen den Mann erschießen." Daniel K. dachte kurz nach. "Na dann, also, Notwehr, würde ich sagen." "Schön! Keine Ausländerfeindlichkeit! Schreiben Sie das ins Protokoll." Hätte Daniel jetzt dem Vorsitzenden in die Augen gesehen, er hätte gemerkt, wie zufrieden man hier mit ihm war. Aber Daniel K. war noch ganz in Gedanken verstrickt, und die Wahrheit würde er ja doch nicht verheimlichen können, also murmelte er leise: "Wenn´s zufällig der Ögün aus dem Obstladen bei mir um die Ecke wäre, dieses Türkenarsch, das sich dauernd an die Yvonne ranmacht, also, da wäre ich dann schon auch etwas ausländerfeindlich eingestellt." "Ein Kümmeltürke und ein deutsches Mädel?" Einer der etwas weniger gestreiften, bisher stummen Beisitzer meldete sich zu Wort. "Na ja, der Ögün, der sieht halt schon verdammt gut aus." Der Beisitzer beugte sich nach vorne und sah Daniel K. tief in die unsicheren Augen: "Weiß denn diese Yvonne nicht, was sich für eine ordentliche deutsche Frau gehört? Es wird wirklich Zeit, daß sich die Bundeswehr der jungen Frauen annimmt. In der Kaserne würden die auch wieder mehr mit deutschen Männern verkehren, zur Gesundung des Volkskörpers... " Der Vorsitzende fiel seinem Kollegen unwirsch ins Wort: "Rekrut K., was halten Sie von folgender Parole: ,Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!´" "Also was den Ögün vom Obstladen an der Ecke angeht... " "Junger Mann, wir haben Meinungsfreiheit, hier dürfen Sie alles denken, was sie wollen. Was ich wissen will, würden Sie sich öffentlich in Uniform hinstellen und lautstark eine solche Parole brüllen?" "Wenn´s auf Befehl ist, ich meine, ich singe ja schließlich auch..." "Wenn´s auf Befehl ist, ist das in Ordnung. Privat meine ich, vor allem unter Alkoholeinfluß und womöglich gar auf Video." Endlich würde er hier einen Pluspunkt verbuchen, dachte sich Daniel K. "Ich trinke nicht so viel." Der zweite Beisitzer lachte lauthals los: "Das werden wir ihnen bei der Truppe schon noch beibringen." "Wie ist das jetzt mit der Parole?" "Also, ich weiß nicht..." "Und, sagen wir mal, würden Sie abends mit ihren Kameraden durch die Kneipen ziehen und die erste Strophe der Nationalhymne singen?" Schon wieder hatten die Herren ihn aus dem Konzept gebracht, suchend flackerten seine Augen umher. Die schwarz-rot-goldene Fahne in der Ecke, Roman Herzog und Volker Rühe schauten schlicht gerahmt von der Stirnwand auf ihn herab. "Welche Strophe bitte?" Der erste Beisitzer begann aus voller Brust zu singen: "Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt, von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt..." Daniel K. wollte die vorher gezeigte Wissenslücke unbedingt wieder ausbürsten. Seiner geografischen Kenntnisse sicher, sagte er fast schon jovial: "Ach diese Strophe. Memel, das liegt doch jetzt in Polen, oder?" Der Beisitzer ereiferte sich: "Urdeutsche Gebiete. Junger Mann, ich seh schon, ihre geschichtliche Bildung läßt noch sehr zu wünschen übrig, aber das werden Sie bei unserem Politikunterricht schon noch alles lernen!" Dann steckten die drei ihre Köpfe zusammen. Dazwischen blitzen manchmal die Winkel auf den Schulterstücken hervor. Daniel K. war sich sicher, er war durchgefallen. Man würde ihn mit Schimpf und Schande aus der Truppe entfernen. Was sollte er tun? Was würde er seiner Mutter sagen. Überhaupt: "Mutter!" dachte er. Und die Tränen drängten machtvoll. Aber er wollte sich beherrschen. Nicht weinen, nicht hier. Dann verkündete der Vorsitzende das Urteil: "Eingeschränkt Gesinnungstauglich! Wiedervorführung in drei Monaten. Abtreten!" Jetzt traten ihm doch die Tränen in die Augen, aber es sollten Tränen der Freude werden. Jürgen Witte
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