Ausgabe 09 - 1998berliner stadtzeitung
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Monster aus Japan greifen an

Eine Essaysammlung zum Godzilla-Phänomen

Die Vorschau zu Godzilla 98 von Roland Emmerich, der zuletzt mit "Independence Day" das amerikanische Selbstverständnis verhätschelte, läuft bereits seit ein paar Monaten in den deutschen Kinos, obwohl die amerikanische Erstaufführung erst in diesem Monat ansteht, und der Film nicht vor Anfang September in den hiesigen Multiplexen zu erwarten ist. In dem Spot bekommt in einem New Yorker Naturkundemuseum eine Schulklasse vor einem T-Rex-Skelett die Größe und Monströsität dieses größten Raubtiers aller Zeiten vermittelt. Doch plötzlich bebt die Erde und durch das Museumsdach kracht ein Fuß, dessen kleiner Zeh beinahe einen ausgewachsenen T.-Rex an Größe aufwiegt. "Godzilla", das ist die eindeutige Message, wird "Jurassic Park" zerstampfen. Wie genau der zum Fuß passende Godzilla aussehen wird, ist noch unbekannt. Tri Star hüten ihr Geheimnis mit aller Akribie. Daß vor kurzem dennoch ein paar Bilder des Monsters im Internet kursierten, führten schnell zum Ausschluß der T-Shirt-Merchandising-Firma "Fruit Of The Loom", die anscheinend die nicht wasserdichte Stelle war. Über 3000 weitere Merchandisings sind bereits lizensiert worden, von der Frühstückstasse bis zu Godzilla-Modellen das ganze Programm. Der Godzilla-Boom steht in der Warteschleife.

Dabei gab es bereits 1993 einen Deal mit Tri Star und der japanischen Produktionsfirma Toho, die alle japanischen Godzilla-Filme mitfinanzierte. Für die amerikanische Godzilla-Großproduktion sollte nach Verhandlungen unter anderem mit Tim Burton (Mars Attacks) Jan De Bont (Speed) die Regie übernehmen. Doch De Bont wollte den Film nicht unter 130 Millionen Dollar Investitionskosten drehen, was Tri Star zu diesem Zeitpunkt noch zu viel war und das Projekt bis zur Zusammenarbeit mit Emmerich gecancelt wurde.

Jörg Buttgereit beschreibt die Wandlung seiner Trash-Ikone Godzilla hin zum computeranimierten Hollywood-Massenkulturgut mit fließendem Herzblut. Er, der in den 70ern als Dorfkind im Kino seine Sehnsucht nach dem "Draußen" mit japanischen Monsterfilmen stillte und nach eigenen Filmen wie "Nekromantik I und II", "Der Todesking", "Schramm" heute Deutschlands im Ausland beliebtester Splatter-Regisseur ist, begann sie damals in sein Herz zu schließen - Godzilla, die Riesenmotte Mothra, das ewig böse dreiköpfige Ungeheuer Ghidrah und all die anderen tollen Monster, die auf der Leinwand Spielzeugautos zertraten und Wolkenkratzer zum Einstürzen brachten.

Dabei war er mit seiner Liebe in Deutschland nicht alleine. Godzilla-Afficinados, die sich mit Buttgereit nochmal alle verfügbaren japanischen Monsterfilme angetan haben, schreiben ihre Erfahrungen und Erlebnisse mit Hintergrundwissen zu einer hemmungslos subjektiven Japan-Monsterfibel zusammen.

Den ersten japanischen Monsterfilm "Godzilla" drehte Ishiro Honda, ehemals Regieassistent von Akira Kurosawa, der 1956, wie die meisten japanischen Godzilla-Filme später auch, in die deutschen Kinos kam. Schon dieser Film behandelte das Thema, das bei Godzilla-Filmen immer eine Rolle spielen wird: die Aufarbeitung von Hiroshima und Nagasaki durch die amerikanischen Atombomben. Godzilla ist in seinem ersten Film etwa 50 Meter groß und taucht nach einem Atombombenversuch als Saurier aus der Jurazeit aus dem Meer auf. Godzilla verwüstet Tokio, bis ein "Oxygen-Zerstörer", der dem Meerwasser den Sauerstoff entzieht, Godzilla vernichtet. Für die US-Version, die es von den meisten späteren Godzilla-Filmen ebenfalls gab und in denen viele Hauptdarsteller einfach von Amerikanern ersetzt oder erweitert wurden, kommentiert das Unglück in Japan ein US-Reporter.

Als Land der Kriegsverlierer wird in der japanischen Populärkultur, in den Mangas (japanische Trickfilme und Comics) beispielsweise, nicht militaristischer Heroismus aufgefahren, sondern der Maschinenmensch gepriesen, der mit der Technik im Verbund alle feindlichen Gewalten besiegen kann. In den Godzilla-Filmen findet sich diese Technikgläubigkeit und ein anderes japanisches Spezifikum, das ausgeprägte japanische Traditionsverständnis, ebenfalls wieder. So wird das Riesenmonster im Film "Godzilla kehrt zurück" durch einen Kamikaze-Piloten im Zweite-Weltkrieg-Todesflug ausgeknockt, nachdem alle abgeschossenen Raketen nichts auszurichten vermochten.

Mit dem wachsenden Godzilla-Boom auch im Ausland kamen immer mehr Monster, auch bereits reichlich aus der amerikanischen Populärkultur eingeführte, wie King Kong, auf dem Kampfplatz Japan zusammen. So wie in amerikanischen Katastrophenfilmen die Welt immer nur von Amerika aus gerettet werden kann, ist hier Japan Schaltzentrale für die Erhaltung der gesamten Menschheit.

Es gibt die Riesenmotte Mothra, Riesenraupen und das ewig schreckliche dreiköpfige Monster Ghidrah. Im Kampf mit letztgenanntem vollzieht sich auch in "Ghidrah - The Three-Headed Monster" (1964) die Wandlung Gozillas hin zum menschelnden, denkenden Monster, das mit den Menschen auf einmal gemeinsame Sache macht gegen noch viel schlimmere Ungeheuer aus dem Weltraum, wie eben Ghidrah. Die konkrete Gefahr der Atombombe scheint besiegt zu sein, da kommt das Unglück in Form des Alien, des Fremden, das in Japan wohl die Angst vor allen möglichen Unglücken gleichzeitig, des wirtschaftlichen Niedergangs, der Naturkatastrophe und der latenten Atomangst, bedeutet - und nicht vor Überfremdung wie in der westlichen Alienrezeption.

Aber auch der kritische Umgang mit der eigenen Geschichte ist in der Konstruktion des Alien lesbar. Wie in "Befehl aus dem Dunkel" aus dem Jahr 1967, in dem Alpha-Menschen die Erde annektiert haben, um die Wasservorräte der Erde auszubeuten. Dies ist als Analogie zu einem Japan zu lesen, das einst den gesamten pazifischen Raum wegen Rohstoffen imperialisierte. Doch letztendlich stellt es sich heraus, daß die Alpha-Menschen ein faschistoides Volk sind, dessen Ideologien von der japanischen Solidargemeinschaft (gemeinsam für Firma und Vaterland) ferngehalten werden müssen. Dabei verkörpern die Alpha-Menschen eher das gängige Japan-Bild, Entscheidungen trifft der Computer, Individualität gibt es nicht - als die Japaner selbst. Neben den absurden deutschen Filmtiteln wie "Frankenstein und die Monster aus dem All", sowie dem Auftreten von Frankensteins Sohn und Cyborg-Godzillas, sind es besonders die ausgeklügelt lausigen Studiotricks, die einen zum Godzilla-Fan werden lassen. Wie beispielsweise Ed Wood in "Plan 9 From Outer Space" werden viele Szenen statt sie aufwendig neu zu filmen, aus Dokumentarfilmen montiert, was den Effekt hat, Bombardements aus dem zweiten Weltkrieg nun gegen Gozilla beziehungsweise gegen Monster aller Art gerichtet zu sehen - frühe postmoderne Stilmittel sozusagen. Die Katastrophenszenen sind deutlich Animationen auf dem Spielzeugeisenbahn-Gelände, im Godzilla-Kostüm bewegt sich ein schwitzender Japaner (der während der Dreharbeiten bis zu 30 Kilo abnehmen kann) und wenn Godzilla anfängt, mit Steinen Fußball zu spielen, freudige Tänze vollführt oder sich mit seinem radioaktiven Atem davonbeamt, bleibt kein Auge trocken. In Japan werden Godzilla-Filme dennoch nicht als Trashmeisterwerke wie in Europa und Amerika rezipiert, sondern als kollektives (Pop)-Kulturgut. Genauso wie es für Nicht-Japaner schwer nachzuvollziehen ist, wie in Japan die Mangas verschlungen werden, bleibt auch Godzilla ein Rätsel für den Westen und wird erst langsam, mit dem zunehmenden Interesse für japanische Popmusik, Mangas und Filme wie den Industrial-Kultfilm "Tetsuo" aus seiner "incredibly strange"-Diaspora geholt. Die Feuilletonisten werden beim Start des Emmerich-Films dankbar für die Vorrecherchen dieser Filmessay-Sammlung sein.

Andreas Hartmann

Jörg Bultgerät & Freunde: Monster aus Japan greifen an - Godzilla, Gamera & Co., Belleville-Verlag, 39 DM, (sind geile Bilder drin)

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