Ausgabe 09 - 1998berliner stadtzeitung
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Zerstreuung statt Erbauung

Das Reform-Duo Radunski/Stoltzenberg zur Förderstruktur für Privattheater und die Freie Theaterszene

Am vergangenen Mittwoch präsentierten Kultursenator Radunski und bestellter Gutachter Peter Stoltzenberg den zweiten Teil ihres Papiers über Förderstrukturen und die Förderungswürdigkeit einzelner Gruppen. Hatte die Vorstellung des ersten Teils im Januar noch heftige Entgegnungen bei den Betroffenen ausgelöst (s. scheinschlag 3/98), so dürften sich die Reaktionen diesmal in Grenzen halten: Die Kriterien sind allen Beteiligten mittlerweile hinlänglich bekannt und liegen auch diesem Teilgutachten zugrunde. Und zum anderen bleibt die Gesamtsumme von 23 Mio. pro Jahr unverändert - mögliche Gelderverschiebungen treffen nicht die Szene insgesamt, sondern einzelne Projekte, die ohnehin nicht permanent im Blickpunkt des hauptstädtischen Feuilletons stehen.

Anstelle der bisher oft praktizierten pauschalen institutionellen Förderung beruht das Konzept, das noch von Senat und Abgeordnetenhaus gebilligt werden muß, auf einer auf maximal 4 Jahre befristeten, erneuerbaren, Konzeptförderung und auf einer auf maximal zwei Jahre befristeten Projektförderung. Die Entscheidung über die Zuteilung der Gelder soll eine fünfköpfige, noch zu ernennende, Jury treffen. Radunski nennt diesen Versuch der stetigen Evaluierung die Abkehr "von der Beliebigkeit" und vom "Gießkannenprinzip" und betont die gewonnene "Transparenz", deren Ergebnis "Bewegung und Dynamik der künstlerischen Entwicklung" sein werde.

Sich nicht dynamisch entfalten dürfen zunächst Berliner Kammerspiele, Tribüne und Vagantenbühne: Sie fallen aus der bisherigen Förderung und können Anträge auf Projektförderung stellen. Dafür werden die Neuköllner Oper, Theater 89, Sasha Waltz & Guests sowie das Theater im Palais (tip) mit der Aufnahme in die Konzeptförderung gewürdigt.

Rätselhaft ist vor allem die vorgeschlagene Förderung des tip. Kaum ein Haus hat sich in den letzten Jahren derart miefig, nicht nur was das Mobiliar anbetrifft, präsentiert. Hochglanz-Nostalgie und eine ungebrochen patriotisch-preußische Traditionspflege kennzeichnen diesen Ort. Die Frage, inwieweit hier die von Radunski und seinem Gutachter vehement eingeforderten Kriterien der Nachwuchs- und Autorenpflege und der besonderen ästhetischen Qualität eingelöst werden, blieb dann auch unbeantwortet. Radunski verwies auf die "polyzentristische Stadtstruktur" und auf die in dieser Hinsicht exponierte Position des Hauses. Daß sich in Fußnähe etliche andere Bühnen befinden und Mitte zudem nicht eben als theaterfreie Zone anzusehen ist, scheint da nicht so wichtig. Eben mit dem Hinweis auf die unmittelbare Nachbarschaft anderer Bühnen aber rechtfertigte das Reform-Duo nochmals die drohende Schließung der Tribüne in der Otto-Suhr-Allee: Eine Argumentation, die im Zweifelsfall Produktionen wie die "Sekretärinnen" (derzeit am Schiller-Theater) höher einschätzt als die - wenn auch zuweilen etwas betulichen - Bemühungen, Gegenwartsautoren und -stoffe zu präsentieren.

Daß der Senator eben kein ausgewiesener Fachmann der hiesigen Theater-szene ist, zeigte sich in kleinen Versprechern: So wurde die Schaubühne schon mal zum Schauspielhaus und zum Freien Theater, Thomas Ostermeier, Durchstarter der abgelaufenen Spielzeit mit seiner Baracke und in zwei Jahren dort Hausherr, als Exponent der Off-Szene herausgestellt.

Radunski hat den Begriff der "Leuchtturmkultur" geprägt und sieht sich recht gern als Streiter für eine optimistische Außendarstellung der zukünftigen Hauptstadt. Kultur ist für ihn in diesem Zusammenhang auch gerade dazu da, Touristen - und ihr Geld - anzuziehen. Offenbar gelingt dies am besten mit Zille-Revuen oder Boksch-Shows: Zerstreuung statt Erbauung - das aber auf Hauptstadtniveau.

Am Schluß des elfseitigen Papiers findet sich die bemerkenswerte Formulierung, daß Theaterförderung "mit Hauptstadtanspruch" auch "danach trachten" müsse, "außergewöhnliche Theatermacher/Inhalte/Konzepte nach Berlin zu ziehen." Der 60jährige Klaus Peymann ist soeben, gelockt mit einigen Millionen für seine zukünftigen Bemühungen, für anstehende Renovierungen und wohl auch für seinen Namen, als Intendant des BE gewonnen worden. Hoffnungsfroh stimmt immerhin, daß diese Art der Überredungskunst und die Verpflichtung von Nachwuchstalenten aus der Kukident-Generation nicht als probates Mittel für steigende Dynamik auch der Freien und Off-Szene vorgeschlagen wird.

Ted

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