Uns bleibt immer noch Bukarest
Warum junge Ausländer nach Berlin kommen
und welche Spuren sie hinterlassen
Foto: Christian Reister
Berlin gebärdet sich
wie eine Dauerbewerberin. Per weltweitem Vorstellungsgespräch
will sie endlich den Job „Metropolendarstellung" ergattern.
Die Stadt hat sich aufgehübscht für jede neue
Vorstellungsrunde, hat in neue Kostüme investiert und
Gesichtsgymnastik gegen die Sorgenfalten betrieben, um international im
Städtewettbewerb mithalten zu können. Es gab die
zeitweilige Vermarktung der „Schaustelle",
„Loveparade", „Partyhochburg",
„Designcity" und schon Vergessenes mehr. Die Touristen
schauten pflichtschuldig vorbei, so wie sie überall
vorbeischauen, wo etwas los ist, die Beamten trafen zwangsweise ein,
die Investoren hingegen kamen nur zögerlich.
Wirklich freiwillig nach Berlin ist in all den
Jahren nur die Jugend und die Berufsjugend aus dem In- und Ausland
geströmt, die wenig Geld hat, hier billig leben kann, studiert
oder sich mit Jobs mal gut, mal weniger gut über Wasser
hält. Mittlerweile hat die Stadt zumindest in dieser Hinsicht
international den Ruf, anziehend zu sein. „Arm, aber sexy",
so brachte Bürgermeister Klaus Wowereit die ambivalente
Situation 2003 auf den Punkt. Die Fingernägel sind also
weiterhin dreckig, aber durch den Riß in der Hose sieht man
wenigstens gleich die nackte Haut. Doch Sexiness in Kombination mit
Armut hat nur begrenzten Charme und läßt sich dazu
noch schlecht vermarkten. Ein Image, das mit Kultur und
Kreativität verbunden wird, ist da viel ausbaufähiger.
Im Mai 2005 veröffentlichten die
Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen sowie die
Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur
übergreifend den ersten Kulturwirtschaftsbericht Berlins. Der
Report faßte zum ersten Mal die Umsatz- und
Beschäftigungszahlen der sogenannten Kulturwirtschaftsbranchen
zusammen. Ein bunter Strauß entfaltete sich da: Kunstmarkt,
Musikwirtschaft, Buch- und Pressemarkt, Film- und Fernsehwirtschaft,
Architektur, darstellende Kunst, Werbung und Softwareentwicklung. Alle
Bereiche zusammen erwirtschafteten damals rund acht Milliarden Euro pro
Jahr, das waren 11 Prozent des Bruttoinlandsproduktes Berlins.
„In Berlin kann man zwar billig leben,
aber Geld verdienen kann man in fast jeder anderen Stadt besser"
Zwei Jahre später, im Juni 2007, gibt es
nun den zweiten Bericht, allerdings diesmal allein von der
Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen
präsentiert. Die neuen Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung
werden jetzt der „Kreativwirtschaft" sowie dem
„Cluster Kommunikation" zugeordnet ein
bißchen Show muß sein. Man ist ein wenig
überrascht, was sich alles zur Branche zählen darf:
Informations- und Kommunikationstechnik, die Kreativwirtschaft
natürlich mit ihren explizit künstlerischen
Bereichen, der Musik und der Malerei, sowie die Presse, die Verlage und
die Werbung. Nicht zu vergessen aber auch die Marktforschung sowie
allen Ernstes die privaten Kurierdienste. Landläufig stellt
man sich unter kreativer Arbeit ja immer noch den bebrillten Designer
vor, der den ultimativen Eierlöffel entwirft. Aber diese
Zeiten sind längst vorbei, und unter dem Oberbegriff
„Kommunikation" läßt sich
schließlich auch so einiges verbuchen. Zumindest
wächst und gedeiht laut Senator Harald Wolf auch weiterhin die
Branche, wohl auch deswegen, weil da so ziemlich alle mitmachen
dürfen.
Stadtmarketing-Agenturen wie Berlin Partner
versuchen nun, dieses Image wieder hinaus in die Welt zu tragen und
„‚Kreativität' als Wirtschafts- und
Standortfaktor stärker international zu kommunizieren", das
heißt die einst billigen Freiräume, quasi die Armut
in veredelter Form zu präsentieren, auf daß
langfristig die Wertschöpfung greife. Was aber
veranlaßt die eigentlich Kreativen, zum Beispiel die junge
Ausländer, in die Stadt zu kommen?
Oft waren sie zunächst im Urlaub in
Berlin und hatten sich „in diese Kieze verliebt" oder kamen
zum Studium in die Stadt. Matthew aus London, der im Buchhandel
arbeitet, hat immerhin schon in der Schule Deutsch gelernt, bevor er
übersiedelte. „In Berlin kann ich von wenig Arbeit
relativ gut leben", erzählt er. Londons Mieten seien dagegen
exorbitant hoch, nur am Stadtrand gäbe es noch bezahlbaren
Wohnraum. Auch Alex aus Italien, der ein Internetmagazin publiziert und
zwischen New York und Berlin pendelt, verweist auf die Vorteile des
„billigen Berlins": „Die Stadt ist perfekt, um ein
Unternehmen zu gründen, weil man hier nicht viel Startkapital
benötigt", ist seine Erfahrung. Allerdings attestiert er den
Berlinern im Vergleich zu den New Yorkern, in dieser Hinsicht kaum
„ambitious" zu sein. Ignacio, ein junger Chilene, der an der
TU Berlin zum Thema „Citymarketing und Stadtimages in
Reiseführern" promoviert, glaubt, daß das, was diese
jungen Leute anlocke, der Mythos der „Berliner Luft" sei.
Gemeint ist damit die Toleranz, der große Freiraum
für kreative Entfaltung und nicht zuletzt die
Multikulturalität Berlins. Interessanterweise arbeiten die
Ausländer selbst am stärksten an der Verwirklichung
eines Mythos mit, wegen dem sie eigentlich gekommen sind.
Die meisten haben bereits kosmopolitische
Erfahrungen und vergleichen Berlin mit anderen Städten.
Deshalb ist für die meisten Berlin auch nicht eine echte
Wahlheimat, sondern lediglich eine Zwischenstation. Laura etwa, eine
dänische Musikerin, kennt viele junge Ausländer, die
wie sie nur im Sommer nach Berlin kommen, da es im Winter nicht
auszuhalten sei. Cloe aus den USA, die ebenfalls nach Berlin kam, um in
der hiesigen Techno-Szene mitzumischen, pflichtet ihr bei:
„Viele Leute aus den Staaten benutzen Berlin nur als erste
Station einer Europareise. Und viele junge Europäer kommen
nach Berlin, weil es sich hier noch am ehesten nach New York
anfühlt."
Kann man sich in so einer Situation, in so kurzer
Zeit überhaupt mit der Stadt identifizieren oder bleibt man
nicht dauernd Tourist? Nein, meint Ignacio, es sei erstaunlich einfach,
gefühlter Berliner zu werden. Zwar sehe er sich eher als
Kreuzberger, aber auch die Debatte um den Abriß des Palastes
der Republik habe ihn sehr bewegt. Die jungen Ausländer tragen
ihre Verbundenheit mit Berlin durchaus mit Selbstbewußtsein
vor. Ignacio meint scherzhaft: „Wenn die Stadt weiter so
radikal umstrukturiert wird, hauen wir alle wieder ab."
„Die jungen ausländischen
Kreativen sind extrem mobil, sie können sich schon morgen auf
eine neue Stadt stürzen"
Damit ist ein weiterer Aspekt der
„Berliner Luft" angesprochen: Viele der jungen
Ausländer haben Berlin als charmant-schmutzige Stadt
kennengelernt, die viel Improvisation zuließ und einen ganz
eigenen verlotterten Reiz hat. Laura war entsetzt, als sie nach zwei
Jahren im Ausland wieder nach Berlin kam: „Überall
wachsen Bürogebäude in die Höhe, alles wird
saniert und bonbonfarben angemalt. Die Mieten steigen ständig,
und alles ist voll mit Yuppies". Daß diese Phänomene
natürlich auch eine Folge des Berlinbooms und der eigenen
Rolle in der Stadt sind, ist ihr und den anderen Kosmopoliten
bewußt. Wie Ignacio warnt sie aber: „Wenn Berlin
aussieht wie London oder Paris, gibt es für uns keinen Grund
mehr, für längere Zeit hier zu leben.
Außerdem können wir es uns dann nicht mehr leisten."
Apropos: Fühlt man sich als junger
Ausländer in Berlin willkommen? „Nun ja, es wird
einem durchaus mit wohlwollendem Interesse begegnet", findet Laura,
allerdings, da sind sich alle Befragten einig, sei es mit der
Internationalität auf sprachlicher Ebene nicht besonders weit
her in Berlin. Zwar sprächen gerade die jungen Leute
mehrheitlich gutes Englisch, aber schon bei der Wohnungssuche, dem
Einkauf und erst recht bei Behördengängen sei man
ohne halbwegs passables Deutsch aufgeschmissen.
Was aber hat Berlin von diesen jungen
Ausländern? Wenn sie Geld verdienen, dann meist nicht genug,
um hier Steuern zu bezahlen. Außerdem bleiben die meisten nur
ein bis drei Jahre. Können sie in dieser Zeit etwas schaffen,
wovon Berlin und die Berliner dauerhaft profitieren? Ignacio gibt zu
bedenken, daß Berlin nicht nur große Teile seines
Flairs und damit seiner touristischen Anziehungskraft den jungen
Ausländern verdanke, sondern auch weniger Einwohner
hätte als geplant. Das heißt, daß ohne die
vielen Austauschstudenten und Zwischennutzer die Stadt nicht nur
langweiliger wäre, sondern auch leerer. Der junge Akademiker
möchte die Frage auch gerne umgekehrt gestellt wissen: Er
glaube, daß es sich viele vorstellen könnten,
dauerhaft in Berlin zu bleiben, weil es ihnen hier gefalle, sie sich an
das Leben gewöhnt hätten oder auch Freunde und
Partner gefunden hätten. Aber: „Berlin bietet keine
Arbeitsplätze, weder für Deutsche noch für
Ausländer. Da kannst du noch so jung, kreativ und
kosmopolitisch sein, in Berlin kann man zwar billig leben, aber Geld
verdienen kann man in fast jeder anderen Stadt besser!"
Es gibt allerdings inzwischen auch ein neue Form
von verborgenen Arbeitsplätzen in Berlin, von denen Alex
berichtet: „Viele Ausländer arbeiten übers
Internet für Auftraggeber aus ihrer alten Heimat und werden
auch von dort bezahlt." Weil die Stundenlöhne dort wesentlich
höher seien, könnten sie sich ohne weiteres die
teuren Mieten zum Beispiel in der Spandauer Vorstadt im Bezirk Mitte
leisten. „Für eine vergleichbare Wohnung in London
oder New York reicht der Verdienst nicht aus, aber in Berlin
können sie es sich gut gehen lassen und sogar noch sparen."
Die jungen ausländischen Kreativen sind
extrem mobil, sie können sich schon morgen auf eine neue Stadt
stürzen. Denn die vielgerühmten Unternehmen der
kreativen Branche bestehen oftmals lediglich aus einigen Computern und
einer Kaffeemaschine. Es stellt sich also nur die Frage, ob sie dann in
Pasewalk oder in Bukarest ans Stromnetz gehen.
Moritz Feichtinger/Sabine
Schuster